Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Spuren im Schnee er eigentlich mir eine mächtige Rumpelkammer, wo verstaubte Spinnengewebe in schneller als man es für möglich gehalten hätte, wurde hier einigermaßen Und die Gäste kamen. Ein ganzer Schlittenzug sauste unter Schelleugeklingel, Es war an dem erleuchteten Ende des Rittersaals halb dunkel trotz der vielen Gute Nacht, mein Kind, sagte der Jägermeister leise zu Ellen. Dies ist keine Meinen Sie nicht auch, daß ich ganz gut gehen könnte? fragte der Doktor Ja, das können Sie gewiß gern thun. Aber -- Sie suchen doch Wohl nicht nach dem Manuskript? Über Nacht? Nein, Sie können sich darauf verlassen, daß ich das nicht thue! Das ist ja auch wahr -- ja, dann kann es mir allerdings gleichgiltig sein! -- Der Doktor ging, und das Spiel nahm seinen Anfang. Zuerst wurde ver¬ Er stand auf. Niemand vermißte ihn, denn er spielte ohne Interesse und Spuren im Schnee er eigentlich mir eine mächtige Rumpelkammer, wo verstaubte Spinnengewebe in schneller als man es für möglich gehalten hätte, wurde hier einigermaßen Und die Gäste kamen. Ein ganzer Schlittenzug sauste unter Schelleugeklingel, Es war an dem erleuchteten Ende des Rittersaals halb dunkel trotz der vielen Gute Nacht, mein Kind, sagte der Jägermeister leise zu Ellen. Dies ist keine Meinen Sie nicht auch, daß ich ganz gut gehen könnte? fragte der Doktor Ja, das können Sie gewiß gern thun. Aber — Sie suchen doch Wohl nicht nach dem Manuskript? Über Nacht? Nein, Sie können sich darauf verlassen, daß ich das nicht thue! Das ist ja auch wahr — ja, dann kann es mir allerdings gleichgiltig sein! — Der Doktor ging, und das Spiel nahm seinen Anfang. Zuerst wurde ver¬ Er stand auf. Niemand vermißte ihn, denn er spielte ohne Interesse und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0611" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229560"/> <fw type="header" place="top"> Spuren im Schnee</fw><lb/> <p xml:id="ID_1974" prev="#ID_1973"> er eigentlich mir eine mächtige Rumpelkammer, wo verstaubte Spinnengewebe in<lb/> Feder von den Balken der Decke herabhingen, und wo beschädigtes Hausgerät über<lb/> einander siel. In der einen Ecke lag eine dicke Schicht Zwiebeln auf dem Fu߬<lb/> boden, geräucherte Schinken und Würste hingen an der Wand, und nur in der<lb/> Gegend des schwarzen Marmorkamins sah es einigermaßen zivilisirt aus, deun dort<lb/> stand ein massiver eichner Tisch mit einem Dutzend wurmstichige Stühle darum.</p><lb/> <p xml:id="ID_1975"> schneller als man es für möglich gehalten hätte, wurde hier einigermaßen<lb/> aufgeräumt; bald flammte» große Holzscheite in dem rußigen Kamin, und wenn sie<lb/> auch nichts weiter thaten, so rauchten sie doch, mit säuerlichem Bucheuholzrauch.<lb/> Leuchter von den sonderbarsten Formen, alte Altarleuchter und Leuchter aus Silber<lb/> und aus Erz, wurden, Gott weiß woher, heraufgeholt, das Tischtuch wurde über<lb/> den Tisch gebreitet, und die Eßwaren wurden darauf gestellt — jetzt konnten die<lb/> Gäste kommen, wann sie wollten!</p><lb/> <p xml:id="ID_1976"> Und die Gäste kamen. Ein ganzer Schlittenzug sauste unter Schelleugeklingel,<lb/> Peitschengeknall, Lachen und Fluchen auf deu Hof; mehrere waren halb betrunken,<lb/> nüchtern war keiner, aber aller Standesunterschied war Wie weggeblasen: Fries und<lb/> Tuch saßen brüderlich neben einander um den großen Tisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1977"> Es war an dem erleuchteten Ende des Rittersaals halb dunkel trotz der vielen<lb/> Leuchter und des Feuerscheins ans dem Kamin; aber daran stieß sich niemand:<lb/> zum Essen konnte man ja hinreichend sehen, und die Speisen verschwanden wie Tau<lb/> vor der Sonne, Bier und Branntwein wurden in Strömen hinuntergegossen. Dann<lb/> wurde der Tisch abgeräumt, Rumpunsch in großen Kannen aufgetragen, und Pfeifen<lb/> und Cigarren wurden angezündet — bald konnte man die Anwesenden in einem<lb/> Abstand von einer Elle kaum mehr erkennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1978"> Gute Nacht, mein Kind, sagte der Jägermeister leise zu Ellen. Dies ist keine<lb/> Gesellschaft für dich. Und mit Thränen in den Angen mußte sie gehen — dem<lb/> Leutnant sandte sie einen flehenden Blick zu und reichte ihm die Hand im Vorüber¬<lb/> gehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1979"> Meinen Sie nicht auch, daß ich ganz gut gehen könnte? fragte der Doktor<lb/> deu Leutnant in ziemlich jämmerlichem Ton. Der Rauch genirt mich so ent¬<lb/> setzlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1980"> Ja, das können Sie gewiß gern thun.</p><lb/> <p xml:id="ID_1981"> Aber — Sie suchen doch Wohl nicht nach dem Manuskript?