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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes

die verschiednen Stände näher? Es giebt heutzutage leider recht wenig Ge¬
legenheit dazu. Wie ganz anders würden die, die später das Volk führen und
heilsam beeinflussen sollen, das Volk kennen lernen, wenn sie nicht bloß den
nußern Dienst, sondern auch den innern unter völlig gleichen Bedingungen
zwei Jahre lang mit allen zu leisten hätten!

Fast an allen Universitäten macht sich unter den Studenten ein Drang
nach sozialer Thätigkeit geltend. Nun, in der Kaserne fände dieser Drang,
heilsam auf das Volk zu wirken, reichliche und lohnende Gelegenheit. Die
später die führenden Stände im Volke sein sollen, würden ganz unwillkürlich
vermöge ihrer überlegnen Bildung eine geistig führende Stellung unter ihren
gleichgestellten Kameraden einnehmen. Und wer es hier nicht vermag, der
wird nie ein eigentlich führender Charakter werden, selbst wenn er sich später
mit noch so viel äußerer Autorität des Amts umgiebt.

Als Scharnhorst die allgemeine Wehrpflicht empfahl, schrieb er, je weicher
die Sitten würden, um so nötiger sei den Nationen die militärische Erziehung,
damit die männlichen Tugenden einfacher Zeiten der Kulturwelt erhalten
blieben, die rüstige Kraft des Leibes und des Willens den fein Gebildeten
nicht verloren ginge. In unsrer nervösen Zeit, wo man der allgemeinen
Nervosität der Gebildeten durch allerhand Sport und Spiel aufzuhelfen sucht,
sollte man das beste Mittel zur Stärkung der Nerven, eine allgemeine zwei¬
jährige Dienstzeit, nicht verschmähen. Sprach es doch neulich ein Nervenarzt
öffentlich aus, daß ein großer Teil der Nervösen gerade die Pressen besucht
hätte. Natürlich bei mangelhafter Veranlagung oder mangelhaftem Fleiß soll
der Jüngling doch wenigstens zum Einjährigen, und zwar mit Hochdruck, ge¬
preßt werden, und das macht nervös.

Man meine nicht, es sei Abhärtung genug, die der äußere Dienst mit
sich bringe. Es ist doch gewiß ein großer Unterschied, ob sich der Einjährige
nach einem anstrengenden Übungsinarsche in seine eigne bequeme Wohnung
begiebt, die Sachen vom Putzer reinigen läßt und sich an ein reichliches Diner
setzt, oder ob der Zweijährige sich selbst bedienen und sich genügen lassen muß
mit dem, was die Kaserne bietet. Ist es aber nicht unerhört, daß man unsre
gebildeten jungen Leute in die Kaserne steckt! Als die allgemeine Wehrpflicht
eingeführt wurde, hatte man dieselben Bedenken. Treitschke berichtet: "Die
Söhne der gebildeten Klassen in Friedenszeiten ohne weiteres in das stehende
Heer einzureihen, erschien dieser Zeit, die soeben der Barbarei der alten Kriegs¬
zucht entwnchs, als eine unerträgliche Härte." Nun, man hat diese Härte
ertragen und segnen gelernt, man wird auch die Härte des Kasernendienstes
ertragen und rühmen lernen. In Wallensteins Lager wollen die Eltern ihren
Sohn vom Heeresdienst zurückhalten und sagen: Er ist guter Leute Kind.
Darauf antworteten die Soldaten: Wir auch nicht auf der Straße gefunden
sind. Mit einem ungleich größern Rechte können heute unsre Soldaten dem,


Grenzbote" IV 1898 88
Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes

die verschiednen Stände näher? Es giebt heutzutage leider recht wenig Ge¬
legenheit dazu. Wie ganz anders würden die, die später das Volk führen und
heilsam beeinflussen sollen, das Volk kennen lernen, wenn sie nicht bloß den
nußern Dienst, sondern auch den innern unter völlig gleichen Bedingungen
zwei Jahre lang mit allen zu leisten hätten!

Fast an allen Universitäten macht sich unter den Studenten ein Drang
nach sozialer Thätigkeit geltend. Nun, in der Kaserne fände dieser Drang,
heilsam auf das Volk zu wirken, reichliche und lohnende Gelegenheit. Die
später die führenden Stände im Volke sein sollen, würden ganz unwillkürlich
vermöge ihrer überlegnen Bildung eine geistig führende Stellung unter ihren
gleichgestellten Kameraden einnehmen. Und wer es hier nicht vermag, der
wird nie ein eigentlich führender Charakter werden, selbst wenn er sich später
mit noch so viel äußerer Autorität des Amts umgiebt.

Als Scharnhorst die allgemeine Wehrpflicht empfahl, schrieb er, je weicher
die Sitten würden, um so nötiger sei den Nationen die militärische Erziehung,
damit die männlichen Tugenden einfacher Zeiten der Kulturwelt erhalten
blieben, die rüstige Kraft des Leibes und des Willens den fein Gebildeten
nicht verloren ginge. In unsrer nervösen Zeit, wo man der allgemeinen
Nervosität der Gebildeten durch allerhand Sport und Spiel aufzuhelfen sucht,
sollte man das beste Mittel zur Stärkung der Nerven, eine allgemeine zwei¬
jährige Dienstzeit, nicht verschmähen. Sprach es doch neulich ein Nervenarzt
öffentlich aus, daß ein großer Teil der Nervösen gerade die Pressen besucht
hätte. Natürlich bei mangelhafter Veranlagung oder mangelhaftem Fleiß soll
der Jüngling doch wenigstens zum Einjährigen, und zwar mit Hochdruck, ge¬
preßt werden, und das macht nervös.

