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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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mehr ändern, so gut wie die Kunst es uns tausendfältig festgehalten hat, ohne
daß freilich ein einziges Bild imstande wäre, alle Seiten dieser mächtigen Ge¬
stalt zu vergegenwärtigen.

Vismarck war seit dem Mai 1862 Gesandter in Paris; er war eben von
einer Erholungsreise durch Südfrankreich zurückgekehrt, als er am 18. Sep¬
tember in Paris eine Depesche seines Freundes Moritz von Blankenburg er¬
hielt: "?miou1no in wor". Beeile dich!" Er wußte, was sie bedeutete. Seit
Jahren war davon die Rede, den bewährten Staatsmann an die Spitze des
Ministeriums zu berufen; König Wilhelm hatte immer widerstrebt, und erst
jetzt war es seinem Kriegsminister Albrecht von Roon gelungen, seine Bedenken
zu beseitigen. Die Lage in Preußen war im höchsten Grade gespannt. Das
Preußische Abgeordnetenhaus hatte die Kosten für die Heeresorganisation, König
Wilhelms "eigenstes Werk," die Vorbedingung jeder wirksamen Politik, zweimal
nur auf ein Jahr bewilligt und war damals im Begriffe, sie überhaupt zu
verwerfen, damit das ganze Werk zu zerstören und die Krone unter die Volks¬
vertretung zu beugen. In dieser Lage traf Bismarck der Ruf seines Königs.
Er hatte keinen Ehrgeiz und wäre sehr befriedigt gewesen, wenn der Ruf nicht
an ihn ergangen wäre, aber er hielt es für feig, davonzulaufen, wenn sein
Herr ihn brauchte. Am 20. September morgens traf er in Berlin ein, am
22. vormittags meldete er sich beim Könige auf Schloß Babelsberg. Dort
und auf einem Spaziergang im Park hatten beide die entscheidende Unterredung.
Der König war tief gebeugt und erklärte, wenn er auch mit ihm zu keiner
Verständigung gelange, dann werde er zu Gunsten des Kronprinzen abdanken,
der möge dann sehen, wie er fertig werde. Die Abdankungsurkunde lag fertig
auf dem Tische. "Dahin darf es in Preußen niemals kommen," sagte Bismarck
fest- "Nun gut, dann sehen Sie hier mein Programm," bemerkte der König
und reichte ihm einige eng beschriebne Blätter seiner Handschrift. Bismarck
warf einen Blick hinein und entgegnete: "Um all das handelt es sich jetzt doch
nicht, es ist die Frage, ob das Königtum oder das Abgeordnetenhaus in
Preußen regieren soll, ein Programm bindet nur." "Dann wollen Sie die
Regierung übernehmen ohne Programm?" "Ja." "Ohne Budget?" "Ja!"
"Ohne die Heeresorganisation aufzugeben?" "Ja!" "Dann sind Sie mein
Mann!" rief der König und reichte Bismarck die Hand. Der Treubund fürs
Leben war geschlossen, der Bund, der die deutsche Einheit begründen sollte.
Gebeugt und niedergeschlagen war der König gekommen, aufgerichtet und straff
ging er von dannen.

Vier Jahre heißer Kämpfe und glänzender Erfolge waren vergangen.
Schleswig-Holstein war erobert, Österreich niedergeworfen, die Grundlagen der
deutschen Einheit gefunden; als Sieger war König Wilhelm mit Graf Bismarck
am 4. August 1866 im Triumphzuge nach seiner Hauptstadt zurückgekehrt.
Seine Bitte um Indemnität, um nachträgliche Genehmigung der unbewilligten


mehr ändern, so gut wie die Kunst es uns tausendfältig festgehalten hat, ohne
daß freilich ein einziges Bild imstande wäre, alle Seiten dieser mächtigen Ge¬
stalt zu vergegenwärtigen.

Vismarck war seit dem Mai 1862 Gesandter in Paris; er war eben von
einer Erholungsreise durch Südfrankreich zurückgekehrt, als er am 18. Sep¬
tember in Paris eine Depesche seines Freundes Moritz von Blankenburg er¬
hielt: „?miou1no in wor». Beeile dich!" Er wußte, was sie bedeutete. Seit
Jahren war davon die Rede, den bewährten Staatsmann an die Spitze des
Ministeriums zu berufen; König Wilhelm hatte immer widerstrebt, und erst
jetzt war es seinem Kriegsminister Albrecht von Roon gelungen, seine Bedenken
zu beseitigen. Die Lage in Preußen war im höchsten Grade gespannt. Das
Preußische Abgeordnetenhaus hatte die Kosten für die Heeresorganisation, König
Wilhelms „eigenstes Werk," die Vorbedingung jeder wirksamen Politik, zweimal
nur auf ein Jahr bewilligt und war damals im Begriffe, sie überhaupt zu
verwerfen, damit das ganze Werk zu zerstören und die Krone unter die Volks¬
vertretung zu beugen. In dieser Lage traf Bismarck der Ruf seines Königs.
Er hatte keinen Ehrgeiz und wäre sehr befriedigt gewesen, wenn der Ruf nicht
an ihn ergangen wäre, aber er hielt es für feig, davonzulaufen, wenn sein
Herr ihn brauchte. Am 20. September morgens traf er in Berlin ein, am
22. vormittags meldete er sich beim Könige auf Schloß Babelsberg. Dort
und auf einem Spaziergang im Park hatten beide die entscheidende Unterredung.
Der König war tief gebeugt und erklärte, wenn er auch mit ihm zu keiner
Verständigung gelange, dann werde er zu Gunsten des Kronprinzen abdanken,
der möge dann sehen, wie er fertig werde. Die Abdankungsurkunde lag fertig
auf dem Tische. „Dahin darf es in Preußen niemals kommen," sagte Bismarck
fest- „Nun gut, dann sehen Sie hier mein Programm," bemerkte der König
und reichte ihm einige eng beschriebne Blätter seiner Handschrift. Bismarck
warf einen Blick hinein und entgegnete: „Um all das handelt es sich jetzt doch
nicht, es ist die Frage, ob das Königtum oder das Abgeordnetenhaus in
Preußen regieren soll, ein Programm bindet nur." „Dann wollen Sie die
Regierung übernehmen ohne Programm?" „Ja." „Ohne Budget?" „Ja!"
"Ohne die Heeresorganisation aufzugeben?" „Ja!" „Dann sind Sie mein
Mann!" rief der König und reichte Bismarck die Hand. Der Treubund fürs
Leben war geschlossen, der Bund, der die deutsche Einheit begründen sollte.
Gebeugt und niedergeschlagen war der König gekommen, aufgerichtet und straff
ging er von dannen.

Vier Jahre heißer Kämpfe und glänzender Erfolge waren vergangen.
Schleswig-Holstein war erobert, Österreich niedergeworfen, die Grundlagen der
deutschen Einheit gefunden; als Sieger war König Wilhelm mit Graf Bismarck
am 4. August 1866 im Triumphzuge nach seiner Hauptstadt zurückgekehrt.
Seine Bitte um Indemnität, um nachträgliche Genehmigung der unbewilligten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/678>, abgerufen am 24.07.2024.