</p><lb/> <p xml:id="ID_1982"> Über Nacht? Nein, Sie können sich darauf verlassen, daß ich das nicht thue!<lb/> Im übrigen wissen Sie ja aber, daß ich jetzt auf eigne Hand ausgehe, insofern<lb/> kaun es Ihnen doch ganz gleichgiltig sein!</p><lb/> <p xml:id="ID_1983"> Das ist ja auch wahr — ja, dann kann es mir allerdings gleichgiltig sein! —<lb/> Gute Nacht!</p><lb/> <p xml:id="ID_1984"> Der Doktor ging, und das Spiel nahm seinen Anfang. Zuerst wurde ver¬<lb/> hältnismäßig niedrig und verhältnismäßig vorsichtig gespielt; allmählich aber machte<lb/> sich die Leidenschaft geltend, und die Einsätze wurden höher und höher. Der<lb/> Leutnant versuchte vergeblich dagegen zu halten, und vergeblich nickte er warnend<lb/> dem Jägermeister zu, der mit seiner in die Höhe stehenden Cigarre und seinem<lb/> herabhängenden Schnurrbart wilder und wilder wurde und das Spiel beständig<lb/> forciren wollte. Der Leutnant wußte mit dem besten Willen nicht, wie er Elters<lb/> Bitte erfüllen sollte, aber ihre treuherzigen Worte: Ich verlasse mich auf Sie,<lb/> Herr Leutnant! klangen ihm ununterbrochen in den Ohren. Etwas mußte ge¬<lb/> schehen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1985" next="#ID_1986"> Er stand auf. Niemand vermißte ihn, denn er spielte ohne Interesse und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0611]
Spuren im Schnee
er eigentlich mir eine mächtige Rumpelkammer, wo verstaubte Spinnengewebe in
Feder von den Balken der Decke herabhingen, und wo beschädigtes Hausgerät über
einander siel. In der einen Ecke lag eine dicke Schicht Zwiebeln auf dem Fu߬
boden, geräucherte Schinken und Würste hingen an der Wand, und nur in der
Gegend des schwarzen Marmorkamins sah es einigermaßen zivilisirt aus, deun dort
stand ein massiver eichner Tisch mit einem Dutzend wurmstichige Stühle darum.
schneller als man es für möglich gehalten hätte, wurde hier einigermaßen
aufgeräumt; bald flammte» große Holzscheite in dem rußigen Kamin, und wenn sie
auch nichts weiter thaten, so rauchten sie doch, mit säuerlichem Bucheuholzrauch.
Leuchter von den sonderbarsten Formen, alte Altarleuchter und Leuchter aus Silber
und aus Erz, wurden, Gott weiß woher, heraufgeholt, das Tischtuch wurde über
den Tisch gebreitet, und die Eßwaren wurden darauf gestellt — jetzt konnten die
Gäste kommen, wann sie wollten!
Und die Gäste kamen. Ein ganzer Schlittenzug sauste unter Schelleugeklingel,
Peitschengeknall, Lachen und Fluchen auf deu Hof; mehrere waren halb betrunken,
nüchtern war keiner, aber aller Standesunterschied war Wie weggeblasen: Fries und
Tuch saßen brüderlich neben einander um den großen Tisch.
Es war an dem erleuchteten Ende des Rittersaals halb dunkel trotz der vielen
Leuchter und des Feuerscheins ans dem Kamin; aber daran stieß sich niemand:
zum Essen konnte man ja hinreichend sehen, und die Speisen verschwanden wie Tau
vor der Sonne, Bier und Branntwein wurden in Strömen hinuntergegossen. Dann
wurde der Tisch abgeräumt, Rumpunsch in großen Kannen aufgetragen, und Pfeifen
und Cigarren wurden angezündet — bald konnte man die Anwesenden in einem
Abstand von einer Elle kaum mehr erkennen.
Gute Nacht, mein Kind, sagte der Jägermeister leise zu Ellen. Dies ist keine
Gesellschaft für dich. Und mit Thränen in den Angen mußte sie gehen — dem
Leutnant sandte sie einen flehenden Blick zu und reichte ihm die Hand im Vorüber¬
gehen.
Meinen Sie nicht auch, daß ich ganz gut gehen könnte? fragte der Doktor
deu Leutnant in ziemlich jämmerlichem Ton. Der Rauch genirt mich so ent¬
setzlich.
Ja, das können Sie gewiß gern thun.
Aber — Sie suchen doch Wohl nicht nach dem Manuskript?
Über Nacht? Nein, Sie können sich darauf verlassen, daß ich das nicht thue!
Im übrigen wissen Sie ja aber, daß ich jetzt auf eigne Hand ausgehe, insofern
kaun es Ihnen doch ganz gleichgiltig sein!
Das ist ja auch wahr — ja, dann kann es mir allerdings gleichgiltig sein! —
Gute Nacht!
Der Doktor ging, und das Spiel nahm seinen Anfang. Zuerst wurde ver¬
hältnismäßig niedrig und verhältnismäßig vorsichtig gespielt; allmählich aber machte
sich die Leidenschaft geltend, und die Einsätze wurden höher und höher. Der
Leutnant versuchte vergeblich dagegen zu halten, und vergeblich nickte er warnend
dem Jägermeister zu, der mit seiner in die Höhe stehenden Cigarre und seinem
herabhängenden Schnurrbart wilder und wilder wurde und das Spiel beständig
forciren wollte. Der Leutnant wußte mit dem besten Willen nicht, wie er Elters
Bitte erfüllen sollte, aber ihre treuherzigen Worte: Ich verlasse mich auf Sie,
Herr Leutnant! klangen ihm ununterbrochen in den Ohren. Etwas mußte ge¬
schehen!
Er stand auf. Niemand vermißte ihn, denn er spielte ohne Interesse und
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