Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>


Fürst Lichnowsky
Line Erinnerung

in die Mitte unsers Jahrhunderts pflegten wohlgesinnte Frank¬
furter Bürger von der Gothaischen, erbkaiserlichen Partei ihre
Knaben auf dem Spaziergang durch die Gärtnereien auch zu den
Stätten zu führen, wo Felix Lichnowsky und General Hans
Auerswald ihr damals noch frisches Martyrium erlitten hatten.
"In diesem Gärtnerhäuschen hat der Fürst sich unter den Kartoffeln im Keller
vor der wilden Meute verborgen; an dem Zaune im engen Gäßchen fanden
sie sein Pferd stehen, das -- in seiner Treue -- den Herrn verraten hat; an
dieser, von falscher Pietät schon abgeschälten hohen Pappel (ganz am Anfang
der Bornheimer Heide, die heute ein glänzendes Häusermeer deckt) haben sie
ihn mit fünfzig Wunden hingemetzelt, wie die Indianer das Blaßgesicht am
Marterpfahl; und hier hat eine Megäre mit dem Sonnenschirm in seinen
Kunden Leib gestoßen." Das wurde mit Ingrimm gehört. Hätten sich
diese guten Frankfurter von klassischen Reminiscenzen leiten lassen, so Hütten
sie die Knaben schwören lassen, wie einst Hamilkar Barkas den Hannibal
ewigen Haß gegen Rom schwören ließ: niemals einer Partei zu trauen, deren
Rechnung eine so entsetzliche Schandthat für immer belastet, wie die Frank¬
furter sextLrudrisÄtls. Daß sich nach der That die radikale Linke von der
Riesengröße des Blutwerks lossagte, hebt ihre moralische Mitschuld nicht auf.
Noch am 18. nannte selbst Robert Blum alle Anzeichen des Sturms eine von der
Rechten veranstaltete Komödie. Allerdings haben in der nächsten Parlaments¬
sitzung*) auch die Frechsten der Frechen für den Mord kein Wort der Ver¬
eidigung gehabt, und Raveaux, Schaffrath und Venedey die Mordgesellen sogar
sanft verurteilt; allein das ist die bekannte Bewegung mit den Rockschößen,
die für die logische Kategorie der Ursächlichkeit in gar keinen Betracht kommt.
Uns Kindern war alles "Linke" so verdächtig, daß ich mich wohl erinnere,



*) Der Ruine Parlament hat sich anfänglich neben Nationalversammlung nicht hören
Essenz Heinrich von Gagern hatte von der hessischen Kammer her in den ersten Monaten noch
die Gewohnheit, manchmal von der "hohen Kammer" zu reden.
Grenzboten IV 18"8 10


Fürst Lichnowsky
Line Erinnerung

in die Mitte unsers Jahrhunderts pflegten wohlgesinnte Frank¬
furter Bürger von der Gothaischen, erbkaiserlichen Partei ihre
Knaben auf dem Spaziergang durch die Gärtnereien auch zu den
Stätten zu führen, wo Felix Lichnowsky und General Hans
Auerswald ihr damals noch frisches Martyrium erlitten hatten.
»In diesem Gärtnerhäuschen hat der Fürst sich unter den Kartoffeln im Keller
vor der wilden Meute verborgen; an dem Zaune im engen Gäßchen fanden
sie sein Pferd stehen, das — in seiner Treue — den Herrn verraten hat; an
dieser, von falscher Pietät schon abgeschälten hohen Pappel (ganz am Anfang
der Bornheimer Heide, die heute ein glänzendes Häusermeer deckt) haben sie
ihn mit fünfzig Wunden hingemetzelt, wie die Indianer das Blaßgesicht am
Marterpfahl; und hier hat eine Megäre mit dem Sonnenschirm in seinen
Kunden Leib gestoßen." Das wurde mit Ingrimm gehört. Hätten sich
diese guten Frankfurter von klassischen Reminiscenzen leiten lassen, so Hütten
sie die Knaben schwören lassen, wie einst Hamilkar Barkas den Hannibal
ewigen Haß gegen Rom schwören ließ: niemals einer Partei zu trauen, deren
Rechnung eine so entsetzliche Schandthat für immer belastet, wie die Frank¬
furter sextLrudrisÄtls. Daß sich nach der That die radikale Linke von der
Riesengröße des Blutwerks lossagte, hebt ihre moralische Mitschuld nicht auf.
Noch am 18. nannte selbst Robert Blum alle Anzeichen des Sturms eine von der
Rechten veranstaltete Komödie. Allerdings haben in der nächsten Parlaments¬
sitzung*) auch die Frechsten der Frechen für den Mord kein Wort der Ver¬
eidigung gehabt, und Raveaux, Schaffrath und Venedey die Mordgesellen sogar
sanft verurteilt; allein das ist die bekannte Bewegung mit den Rockschößen,
die für die logische Kategorie der Ursächlichkeit in gar keinen Betracht kommt.
Uns Kindern war alles „Linke" so verdächtig, daß ich mich wohl erinnere,



