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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes

wiewohl auch hier die schwarz-weißen Schnüren einen Unterschied bezeichnen,
der nicht auf eine größere militärische Tüchtigkeit hinweist, wie etwa die Schie߬
schnüre. Nun sehe man sich aber auch den innern Dienst in der Kaserne
an! Da jeder Militärdienst im Frieden eine Vorbereitung für den Ernstfall
des Krieges sein soll, so wird man es für selbstverständlich halten, daß jeder
Mann an die Zucht, an das Zusammenleben, Schlafen, Essen usw. mit seinen
Kameraden von vornherein gewöhnt werde.

Gesetzt, alle ohne Ausnahme müßten zwei Jahre in der Kaserne unter
denselben Bedingungen dienen, welchen Einfluß würde das auf das Kasernen¬
leben und auf den Charakter des Einzelnen ausüben? Das Kasernenleben
würde sicherlich auf diese Weise veredelt werden. Viele Mißstünde, die man
darin beklagt, würden schon dadurch gemindert werden, daß dann in der
Kaserne auch solche Personen wären, die sehr empfindlich und zugleich schreib¬
gewöhnt sind. Die Furcht vor den Beschwerden der Insassen über etwaige
Mißstände, über Mißhandlungen, die fast nur beim innern Dienst vorkommen,
über mangelhafte Zurichtung der Speisen u. tgi. würde oft sehr vorteilhaft
wirken.

Man bemüht sich jetzt, schlechte Gesinnung, namentlich auch schlechte Lek¬
türe von der Kaserne fernzuhalten, zugleich aber hält man die Personen von der
Kaserne fern, die sonst im ganzen spätern Leben dazu berufen sind, den vater¬
ländischen guten Geist zu pflegen. Wäre es nicht das einfachste Mittel, bessern
Geist in die Kasernen zu bringen, wenn man auch die sogenannten bessern
Stände hineinbrachte? Als im Jahre 1808 die allgemeine Wehrpflicht in
Preußen eingeführt oder doch vorbereitet wurde, fielen auch die entehrenden
Strafen weg, "denn, heißt es in den neuen Kriegsartikeln vom 3. August, man
erwartet, daß die jungen Leute von guter Erziehung und feineren Ehrgefühl,
die fortan als gemeine Soldaten ins Heer treten, ein gutes Beispiel vernünf¬
tigen Gehorsams und wirksamer Anwendung ihrer Kräfte geben und es da¬
durch möglich machen werden, mit einer gelinden Behandlung Ordnung und
Disziplin aufrecht zu erhalten." Sollte das nicht heute noch und zwar auch
für den innern Dienst gelten?

Man kennt das Schlagwort "Einheitsschule." Immer von neuem wird
die Forderung erhoben: Fort mit den Vorschulen, laßt alle Schüler ohne Aus¬
nahme bis zum zehnten oder zwölften Jahre in dieselbe Volksschule gehen.
Da treten sich die verschiednen Stände näher, da sitzt das Grafenkind neben
dem Tagelöhnerkinde, da nähern sich sozial die verschiednen Stände. Es soll
hier nicht untersucht werden, ob dies die Folge der einheitlichen Volksschule
sein würde. Aber wenn man an den gemeinsamen Aufenthalt in der Schule
bei zehn- oder zwölfjährigen Kindern solche Hoffnungen knüpft, ist man dann
nicht viel mehr berechtigt, von dem gemeinsamen Kasernenleben zwanzigjähriger
Jünglinge einen sozialen Ausgleich zu erwarten? Wo treten sich denn sonst


Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes

wiewohl auch hier die schwarz-weißen Schnüren einen Unterschied bezeichnen,
der nicht auf eine größere militärische Tüchtigkeit hinweist, wie etwa die Schie߬
schnüre. Nun sehe man sich aber auch den innern Dienst in der Kaserne
an! Da jeder Militärdienst im Frieden eine Vorbereitung für den Ernstfall
des Krieges sein soll, so wird man es für selbstverständlich halten, daß jeder
Mann an die Zucht, an das Zusammenleben, Schlafen, Essen usw. mit seinen
Kameraden von vornherein gewöhnt werde.

Gesetzt, alle ohne Ausnahme müßten zwei Jahre in der Kaserne unter
denselben Bedingungen dienen, welchen Einfluß würde das auf das Kasernen¬
leben und auf den Charakter des Einzelnen ausüben? Das Kasernenleben
würde sicherlich auf diese Weise veredelt werden. Viele Mißstünde, die man
darin beklagt, würden schon dadurch gemindert werden, daß dann in der
Kaserne auch solche Personen wären, die sehr empfindlich und zugleich schreib¬
gewöhnt sind. Die Furcht vor den Beschwerden der Insassen über etwaige
Mißstände, über Mißhandlungen, die fast nur beim innern Dienst vorkommen,
über mangelhafte Zurichtung der Speisen u. tgi. würde oft sehr vorteilhaft
wirken.

