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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lust Lichnowsky

dem Dr. Jucho, der übrigens gar nicht schlimm war, aber mit einem schwarzen
Demokratenbart behaftet war, oft die freundschaftlich verlangte "Patschhand"
unterschlagen zu haben.

Die Erbitterung der Massen über den Malmöer Waffenstillstand war nicht
die Ursache zu der Greuelthat des 18. Septembers; sie spielte nur die Rolle
des Zünders an der Bombe. Das Geschoß selbst war längst gegossen. Fürst
Lichnowsky hatte sich schon bei seinem ersten Auftreten im Parlament das
Todesurteil sozusagen selbst gesprochen, als er dem fanatischen und verlognen
Demagogen Zitz von Mainz gegenüber die verleumdete preußische Armee in
Schutz nahm und die Schleswig-holsteinischen Abgeordneten als Eidhelfer für
sie mobilisirte. Und noch mehr wurde Lichnowsky der bestgehaßte Mann, als
er den Abgeordneten Blum, diesen großen Redner und wirklich genialen De¬
batter und Staatsmann glatt in den Sand streckte, an dem Tage, wo Blum
eine Meiningische Durchstecherei benutzte, um Preußens angebliche ma-ig. lläss
gegen die Nationalversammlung zu beweisen. Als Redner war der Gemordete
überhaupt einer der glänzendsten und erfolgreichsten Kämpen; wie er denn bei
mehreren Debatten überaus glücklich einsprang, wenn mit Feuer und Entrüstung
das verkannte Gute blank zu fegen war. Das platonische L^oeM-,' war seine
Art. Er war kein klügelnder Staatsmann, es fehlte seiner emphatischen Natur
an kühler Zurückhaltung; nicht die Parade war seine Stärke, sondern der
Ausfall. Als von den in Mainz gemeuchelten preußische,, Soldaten die Rede
ist, ruft er: "Ich frage, wie wollen wir es in deutscher Sprache ausdrücken, wenn
ein Dolch in den Rücken gestoßen wird? -- heißt das etwa Zweiknmpf, wenn
Dolche in den Rucken gestoßen werden? Ich habe in den deutschen Annalen
gefunden, daß seit Jahrhunderten nußer bei Hunnen und Wandalen (?) von
Kämpfen, die im Rücken und mit Dolchen geführt werde", nicht die Rede ist.. . .
Und in diesem Augenblicke wird die preußische Armee von dieser Tribüne
herab mit den schmählichsten Verdächtigungen behandelt, in einem Augenblick,
wo noch nicht die Wunden vernarbt sind, die bei der Erstürmung des Dane-
wirks der preußischen Armee geschlagen wurden." Er war das Musterbild
eines ritterlichen glühenden Patrioten und preußischen Edelmanns. Er saß
natürlich weit ab von jenen Adlichen im Parlament, die sich die Helden vom
4. August 1789 zum Vorbilde genommen hatten, unter denen der Fürst von
Waldburg-Zell-Trauchburg voranstand, das Mitglied des Rumpfparlaments,
dessen männliche Verwandte laut Gothaer Hvfkalender nach dem Gesetz aus¬
gleichender Gerechtigkeit heute sämtlich auch auf den lieblichen Kosenamen
"Canisius" (Äo!) hören. Nein, Lichnowsky war, um den Sudermannschen
Ausdruck zu gebrauchen, schlichten Gemüts, er war nur ein deutscher Edel¬
mann; dabei aber keineswegs politisch rückständig, sondern ehrlich liberal, wie
die preußische Regierung jener Jahre, und wie damals noch Friedrich Wil¬
helm IV. selber es war. Und wer an den ehrlichen vollen Freisinn dieser


Lust Lichnowsky

dem Dr. Jucho, der übrigens gar nicht schlimm war, aber mit einem schwarzen
Demokratenbart behaftet war, oft die freundschaftlich verlangte „Patschhand"
unterschlagen zu haben.

Die Erbitterung der Massen über den Malmöer Waffenstillstand war nicht
die Ursache zu der Greuelthat des 18. Septembers; sie spielte nur die Rolle
des Zünders an der Bombe. Das Geschoß selbst war längst gegossen. Fürst
Lichnowsky hatte sich schon bei seinem ersten Auftreten im Parlament das
Todesurteil sozusagen selbst gesprochen, als er dem fanatischen und verlognen
Demagogen Zitz von Mainz gegenüber die verleumdete preußische Armee in
Schutz nahm und die Schleswig-holsteinischen Abgeordneten als Eidhelfer für
sie mobilisirte. Und noch mehr wurde Lichnowsky der bestgehaßte Mann, als
er den Abgeordneten Blum, diesen großen Redner und wirklich genialen De¬
batter und Staatsmann glatt in den Sand streckte, an dem Tage, wo Blum
eine Meiningische Durchstecherei benutzte, um Preußens angebliche ma-ig. lläss
gegen die Nationalversammlung zu beweisen. Als Redner war der Gemordete
überhaupt einer der glänzendsten und erfolgreichsten Kämpen; wie er denn bei
mehreren Debatten überaus glücklich einsprang, wenn mit Feuer und Entrüstung
das verkannte Gute blank zu fegen war. Das platonische L^oeM-,' war seine
Art. Er war kein klügelnder Staatsmann, es fehlte seiner emphatischen Natur
an kühler Zurückhaltung; nicht die Parade war seine Stärke, sondern der
Ausfall. Als von den in Mainz gemeuchelten preußische,, Soldaten die Rede
ist, ruft er: „Ich frage, wie wollen wir es in deutscher Sprache ausdrücken, wenn
ein Dolch in den Rücken gestoßen wird? — heißt das etwa Zweiknmpf, wenn
Dolche in den Rucken gestoßen werden? Ich habe in den deutschen Annalen
gefunden, daß seit Jahrhunderten nußer bei Hunnen und Wandalen (?) von
Kämpfen, die im Rücken und mit Dolchen geführt werde», nicht die Rede ist.. . .
Und in diesem Augenblicke wird die preußische Armee von dieser Tribüne
herab mit den schmählichsten Verdächtigungen behandelt, in einem Augenblick,
wo noch nicht die Wunden vernarbt sind, die bei der Erstürmung des Dane-
wirks der preußischen Armee geschlagen wurden." Er war das Musterbild
eines ritterlichen glühenden Patrioten und preußischen Edelmanns. Er saß
natürlich weit ab von jenen Adlichen im Parlament, die sich die Helden vom
4. August 1789 zum Vorbilde genommen hatten, unter denen der Fürst von
Waldburg-Zell-Trauchburg voranstand, das Mitglied des Rumpfparlaments,
dessen männliche Verwandte laut Gothaer Hvfkalender nach dem Gesetz aus¬
gleichender Gerechtigkeit heute sämtlich auch auf den lieblichen Kosenamen
„Canisius" (Äo!) hören. Nein, Lichnowsky war, um den Sudermannschen
Ausdruck zu gebrauchen, schlichten Gemüts, er war nur ein deutscher Edel¬
mann; dabei aber keineswegs politisch rückständig, sondern ehrlich liberal, wie
die preußische Regierung jener Jahre, und wie damals noch Friedrich Wil¬
helm IV. selber es war. Und wer an den ehrlichen vollen Freisinn dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/86>, abgerufen am 04.07.2024.