*) Der Ruine Parlament hat sich anfänglich neben Nationalversammlung nicht hören
Essenz Heinrich von Gagern hatte von der hessischen Kammer her in den ersten Monaten noch
die Gewohnheit, manchmal von der „hohen Kammer" zu reden.
Grenzboten IV 18»8 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229033"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_228947/figures/grenzboten_341867_228947_229033_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Fürst Lichnowsky<lb/>
Line Erinnerung </head><lb/>
          <p xml:id="ID_176" next="#ID_177"> in die Mitte unsers Jahrhunderts pflegten wohlgesinnte Frank¬<lb/>
furter Bürger von der Gothaischen, erbkaiserlichen Partei ihre<lb/>
Knaben auf dem Spaziergang durch die Gärtnereien auch zu den<lb/>
Stätten zu führen, wo Felix Lichnowsky und General Hans<lb/>
Auerswald ihr damals noch frisches Martyrium erlitten hatten.<lb/>
»In diesem Gärtnerhäuschen hat der Fürst sich unter den Kartoffeln im Keller<lb/>
vor der wilden Meute verborgen; an dem Zaune im engen Gäßchen fanden<lb/>
sie sein Pferd stehen, das &#x2014; in seiner Treue &#x2014; den Herrn verraten hat; an<lb/>
dieser, von falscher Pietät schon abgeschälten hohen Pappel (ganz am Anfang<lb/>
der Bornheimer Heide, die heute ein glänzendes Häusermeer deckt) haben sie<lb/>
ihn mit fünfzig Wunden hingemetzelt, wie die Indianer das Blaßgesicht am<lb/>
Marterpfahl; und hier hat eine Megäre mit dem Sonnenschirm in seinen<lb/>
Kunden Leib gestoßen." Das wurde mit Ingrimm gehört. Hätten sich<lb/>
diese guten Frankfurter von klassischen Reminiscenzen leiten lassen, so Hütten<lb/>
sie die Knaben schwören lassen, wie einst Hamilkar Barkas den Hannibal<lb/>
ewigen Haß gegen Rom schwören ließ: niemals einer Partei zu trauen, deren<lb/>
Rechnung eine so entsetzliche Schandthat für immer belastet, wie die Frank¬<lb/>
furter sextLrudrisÄtls. Daß sich nach der That die radikale Linke von der<lb/>
Riesengröße des Blutwerks lossagte, hebt ihre moralische Mitschuld nicht auf.<lb/>
Noch am 18. nannte selbst Robert Blum alle Anzeichen des Sturms eine von der<lb/>
Rechten veranstaltete Komödie. Allerdings haben in der nächsten Parlaments¬<lb/>
sitzung*) auch die Frechsten der Frechen für den Mord kein Wort der Ver¬<lb/>
eidigung gehabt, und Raveaux, Schaffrath und Venedey die Mordgesellen sogar<lb/>
sanft verurteilt; allein das ist die bekannte Bewegung mit den Rockschößen,<lb/>
die für die logische Kategorie der Ursächlichkeit in gar keinen Betracht kommt.<lb/>
Uns Kindern war alles &#x201E;Linke" so verdächtig, daß ich mich wohl erinnere,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_5" place="foot"> *) Der Ruine Parlament hat sich anfänglich neben Nationalversammlung nicht hören<lb/>
Essenz Heinrich von Gagern hatte von der hessischen Kammer her in den ersten Monaten noch<lb/>
die Gewohnheit, manchmal von der &#x201E;hohen Kammer" zu reden.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 18»8 10</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0085] [Abbildung] Fürst Lichnowsky Line Erinnerung in die Mitte unsers Jahrhunderts pflegten wohlgesinnte Frank¬ furter Bürger von der Gothaischen, erbkaiserlichen Partei ihre Knaben auf dem Spaziergang durch die Gärtnereien auch zu den Stätten zu führen, wo Felix Lichnowsky und General Hans Auerswald ihr damals noch frisches Martyrium erlitten hatten. »In diesem Gärtnerhäuschen hat der Fürst sich unter den Kartoffeln im Keller vor der wilden Meute verborgen; an dem Zaune im engen Gäßchen fanden sie sein Pferd stehen, das — in seiner Treue — den Herrn verraten hat; an dieser, von falscher Pietät schon abgeschälten hohen Pappel (ganz am Anfang der Bornheimer Heide, die heute ein glänzendes Häusermeer deckt) haben sie ihn mit fünfzig Wunden hingemetzelt, wie die Indianer das Blaßgesicht am Marterpfahl; und hier hat eine Megäre mit dem Sonnenschirm in seinen Kunden Leib gestoßen." Das wurde mit Ingrimm gehört. Hätten sich diese guten Frankfurter von klassischen Reminiscenzen leiten lassen, so Hütten sie die Knaben schwören lassen, wie einst Hamilkar Barkas den Hannibal ewigen Haß gegen Rom schwören ließ: niemals einer Partei zu trauen, deren Rechnung eine so entsetzliche Schandthat für immer belastet, wie die Frank¬ furter sextLrudrisÄtls. Daß sich nach der That die radikale Linke von der Riesengröße des Blutwerks lossagte, hebt ihre moralische Mitschuld nicht auf. Noch am 18. nannte selbst Robert Blum alle Anzeichen des Sturms eine von der Rechten veranstaltete Komödie. Allerdings haben in der nächsten Parlaments¬ sitzung*) auch die Frechsten der Frechen für den Mord kein Wort der Ver¬ eidigung gehabt, und Raveaux, Schaffrath und Venedey die Mordgesellen sogar sanft verurteilt; allein das ist die bekannte Bewegung mit den Rockschößen, die für die logische Kategorie der Ursächlichkeit in gar keinen Betracht kommt. Uns Kindern war alles „Linke" so verdächtig, daß ich mich wohl erinnere, *) Der Ruine Parlament hat sich anfänglich neben Nationalversammlung nicht hören Essenz Heinrich von Gagern hatte von der hessischen Kammer her in den ersten Monaten noch die Gewohnheit, manchmal von der „hohen Kammer" zu reden. Grenzboten IV 18»8 10

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/85
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/85>, abgerufen am 04.07.2024.