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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Sue Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis
als Abschied vom Jahre ^898
von Veto Uaemmel

s War am Morgen des 31. Juli in Heidelberg. Den ganzen
Nachmittag vorher hatte es auf der Fahrt dahin stark geregnet,
und ich trat gegen sieben Uhr früh aus dem Hotel, um mich
nach dem Wetter umzuthun, das aufzuklären begann. Da sehe
ich auf der noch wenig belebten Straße einen Mann stehen mit
großen schwarzumränderten Blättern über dem Arm, auf denen ein Porträt
"u sehen war. "Fürst Bismarck ist tot," sagte er auf meine Frage und reichte
mir das Extrablatt. Tief erschüttert las ich die kurze Meldung, und ich war
allein. Fast gewaltsam suchte ich mir einzureden, es sei vielleicht doch ein
Irrtum, aber es legte sich mir wie ein Schleier über die herrliche, immer mehr
un Glänze der Sonne sich ausbreitende Landschaft, als ich durch den stillen
Sonntagmorgen nach dem Schlosse hinaufstieg, das sich, ein stolzes Denkmal
deutscher Kunst und eine unvergeßliche Mahnung an französische Barbarei, in
leuchtendem Rot vom tiefblauen Himmel abhob. Ich hörte, wie ein Fremden¬
führer, den ich überholte, zu einem Reisenden sagte: "Es ist doch ein sehr
großer Mann gewesen! Wenn die deutsche Einheit zweihundert Jahre früher
gekommen wäre, dann stünde das Schloß noch." Jawohl, diese gesegneten
Rheinlande haben schwerer als andre Teile des Reichs dafür gebüßt, daß die
politische Unfähigkeit und die kurzsichtige Selbstsucht früherer Geschlechter das
alte Reich in Fetzen riß und es den Fremden unter die Füße warf, und kein
Land schwerer als die fröhliche Pfalz, keine Stadt so schrecklich wie Alt-
Heidelberg !


Grenzbvte" IV 1898 84


Sue Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis
als Abschied vom Jahre ^898
von Veto Uaemmel

s War am Morgen des 31. Juli in Heidelberg. Den ganzen
Nachmittag vorher hatte es auf der Fahrt dahin stark geregnet,
und ich trat gegen sieben Uhr früh aus dem Hotel, um mich
nach dem Wetter umzuthun, das aufzuklären begann. Da sehe
ich auf der noch wenig belebten Straße einen Mann stehen mit
großen schwarzumränderten Blättern über dem Arm, auf denen ein Porträt
»u sehen war. „Fürst Bismarck ist tot," sagte er auf meine Frage und reichte
mir das Extrablatt. Tief erschüttert las ich die kurze Meldung, und ich war
allein. Fast gewaltsam suchte ich mir einzureden, es sei vielleicht doch ein
Irrtum, aber es legte sich mir wie ein Schleier über die herrliche, immer mehr
un Glänze der Sonne sich ausbreitende Landschaft, als ich durch den stillen
Sonntagmorgen nach dem Schlosse hinaufstieg, das sich, ein stolzes Denkmal
deutscher Kunst und eine unvergeßliche Mahnung an französische Barbarei, in
leuchtendem Rot vom tiefblauen Himmel abhob. Ich hörte, wie ein Fremden¬
führer, den ich überholte, zu einem Reisenden sagte: „Es ist doch ein sehr
großer Mann gewesen! Wenn die deutsche Einheit zweihundert Jahre früher
gekommen wäre, dann stünde das Schloß noch." Jawohl, diese gesegneten
Rheinlande haben schwerer als andre Teile des Reichs dafür gebüßt, daß die
politische Unfähigkeit und die kurzsichtige Selbstsucht früherer Geschlechter das
alte Reich in Fetzen riß und es den Fremden unter die Füße warf, und kein
Land schwerer als die fröhliche Pfalz, keine Stadt so schrecklich wie Alt-
Heidelberg !


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[0676] [Abbildung] Sue Schulrede am Sedantage zu Bismarcks Gedächtnis als Abschied vom Jahre ^898 von Veto Uaemmel s War am Morgen des 31. Juli in Heidelberg. Den ganzen Nachmittag vorher hatte es auf der Fahrt dahin stark geregnet, und ich trat gegen sieben Uhr früh aus dem Hotel, um mich nach dem Wetter umzuthun, das aufzuklären begann. Da sehe ich auf der noch wenig belebten Straße einen Mann stehen mit großen schwarzumränderten Blättern über dem Arm, auf denen ein Porträt »u sehen war. „Fürst Bismarck ist tot," sagte er auf meine Frage und reichte mir das Extrablatt. Tief erschüttert las ich die kurze Meldung, und ich war allein. Fast gewaltsam suchte ich mir einzureden, es sei vielleicht doch ein Irrtum, aber es legte sich mir wie ein Schleier über die herrliche, immer mehr un Glänze der Sonne sich ausbreitende Landschaft, als ich durch den stillen Sonntagmorgen nach dem Schlosse hinaufstieg, das sich, ein stolzes Denkmal deutscher Kunst und eine unvergeßliche Mahnung an französische Barbarei, in leuchtendem Rot vom tiefblauen Himmel abhob. Ich hörte, wie ein Fremden¬ führer, den ich überholte, zu einem Reisenden sagte: „Es ist doch ein sehr großer Mann gewesen! Wenn die deutsche Einheit zweihundert Jahre früher gekommen wäre, dann stünde das Schloß noch." Jawohl, diese gesegneten Rheinlande haben schwerer als andre Teile des Reichs dafür gebüßt, daß die politische Unfähigkeit und die kurzsichtige Selbstsucht früherer Geschlechter das alte Reich in Fetzen riß und es den Fremden unter die Füße warf, und kein Land schwerer als die fröhliche Pfalz, keine Stadt so schrecklich wie Alt- Heidelberg ! Grenzbvte» IV 1898 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/676>, abgerufen am 05.07.2024.