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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die litterarische Bildung am Rhein
im vorigen Jahrhundert
Joseph Ioesten von in

n der "Täglichen Rundschau" von 1894 (Ur. 267) finden wir
das Urteil eines Kritikers, von dem wir bei der Behandlung
unsers Themas ausgehn möchten, und das folgendermaßen
lautet: "Es giebt in Deutschland eine ziemlich reich blühende
katholische Dichtung, von der im allgemeinen die nichtkatholische
Bevölkerung kaum etwas weiß; selten gelingt es einem Vertreter jener Dichtung,
in die Litteraturgeschichte, die nur nach der Kunst und nicht nach der Kon¬
fession fragt, Eingang zu finden. Daran trägt nicht etwa die religiöse Ab¬
sonderung als solche schuld, souderu der litterarische Charakter jener Dichtung,
der freilich durch die Absonderung bedingt ist. Die meisten katholischen Dichter
-- ich spreche natürlich nur von den religiös schaffenden -- stehn in fast gar
keiner Berührung zu der allgemeinen Kunstbewegung der Zeit, in der Form
und den Ausdrucksmitteln sind sie sehr konservativ, und wenn sie sich Vorbilder
wählen, so kümmern sie sich im großen und ganzen mehr um die Glaubens¬
reinheit des Vorbildes, als um seine künstlerische Bedeutung."

Veremundus, der Verfasser der auch in den Grenzboten besprochnen
Schrift: "Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?" (im Verlage
von Franz Kirchheim zu Mainz. 1898), pflichtet diesem "bittern aber wahren"
Urteil bei und sucht bei der Frage nach den Gründen der litterarischen Rück¬
ständigkeit der katholischen Schriftsteller und ihrer Abseitsstellung die Ursachen
nicht in der geringern Begabung und in einem thatsächlichen Mangel an
Talenten unter den Katholiken, sondern in mehr äußerlichen, vorübergehenden
Zuständen. Zunächst sei es der Mangel um Interesse, die Engherzigkeit durch
Hineintragen jugenderzieherischer Grundsätze, die Prüderie und endlich die
mangelhaften Zustände auf dem Gebiete der Kritik, die als Gründe der im
allgemeinen unbefriedigender Litteraturverhältnisfe (von wenigen ehrenvollen
Ausnahmen abgesehen) bezeichnet werden müßten. Wenn schon die in Betracht
kommende Kritik dieses Buches in katholischen Kreisen zugeben mußte (vgl.
Kölnische Volkszeitung Ur. 731. Jahrgang 1898), "daß das Werk viel zu viel
Wahrheiten enthalte, die man respektieren müsse, auch wenn sie unbequem




Die litterarische Bildung am Rhein
im vorigen Jahrhundert
Joseph Ioesten von in

n der „Täglichen Rundschau" von 1894 (Ur. 267) finden wir
das Urteil eines Kritikers, von dem wir bei der Behandlung
unsers Themas ausgehn möchten, und das folgendermaßen
lautet: „Es giebt in Deutschland eine ziemlich reich blühende
katholische Dichtung, von der im allgemeinen die nichtkatholische
Bevölkerung kaum etwas weiß; selten gelingt es einem Vertreter jener Dichtung,
in die Litteraturgeschichte, die nur nach der Kunst und nicht nach der Kon¬
fession fragt, Eingang zu finden. Daran trägt nicht etwa die religiöse Ab¬
sonderung als solche schuld, souderu der litterarische Charakter jener Dichtung,
der freilich durch die Absonderung bedingt ist. Die meisten katholischen Dichter
— ich spreche natürlich nur von den religiös schaffenden — stehn in fast gar
keiner Berührung zu der allgemeinen Kunstbewegung der Zeit, in der Form
und den Ausdrucksmitteln sind sie sehr konservativ, und wenn sie sich Vorbilder
wählen, so kümmern sie sich im großen und ganzen mehr um die Glaubens¬
reinheit des Vorbildes, als um seine künstlerische Bedeutung."

