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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Abschaffung des einjährigen Herresdienstes

der sich zu gut für die Kaserne dünkt, sagen: Wir auch nicht auf der Gasse
gefunden sind.

Vom Jahre 1900 an sollen auch alle Volksschullehrer einjährig dienen.
Es wäre für ihren Stand außerordentlich wichtig, wenn bis dahin das Vor¬
recht des einjährigen Dienstes überhaupt abgeschafft würde. Dienten alle,
also auch die Volksschullehrer zwei Jahre, so würde ihnen die mißliche Lage
erspart bleiben, eine Art Einjähriger zweiter Ordnung vorzustellen.

Auch das Heer würde von dieser allgemeinen Änderung einen Vorteil
haben. Als die zweijährige Dienstzeit eingeführt wurde, sind viele Bedenken
geltend gemacht worden. Man sagte: Daran ist kein Zweifel, daß in zwei
Jahren, zumal bei unsrer Schulbildung, gelernt werden kann, was ein gut
ausgebildeter Soldat lernen soll -- aber das Gelernte soll auch geübt werden,
soll, bis zum Mechanismus geübt, in Fleisch und Blut übergehen. Werden
zwei Jahre dazu genügen? Wenn man dies Bedenken schon gegen die zwei¬
jährige Dienstzeit geäußert hat, so sollte man doch Grund genug haben, es
auch gegen die einjährige zu wenden. Vielfach werden ja auch die Einjährigen
als Füllsel betrachtet, das von den andern mit fortgerissen wird. Auch die
Ausbildung von Reserveoffizieren würde bei einer allgemeinen zweijährigen
Dienstzeit nicht auf Schwierigkeiten stoßen, da ja dasselbe Material vorhanden
ist, aus dem diese Offiziere gewählt werden. Ja die Zahl der militärisch und
sozial dazu geeigneten jungen Leute würde sogar größer sein als jetzt, wo nur
die jungen Leute bei der Beförderung in Frage kommen, die die Prüfung zum
Einjährig-Freiwilligen bestanden haben. Fällt aber diese ganze Einrichtung
weg, so bieten sich zur Beförderung in höhere Chargen viele dar, die bisher
davon ausgeschlossen waren, z. B. Techniker, angehende Bahnmeister, Ober¬
steiger, Maurermeister und Zimmermeister usw. Und wer in sozialer Be¬
ziehung für die Stellung eines Reserve- oder Landwehroffiziers geeigneter sei,
ein angehender Zimmermeister oder ein von der Presse eben Entlassener, kann
kaum zweifelhaft sein. Der erste weiß jedenfalls mit Leuten umzugehen.

Noch ein andrer Gedanke ließe sich daran anschließen. Heutzutage sind
alle höhern Berufsarten so überfüllt, daß ein junger Mann gewöhnlich sieben
Jahre auf eine Anstellung warten muß. Hat ein solcher Anwärter zwei Jahre
gedient, so ist er vielleicht schon im zweiten Jahre Unteroffizier geworden;
würde da nicht mancher bei der Überfüllung der Zivilberufe gern noch ein
drittes, vielleicht viertes Jahr beim Militär bleiben und Unteroffiziersdienste
oder wohl auch Offiziersdienste thun, wenn ihm diese Zeit als Staatsdienst
angerechnet würde? Jedenfalls könnte er seine Wartezeit kaum billiger, nütz¬
licher und gesunder hinbringen, als so. Würde dies mehrfach geschehen, so
brauchte unser Heer eine Anzahl Berufsunteroffiziere weniger, und der Staat
wäre nicht genötigt, eine so große Anzahl von Militäranwärtern, wie jetzt,
im Zivildienst zu versorgen.


Die Abschaffung des einjährigen Herresdienstes

der sich zu gut für die Kaserne dünkt, sagen: Wir auch nicht auf der Gasse
gefunden sind.

Vom Jahre 1900 an sollen auch alle Volksschullehrer einjährig dienen.
Es wäre für ihren Stand außerordentlich wichtig, wenn bis dahin das Vor¬
recht des einjährigen Dienstes überhaupt abgeschafft würde. Dienten alle,
also auch die Volksschullehrer zwei Jahre, so würde ihnen die mißliche Lage
erspart bleiben, eine Art Einjähriger zweiter Ordnung vorzustellen.

Auch das Heer würde von dieser allgemeinen Änderung einen Vorteil
haben. Als die zweijährige Dienstzeit eingeführt wurde, sind viele Bedenken
geltend gemacht worden. Man sagte: Daran ist kein Zweifel, daß in zwei
Jahren, zumal bei unsrer Schulbildung, gelernt werden kann, was ein gut
ausgebildeter Soldat lernen soll — aber das Gelernte soll auch geübt werden,
soll, bis zum Mechanismus geübt, in Fleisch und Blut übergehen. Werden
zwei Jahre dazu genügen? Wenn man dies Bedenken schon gegen die zwei¬
jährige Dienstzeit geäußert hat, so sollte man doch Grund genug haben, es
auch gegen die einjährige zu wenden. Vielfach werden ja auch die Einjährigen
als Füllsel betrachtet, das von den andern mit fortgerissen wird. Auch die
Ausbildung von Reserveoffizieren würde bei einer allgemeinen zweijährigen
Dienstzeit nicht auf Schwierigkeiten stoßen, da ja dasselbe Material vorhanden
ist, aus dem diese Offiziere gewählt werden. Ja die Zahl der militärisch und
sozial dazu geeigneten jungen Leute würde sogar größer sein als jetzt, wo nur
die jungen Leute bei der Beförderung in Frage kommen, die die Prüfung zum
Einjährig-Freiwilligen bestanden haben. Fällt aber diese ganze Einrichtung
weg, so bieten sich zur Beförderung in höhere Chargen viele dar, die bisher
davon ausgeschlossen waren, z. B. Techniker, angehende Bahnmeister, Ober¬
steiger, Maurermeister und Zimmermeister usw. Und wer in sozialer Be¬
ziehung für die Stellung eines Reserve- oder Landwehroffiziers geeigneter sei,
ein angehender Zimmermeister oder ein von der Presse eben Entlassener, kann
kaum zweifelhaft sein. Der erste weiß jedenfalls mit Leuten umzugehen.

Noch ein andrer Gedanke ließe sich daran anschließen. Heutzutage sind
alle höhern Berufsarten so überfüllt, daß ein junger Mann gewöhnlich sieben
Jahre auf eine Anstellung warten muß. Hat ein solcher Anwärter zwei Jahre
gedient, so ist er vielleicht schon im zweiten Jahre Unteroffizier geworden;
würde da nicht mancher bei der Überfüllung der Zivilberufe gern noch ein
drittes, vielleicht viertes Jahr beim Militär bleiben und Unteroffiziersdienste
oder wohl auch Offiziersdienste thun, wenn ihm diese Zeit als Staatsdienst
angerechnet würde? Jedenfalls könnte er seine Wartezeit kaum billiger, nütz¬
licher und gesunder hinbringen, als so. Würde dies mehrfach geschehen, so
brauchte unser Heer eine Anzahl Berufsunteroffiziere weniger, und der Staat
wäre nicht genötigt, eine so große Anzahl von Militäranwärtern, wie jetzt,
im Zivildienst zu versorgen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/709>, abgerufen am 05.07.2024.