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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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"Ane Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

Um Mittag, als es gerade zwölf Uhr schlug, stand ich auf der Molken¬
kur über dem Schlosse und sah hinunter auf die Stadt und das tiefe Neckar¬
thal und in die Rheinebene hinaus, durch die sich das blitzende Silberband
des schönen Flusses zieht; da begannen unten in Heidelberg die Glocken der
Kirchen feierlich zu läuten. "Das ist für Bismarck," hieß es ringsum, und
in der Stadt zeigten sich rasch an Zahl zunehmende Trauerfahnen in den
deutschen und badischen Farben auf Halbstock oder im Flor. Alt-Heidelberg
hüllte sich in Trauer um des Reiches Gründer, der den Drachen der verderb¬
lichen Zwietracht erschlagen hatte. Am nächsten Tage fuhr ich weiter ins Elsaß
hinein und dann über Saarbrücken durch Lothringen bis Metz, durch ein seiner
ganzen Natur nach urdeutsches Land, von dem der französische Firnis völlig
verschwunden ist, und wo jedes Amtsgebäude den kaiserlichen Adler trügt. Auch
hier hatten die Bahnhöfe, die PostHäuser, die Gebäude der Behörden, die
Kasernen, die trotzigen Forts von Metz die Reichsflagge halbmast gesetzt, und
die Offiziere trugen den Flor; sehr nachdrücklich zeigten so die Eroberer den
Eingebornen, daß ihr Land deutsch sei.

In der That, welcher andre Schauplatz wäre mehr geeignet gewesen, an
das Wirken des Gewaltigen zu erinnern, als dieser? Ihm vor allem ver¬
danken wir den Besitz dieser herrlichen Lande, die er dem Fremden entriß und
dem Vaterlande wieder anfügte, nicht um der Elsüsfer, sondern um des Reiches
willen, die wieder in französischen Händen zu sehen sür uns ganz unerträglich
und undenkbar wäre, die wir vielmehr festhalten müssen und festhalten mit
eisernem Griff.

Auch er ist nun von uns gegangen -- zehn Jahre nach seinein "alten
Herrn," acht Jahre nach seinem Kampf- und Siegesgenossen Moltke. Schon
mehr als acht Jahre war er außer Amt, und doch war er eine Macht allein
für sich geblieben. Seinem Urteile lauschte die Welt, alljährlich zogen Tausende
aus allen deutschen Gauen bis aus der grünen Steiermark zu ihm, um ihn
zu sehen und zu hören und ihm zu huldigen, und sein Geburtstag wurde ge¬
feiert als ein nationales Fest. Noch niemals hat ein Deutscher in seinem
Volke, noch niemals ein Staatsmann in der Welt eine solche Stellung ein¬
genommen. Noch immer will es uns nicht in den Sinn, daß das nun alles
mit einemmale zu Ende ist, daß uns nichts mehr bleibt als die Erinnerung.

Man hat sich tausendfach bemüht, sein unvergleichliches Wirken zu wür¬
digen, sein Wesen zu charakterisiren. Er hat es der Welt leicht gemacht, denn
er war schon bei Lebzeiten eine historische Persönlichkeit geworden, und wenn
er der Parteien Gunst und Haß, den Edelsinn und die Gemeinheit der Menschen
an sich reichlich erfahren hat, sein Charakterbild schwankt nicht in der Geschichte,
es steht in festen, klaren Umrissen vor uns, und soviel auch die historische
Forschung, die jetzt noch kaum eingesetzt hat, daran im einzelnen berichtigen
und ergänzen mag, das gewaltige Bild wird sie in seinen Hauptzügen nicht


«Ane Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis

Um Mittag, als es gerade zwölf Uhr schlug, stand ich auf der Molken¬
kur über dem Schlosse und sah hinunter auf die Stadt und das tiefe Neckar¬
thal und in die Rheinebene hinaus, durch die sich das blitzende Silberband
des schönen Flusses zieht; da begannen unten in Heidelberg die Glocken der
Kirchen feierlich zu läuten. „Das ist für Bismarck," hieß es ringsum, und
in der Stadt zeigten sich rasch an Zahl zunehmende Trauerfahnen in den
deutschen und badischen Farben auf Halbstock oder im Flor. Alt-Heidelberg
hüllte sich in Trauer um des Reiches Gründer, der den Drachen der verderb¬
lichen Zwietracht erschlagen hatte. Am nächsten Tage fuhr ich weiter ins Elsaß
hinein und dann über Saarbrücken durch Lothringen bis Metz, durch ein seiner
ganzen Natur nach urdeutsches Land, von dem der französische Firnis völlig
verschwunden ist, und wo jedes Amtsgebäude den kaiserlichen Adler trügt. Auch
hier hatten die Bahnhöfe, die PostHäuser, die Gebäude der Behörden, die
Kasernen, die trotzigen Forts von Metz die Reichsflagge halbmast gesetzt, und
die Offiziere trugen den Flor; sehr nachdrücklich zeigten so die Eroberer den
Eingebornen, daß ihr Land deutsch sei.

In der That, welcher andre Schauplatz wäre mehr geeignet gewesen, an
das Wirken des Gewaltigen zu erinnern, als dieser? Ihm vor allem ver¬
danken wir den Besitz dieser herrlichen Lande, die er dem Fremden entriß und
dem Vaterlande wieder anfügte, nicht um der Elsüsfer, sondern um des Reiches
willen, die wieder in französischen Händen zu sehen sür uns ganz unerträglich
und undenkbar wäre, die wir vielmehr festhalten müssen und festhalten mit
eisernem Griff.