Man meine nicht, es sei Abhärtung genug, die der äußere Dienst mit
sich bringe. Es ist doch gewiß ein großer Unterschied, ob sich der Einjährige
nach einem anstrengenden Übungsinarsche in seine eigne bequeme Wohnung
begiebt, die Sachen vom Putzer reinigen läßt und sich an ein reichliches Diner
setzt, oder ob der Zweijährige sich selbst bedienen und sich genügen lassen muß
mit dem, was die Kaserne bietet. Ist es aber nicht unerhört, daß man unsre
gebildeten jungen Leute in die Kaserne steckt! Als die allgemeine Wehrpflicht
eingeführt wurde, hatte man dieselben Bedenken. Treitschke berichtet: „Die
Söhne der gebildeten Klassen in Friedenszeiten ohne weiteres in das stehende
Heer einzureihen, erschien dieser Zeit, die soeben der Barbarei der alten Kriegs¬
zucht entwnchs, als eine unerträgliche Härte." Nun, man hat diese Härte
ertragen und segnen gelernt, man wird auch die Härte des Kasernendienstes
ertragen und rühmen lernen. In Wallensteins Lager wollen die Eltern ihren
Sohn vom Heeresdienst zurückhalten und sagen: Er ist guter Leute Kind.
Darauf antworteten die Soldaten: Wir auch nicht auf der Straße gefunden
sind. Mit einem ungleich größern Rechte können heute unsre Soldaten dem,


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[0708] Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes die verschiednen Stände näher? Es giebt heutzutage leider recht wenig Ge¬ legenheit dazu. Wie ganz anders würden die, die später das Volk führen und heilsam beeinflussen sollen, das Volk kennen lernen, wenn sie nicht bloß den nußern Dienst, sondern auch den innern unter völlig gleichen Bedingungen zwei Jahre lang mit allen zu leisten hätten! Fast an allen Universitäten macht sich unter den Studenten ein Drang nach sozialer Thätigkeit geltend. Nun, in der Kaserne fände dieser Drang, heilsam auf das Volk zu wirken, reichliche und lohnende Gelegenheit. Die später die führenden Stände im Volke sein sollen, würden ganz unwillkürlich vermöge ihrer überlegnen Bildung eine geistig führende Stellung unter ihren gleichgestellten Kameraden einnehmen. Und wer es hier nicht vermag, der wird nie ein eigentlich führender Charakter werden, selbst wenn er sich später mit noch so viel äußerer Autorität des Amts umgiebt. Als Scharnhorst die allgemeine Wehrpflicht empfahl, schrieb er, je weicher die Sitten würden, um so nötiger sei den Nationen die militärische Erziehung, damit die männlichen Tugenden einfacher Zeiten der Kulturwelt erhalten blieben, die rüstige Kraft des Leibes und des Willens den fein Gebildeten nicht verloren ginge. In unsrer nervösen Zeit, wo man der allgemeinen Nervosität der Gebildeten durch allerhand Sport und Spiel aufzuhelfen sucht, sollte man das beste Mittel zur Stärkung der Nerven, eine allgemeine zwei¬ jährige Dienstzeit, nicht verschmähen. Sprach es doch neulich ein Nervenarzt öffentlich aus, daß ein großer Teil der Nervösen gerade die Pressen besucht hätte. Natürlich bei mangelhafter Veranlagung oder mangelhaftem Fleiß soll der Jüngling doch wenigstens zum Einjährigen, und zwar mit Hochdruck, ge¬ preßt werden, und das macht nervös. Man meine nicht, es sei Abhärtung genug, die der äußere Dienst mit sich bringe. Es ist doch gewiß ein großer Unterschied, ob sich der Einjährige nach einem anstrengenden Übungsinarsche in seine eigne bequeme Wohnung begiebt, die Sachen vom Putzer reinigen läßt und sich an ein reichliches Diner setzt, oder ob der Zweijährige sich selbst bedienen und sich genügen lassen muß mit dem, was die Kaserne bietet. Ist es aber nicht unerhört, daß man unsre gebildeten jungen Leute in die Kaserne steckt! Als die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, hatte man dieselben Bedenken. Treitschke berichtet: „Die Söhne der gebildeten Klassen in Friedenszeiten ohne weiteres in das stehende Heer einzureihen, erschien dieser Zeit, die soeben der Barbarei der alten Kriegs¬ zucht entwnchs, als eine unerträgliche Härte." Nun, man hat diese Härte ertragen und segnen gelernt, man wird auch die Härte des Kasernendienstes ertragen und rühmen lernen. In Wallensteins Lager wollen die Eltern ihren Sohn vom Heeresdienst zurückhalten und sagen: Er ist guter Leute Kind. Darauf antworteten die Soldaten: Wir auch nicht auf der Straße gefunden sind. Mit einem ungleich größern Rechte können heute unsre Soldaten dem, Grenzbote» IV 1898 88

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/708>, abgerufen am 05.07.2024.