Man bemüht sich jetzt, schlechte Gesinnung, namentlich auch schlechte Lek¬
türe von der Kaserne fernzuhalten, zugleich aber hält man die Personen von der
Kaserne fern, die sonst im ganzen spätern Leben dazu berufen sind, den vater¬
ländischen guten Geist zu pflegen. Wäre es nicht das einfachste Mittel, bessern
Geist in die Kasernen zu bringen, wenn man auch die sogenannten bessern
Stände hineinbrachte? Als im Jahre 1808 die allgemeine Wehrpflicht in
Preußen eingeführt oder doch vorbereitet wurde, fielen auch die entehrenden
Strafen weg, „denn, heißt es in den neuen Kriegsartikeln vom 3. August, man
erwartet, daß die jungen Leute von guter Erziehung und feineren Ehrgefühl,
die fortan als gemeine Soldaten ins Heer treten, ein gutes Beispiel vernünf¬
tigen Gehorsams und wirksamer Anwendung ihrer Kräfte geben und es da¬
durch möglich machen werden, mit einer gelinden Behandlung Ordnung und
Disziplin aufrecht zu erhalten." Sollte das nicht heute noch und zwar auch
für den innern Dienst gelten?

Man kennt das Schlagwort „Einheitsschule." Immer von neuem wird
die Forderung erhoben: Fort mit den Vorschulen, laßt alle Schüler ohne Aus¬
nahme bis zum zehnten oder zwölften Jahre in dieselbe Volksschule gehen.
Da treten sich die verschiednen Stände näher, da sitzt das Grafenkind neben
dem Tagelöhnerkinde, da nähern sich sozial die verschiednen Stände. Es soll
hier nicht untersucht werden, ob dies die Folge der einheitlichen Volksschule
sein würde. Aber wenn man an den gemeinsamen Aufenthalt in der Schule
bei zehn- oder zwölfjährigen Kindern solche Hoffnungen knüpft, ist man dann
nicht viel mehr berechtigt, von dem gemeinsamen Kasernenleben zwanzigjähriger
Jünglinge einen sozialen Ausgleich zu erwarten? Wo treten sich denn sonst


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[0707] Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes wiewohl auch hier die schwarz-weißen Schnüren einen Unterschied bezeichnen, der nicht auf eine größere militärische Tüchtigkeit hinweist, wie etwa die Schie߬ schnüre. Nun sehe man sich aber auch den innern Dienst in der Kaserne an! Da jeder Militärdienst im Frieden eine Vorbereitung für den Ernstfall des Krieges sein soll, so wird man es für selbstverständlich halten, daß jeder Mann an die Zucht, an das Zusammenleben, Schlafen, Essen usw. mit seinen Kameraden von vornherein gewöhnt werde. Gesetzt, alle ohne Ausnahme müßten zwei Jahre in der Kaserne unter denselben Bedingungen dienen, welchen Einfluß würde das auf das Kasernen¬ leben und auf den Charakter des Einzelnen ausüben? Das Kasernenleben würde sicherlich auf diese Weise veredelt werden. Viele Mißstünde, die man darin beklagt, würden schon dadurch gemindert werden, daß dann in der Kaserne auch solche Personen wären, die sehr empfindlich und zugleich schreib¬ gewöhnt sind. Die Furcht vor den Beschwerden der Insassen über etwaige Mißstände, über Mißhandlungen, die fast nur beim innern Dienst vorkommen, über mangelhafte Zurichtung der Speisen u. tgi. würde oft sehr vorteilhaft wirken. Man bemüht sich jetzt, schlechte Gesinnung, namentlich auch schlechte Lek¬ türe von der Kaserne fernzuhalten, zugleich aber hält man die Personen von der Kaserne fern, die sonst im ganzen spätern Leben dazu berufen sind, den vater¬ ländischen guten Geist zu pflegen. Wäre es nicht das einfachste Mittel, bessern Geist in die Kasernen zu bringen, wenn man auch die sogenannten bessern Stände hineinbrachte? Als im Jahre 1808 die allgemeine Wehrpflicht in Preußen eingeführt oder doch vorbereitet wurde, fielen auch die entehrenden Strafen weg, „denn, heißt es in den neuen Kriegsartikeln vom 3. August, man erwartet, daß die jungen Leute von guter Erziehung und feineren Ehrgefühl, die fortan als gemeine Soldaten ins Heer treten, ein gutes Beispiel vernünf¬ tigen Gehorsams und wirksamer Anwendung ihrer Kräfte geben und es da¬ durch möglich machen werden, mit einer gelinden Behandlung Ordnung und Disziplin aufrecht zu erhalten." Sollte das nicht heute noch und zwar auch für den innern Dienst gelten? Man kennt das Schlagwort „Einheitsschule." Immer von neuem wird die Forderung erhoben: Fort mit den Vorschulen, laßt alle Schüler ohne Aus¬ nahme bis zum zehnten oder zwölften Jahre in dieselbe Volksschule gehen. Da treten sich die verschiednen Stände näher, da sitzt das Grafenkind neben dem Tagelöhnerkinde, da nähern sich sozial die verschiednen Stände. Es soll hier nicht untersucht werden, ob dies die Folge der einheitlichen Volksschule sein würde. Aber wenn man an den gemeinsamen Aufenthalt in der Schule bei zehn- oder zwölfjährigen Kindern solche Hoffnungen knüpft, ist man dann nicht viel mehr berechtigt, von dem gemeinsamen Kasernenleben zwanzigjähriger Jünglinge einen sozialen Ausgleich zu erwarten? Wo treten sich denn sonst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/707>, abgerufen am 27.07.2024.