Auch er ist nun von uns gegangen — zehn Jahre nach seinein „alten
Herrn," acht Jahre nach seinem Kampf- und Siegesgenossen Moltke. Schon
mehr als acht Jahre war er außer Amt, und doch war er eine Macht allein
für sich geblieben. Seinem Urteile lauschte die Welt, alljährlich zogen Tausende
aus allen deutschen Gauen bis aus der grünen Steiermark zu ihm, um ihn
zu sehen und zu hören und ihm zu huldigen, und sein Geburtstag wurde ge¬
feiert als ein nationales Fest. Noch niemals hat ein Deutscher in seinem
Volke, noch niemals ein Staatsmann in der Welt eine solche Stellung ein¬
genommen. Noch immer will es uns nicht in den Sinn, daß das nun alles
mit einemmale zu Ende ist, daß uns nichts mehr bleibt als die Erinnerung.

Man hat sich tausendfach bemüht, sein unvergleichliches Wirken zu wür¬
digen, sein Wesen zu charakterisiren. Er hat es der Welt leicht gemacht, denn
er war schon bei Lebzeiten eine historische Persönlichkeit geworden, und wenn
er der Parteien Gunst und Haß, den Edelsinn und die Gemeinheit der Menschen
an sich reichlich erfahren hat, sein Charakterbild schwankt nicht in der Geschichte,
es steht in festen, klaren Umrissen vor uns, und soviel auch die historische
Forschung, die jetzt noch kaum eingesetzt hat, daran im einzelnen berichtigen
und ergänzen mag, das gewaltige Bild wird sie in seinen Hauptzügen nicht


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[0677] «Ane Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis Um Mittag, als es gerade zwölf Uhr schlug, stand ich auf der Molken¬ kur über dem Schlosse und sah hinunter auf die Stadt und das tiefe Neckar¬ thal und in die Rheinebene hinaus, durch die sich das blitzende Silberband des schönen Flusses zieht; da begannen unten in Heidelberg die Glocken der Kirchen feierlich zu läuten. „Das ist für Bismarck," hieß es ringsum, und in der Stadt zeigten sich rasch an Zahl zunehmende Trauerfahnen in den deutschen und badischen Farben auf Halbstock oder im Flor. Alt-Heidelberg hüllte sich in Trauer um des Reiches Gründer, der den Drachen der verderb¬ lichen Zwietracht erschlagen hatte. Am nächsten Tage fuhr ich weiter ins Elsaß hinein und dann über Saarbrücken durch Lothringen bis Metz, durch ein seiner ganzen Natur nach urdeutsches Land, von dem der französische Firnis völlig verschwunden ist, und wo jedes Amtsgebäude den kaiserlichen Adler trügt. Auch hier hatten die Bahnhöfe, die PostHäuser, die Gebäude der Behörden, die Kasernen, die trotzigen Forts von Metz die Reichsflagge halbmast gesetzt, und die Offiziere trugen den Flor; sehr nachdrücklich zeigten so die Eroberer den Eingebornen, daß ihr Land deutsch sei. In der That, welcher andre Schauplatz wäre mehr geeignet gewesen, an das Wirken des Gewaltigen zu erinnern, als dieser? Ihm vor allem ver¬ danken wir den Besitz dieser herrlichen Lande, die er dem Fremden entriß und dem Vaterlande wieder anfügte, nicht um der Elsüsfer, sondern um des Reiches willen, die wieder in französischen Händen zu sehen sür uns ganz unerträglich und undenkbar wäre, die wir vielmehr festhalten müssen und festhalten mit eisernem Griff. Auch er ist nun von uns gegangen — zehn Jahre nach seinein „alten Herrn," acht Jahre nach seinem Kampf- und Siegesgenossen Moltke. Schon mehr als acht Jahre war er außer Amt, und doch war er eine Macht allein für sich geblieben. Seinem Urteile lauschte die Welt, alljährlich zogen Tausende aus allen deutschen Gauen bis aus der grünen Steiermark zu ihm, um ihn zu sehen und zu hören und ihm zu huldigen, und sein Geburtstag wurde ge¬ feiert als ein nationales Fest. Noch niemals hat ein Deutscher in seinem Volke, noch niemals ein Staatsmann in der Welt eine solche Stellung ein¬ genommen. Noch immer will es uns nicht in den Sinn, daß das nun alles mit einemmale zu Ende ist, daß uns nichts mehr bleibt als die Erinnerung. Man hat sich tausendfach bemüht, sein unvergleichliches Wirken zu wür¬ digen, sein Wesen zu charakterisiren. Er hat es der Welt leicht gemacht, denn er war schon bei Lebzeiten eine historische Persönlichkeit geworden, und wenn er der Parteien Gunst und Haß, den Edelsinn und die Gemeinheit der Menschen an sich reichlich erfahren hat, sein Charakterbild schwankt nicht in der Geschichte, es steht in festen, klaren Umrissen vor uns, und soviel auch die historische Forschung, die jetzt noch kaum eingesetzt hat, daran im einzelnen berichtigen und ergänzen mag, das gewaltige Bild wird sie in seinen Hauptzügen nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/677>, abgerufen am 12.12.2024.