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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

das achtzehnte Jahrhundert fort. Wie der Glanz der rheinischen Geschichte
mit der Macht des geeinten Reichs zusammenhängt, so hängt die Erschlaffung
des rheinischen Litteraturlebens auch mit dem Niedergang des mittelalterlich
deutschen Reichs zusammen. Und dieser Niedergang fand seine Entscheidung
unter den Kämpfen der Reformation, von der ab die rheinische Geschichte ihren
höhern Schwung verliert. (Vgl. M. Ritter, Über rheinische Geschichte und
die Aufgaben der rheinischen Geschichtsgesellschaft. Köln, 1885.)

Nachdem wir dies zum Verständnis des Zustandes, worin die rheinische
Litteratur am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts war, vorausgeschickt habe",
wollen wir nun zu einer Prüfung der Thatsachen und der Quellen übergehn.

Einem ähnlichen Urteil wie Veremundus begegnen wir schon bei einem
Zeitgenossen des achtzehnten Jahrhunderts am Rhein, mit dem wir den Leser
kurz bekannt machen möchten; er ist zwar wegen seines Charakters und Lebens¬
wandels im allgemeinen kein ganz klassischer Zeuge, ein etwas lockerer Geselle,
indes immerhin eine Persönlichkeit, die auf dem Gebiete der schönen Wissen¬
schaften ernst genommen werden muß. Es ist der Bonner Universttätsprofesfor
Eulogius Schneider, der frühere Franziskanermönch. Jedenfalls verdient er
auf dem Gebiete unsrer Forschung unbedingten Glauben. Der aus der Hütte
entsprossene, im Kloster erzogne, an den Hof, auf die Universität, zuletzt in
den Kerker und aufs Blutgerüst geratne bekannte und berüchtigte Schöngeist
Enlogius Schneider (vgl. Sein Leben und seine Schriften. Von Dr. Ehrhard.
Straßburg, 1894) wirkte von 1789 bis 1791 an der Universität Bonn, an
die ihn der Kurfürst berufen hatte. In seiner akademischen Antrittsrede ver¬
breitete er sich eingehend: "Über den gegenwärtigen Zustand und die Hinder¬
nisse der schönen Litteratur im katholischen Deutschlande." Eines dieser
Hindernisse, warum die Katholiken in dem, "was die Kultur der schönen
Litteratur betrifft, noch weit hinter dem Ziele zurück sind, welches die
Protestanten erreicht haben," findet Schneider in der mangelhaften und vom
jesuitischen Geiste durchdrungnen Bildung und Erziehung auf den Gymnasien.
Ein zweites ist in seinen Augen die "Mönchsmoral," die sich noch immer mit
der christlichen Moral vermische und unter den guten Samen des Evangeliums
ägyptisches Unkraut streue. Schneider verlangt eine Moral, die die Liebe
nicht "zu einem bloß tierischen Triebe herabwürdige." die Gedichte erlaubt,
"die zärtliche Gefühle" atmen, und die nicht den Nationalstolz, den Patrio¬
tismus verletze. Er verdammt die Moral, die der Ehrbegierde "eine gewisse
Selbsterniedrigung, eine ungerechte Wegwerfung seines eignen Wertes, die man
Demut nennt, entgegensetzt, . . . diejenige, welche Zärtlichkeit und Ehrliebe zu
Verbrechen, Gefühllosigkeit hingegen und Niederträchtigkeit zu Tugenden macht."
Er schloß die Rede mit folgender Aufforderung: "So, meine Herren, wollen
wir Hand in Hand dem Haine der Musen zuwandeln und in ihrem Umgange
jene edlern Vergnügungen aufsuchen, welche zwischen den reinen Freuden des


Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

das achtzehnte Jahrhundert fort. Wie der Glanz der rheinischen Geschichte
mit der Macht des geeinten Reichs zusammenhängt, so hängt die Erschlaffung
des rheinischen Litteraturlebens auch mit dem Niedergang des mittelalterlich
deutschen Reichs zusammen. Und dieser Niedergang fand seine Entscheidung
unter den Kämpfen der Reformation, von der ab die rheinische Geschichte ihren
höhern Schwung verliert. (Vgl. M. Ritter, Über rheinische Geschichte und
die Aufgaben der rheinischen Geschichtsgesellschaft. Köln, 1885.)

Nachdem wir dies zum Verständnis des Zustandes, worin die rheinische
Litteratur am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts war, vorausgeschickt habe»,
wollen wir nun zu einer Prüfung der Thatsachen und der Quellen übergehn.