Veremundus, der Verfasser der auch in den Grenzboten besprochnen
Schrift: „Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?" (im Verlage
von Franz Kirchheim zu Mainz. 1898), pflichtet diesem „bittern aber wahren"
Urteil bei und sucht bei der Frage nach den Gründen der litterarischen Rück¬
ständigkeit der katholischen Schriftsteller und ihrer Abseitsstellung die Ursachen
nicht in der geringern Begabung und in einem thatsächlichen Mangel an
Talenten unter den Katholiken, sondern in mehr äußerlichen, vorübergehenden
Zuständen. Zunächst sei es der Mangel um Interesse, die Engherzigkeit durch
Hineintragen jugenderzieherischer Grundsätze, die Prüderie und endlich die
mangelhaften Zustände auf dem Gebiete der Kritik, die als Gründe der im
allgemeinen unbefriedigender Litteraturverhältnisfe (von wenigen ehrenvollen
Ausnahmen abgesehen) bezeichnet werden müßten. Wenn schon die in Betracht
kommende Kritik dieses Buches in katholischen Kreisen zugeben mußte (vgl.
Kölnische Volkszeitung Ur. 731. Jahrgang 1898), „daß das Werk viel zu viel
Wahrheiten enthalte, die man respektieren müsse, auch wenn sie unbequem


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[0213] [Abbildung] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert Joseph Ioesten von in n der „Täglichen Rundschau" von 1894 (Ur. 267) finden wir das Urteil eines Kritikers, von dem wir bei der Behandlung unsers Themas ausgehn möchten, und das folgendermaßen lautet: „Es giebt in Deutschland eine ziemlich reich blühende katholische Dichtung, von der im allgemeinen die nichtkatholische Bevölkerung kaum etwas weiß; selten gelingt es einem Vertreter jener Dichtung, in die Litteraturgeschichte, die nur nach der Kunst und nicht nach der Kon¬ fession fragt, Eingang zu finden. Daran trägt nicht etwa die religiöse Ab¬ sonderung als solche schuld, souderu der litterarische Charakter jener Dichtung, der freilich durch die Absonderung bedingt ist. Die meisten katholischen Dichter — ich spreche natürlich nur von den religiös schaffenden — stehn in fast gar keiner Berührung zu der allgemeinen Kunstbewegung der Zeit, in der Form und den Ausdrucksmitteln sind sie sehr konservativ, und wenn sie sich Vorbilder wählen, so kümmern sie sich im großen und ganzen mehr um die Glaubens¬ reinheit des Vorbildes, als um seine künstlerische Bedeutung." Veremundus, der Verfasser der auch in den Grenzboten besprochnen Schrift: „Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?" (im Verlage von Franz Kirchheim zu Mainz. 1898), pflichtet diesem „bittern aber wahren" Urteil bei und sucht bei der Frage nach den Gründen der litterarischen Rück¬ ständigkeit der katholischen Schriftsteller und ihrer Abseitsstellung die Ursachen nicht in der geringern Begabung und in einem thatsächlichen Mangel an Talenten unter den Katholiken, sondern in mehr äußerlichen, vorübergehenden Zuständen. Zunächst sei es der Mangel um Interesse, die Engherzigkeit durch Hineintragen jugenderzieherischer Grundsätze, die Prüderie und endlich die mangelhaften Zustände auf dem Gebiete der Kritik, die als Gründe der im allgemeinen unbefriedigender Litteraturverhältnisfe (von wenigen ehrenvollen Ausnahmen abgesehen) bezeichnet werden müßten. Wenn schon die in Betracht kommende Kritik dieses Buches in katholischen Kreisen zugeben mußte (vgl. Kölnische Volkszeitung Ur. 731. Jahrgang 1898), „daß das Werk viel zu viel Wahrheiten enthalte, die man respektieren müsse, auch wenn sie unbequem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/213>, abgerufen am 03.07.2024.