Einem ähnlichen Urteil wie Veremundus begegnen wir schon bei einem
Zeitgenossen des achtzehnten Jahrhunderts am Rhein, mit dem wir den Leser
kurz bekannt machen möchten; er ist zwar wegen seines Charakters und Lebens¬
wandels im allgemeinen kein ganz klassischer Zeuge, ein etwas lockerer Geselle,
indes immerhin eine Persönlichkeit, die auf dem Gebiete der schönen Wissen¬
schaften ernst genommen werden muß. Es ist der Bonner Universttätsprofesfor
Eulogius Schneider, der frühere Franziskanermönch. Jedenfalls verdient er
auf dem Gebiete unsrer Forschung unbedingten Glauben. Der aus der Hütte
entsprossene, im Kloster erzogne, an den Hof, auf die Universität, zuletzt in
den Kerker und aufs Blutgerüst geratne bekannte und berüchtigte Schöngeist
Enlogius Schneider (vgl. Sein Leben und seine Schriften. Von Dr. Ehrhard.
Straßburg, 1894) wirkte von 1789 bis 1791 an der Universität Bonn, an
die ihn der Kurfürst berufen hatte. In seiner akademischen Antrittsrede ver¬
breitete er sich eingehend: „Über den gegenwärtigen Zustand und die Hinder¬
nisse der schönen Litteratur im katholischen Deutschlande." Eines dieser
Hindernisse, warum die Katholiken in dem, „was die Kultur der schönen
Litteratur betrifft, noch weit hinter dem Ziele zurück sind, welches die
Protestanten erreicht haben," findet Schneider in der mangelhaften und vom
jesuitischen Geiste durchdrungnen Bildung und Erziehung auf den Gymnasien.
Ein zweites ist in seinen Augen die „Mönchsmoral," die sich noch immer mit
der christlichen Moral vermische und unter den guten Samen des Evangeliums
ägyptisches Unkraut streue. Schneider verlangt eine Moral, die die Liebe
nicht „zu einem bloß tierischen Triebe herabwürdige." die Gedichte erlaubt,
„die zärtliche Gefühle" atmen, und die nicht den Nationalstolz, den Patrio¬
tismus verletze. Er verdammt die Moral, die der Ehrbegierde „eine gewisse
Selbsterniedrigung, eine ungerechte Wegwerfung seines eignen Wertes, die man
Demut nennt, entgegensetzt, . . . diejenige, welche Zärtlichkeit und Ehrliebe zu
Verbrechen, Gefühllosigkeit hingegen und Niederträchtigkeit zu Tugenden macht."
Er schloß die Rede mit folgender Aufforderung: „So, meine Herren, wollen
wir Hand in Hand dem Haine der Musen zuwandeln und in ihrem Umgange
jene edlern Vergnügungen aufsuchen, welche zwischen den reinen Freuden des


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[0215] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert das achtzehnte Jahrhundert fort. Wie der Glanz der rheinischen Geschichte mit der Macht des geeinten Reichs zusammenhängt, so hängt die Erschlaffung des rheinischen Litteraturlebens auch mit dem Niedergang des mittelalterlich deutschen Reichs zusammen. Und dieser Niedergang fand seine Entscheidung unter den Kämpfen der Reformation, von der ab die rheinische Geschichte ihren höhern Schwung verliert. (Vgl. M. Ritter, Über rheinische Geschichte und die Aufgaben der rheinischen Geschichtsgesellschaft. Köln, 1885.) Nachdem wir dies zum Verständnis des Zustandes, worin die rheinische Litteratur am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts war, vorausgeschickt habe», wollen wir nun zu einer Prüfung der Thatsachen und der Quellen übergehn. Einem ähnlichen Urteil wie Veremundus begegnen wir schon bei einem Zeitgenossen des achtzehnten Jahrhunderts am Rhein, mit dem wir den Leser kurz bekannt machen möchten; er ist zwar wegen seines Charakters und Lebens¬ wandels im allgemeinen kein ganz klassischer Zeuge, ein etwas lockerer Geselle, indes immerhin eine Persönlichkeit, die auf dem Gebiete der schönen Wissen¬ schaften ernst genommen werden muß. Es ist der Bonner Universttätsprofesfor Eulogius Schneider, der frühere Franziskanermönch. Jedenfalls verdient er auf dem Gebiete unsrer Forschung unbedingten Glauben. Der aus der Hütte entsprossene, im Kloster erzogne, an den Hof, auf die Universität, zuletzt in den Kerker und aufs Blutgerüst geratne bekannte und berüchtigte Schöngeist Enlogius Schneider (vgl. Sein Leben und seine Schriften. Von Dr. Ehrhard. Straßburg, 1894) wirkte von 1789 bis 1791 an der Universität Bonn, an die ihn der Kurfürst berufen hatte. In seiner akademischen Antrittsrede ver¬ breitete er sich eingehend: „Über den gegenwärtigen Zustand und die Hinder¬ nisse der schönen Litteratur im katholischen Deutschlande." Eines dieser Hindernisse, warum die Katholiken in dem, „was die Kultur der schönen Litteratur betrifft, noch weit hinter dem Ziele zurück sind, welches die Protestanten erreicht haben," findet Schneider in der mangelhaften und vom jesuitischen Geiste durchdrungnen Bildung und Erziehung auf den Gymnasien. Ein zweites ist in seinen Augen die „Mönchsmoral," die sich noch immer mit der christlichen Moral vermische und unter den guten Samen des Evangeliums ägyptisches Unkraut streue. Schneider verlangt eine Moral, die die Liebe nicht „zu einem bloß tierischen Triebe herabwürdige." die Gedichte erlaubt, „die zärtliche Gefühle" atmen, und die nicht den Nationalstolz, den Patrio¬ tismus verletze. Er verdammt die Moral, die der Ehrbegierde „eine gewisse Selbsterniedrigung, eine ungerechte Wegwerfung seines eignen Wertes, die man Demut nennt, entgegensetzt, . . . diejenige, welche Zärtlichkeit und Ehrliebe zu Verbrechen, Gefühllosigkeit hingegen und Niederträchtigkeit zu Tugenden macht." Er schloß die Rede mit folgender Aufforderung: „So, meine Herren, wollen wir Hand in Hand dem Haine der Musen zuwandeln und in ihrem Umgange jene edlern Vergnügungen aufsuchen, welche zwischen den reinen Freuden des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/215>, abgerufen am 04.07.2024.