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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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bevor es zu spät ist. So wie die freie Auswanderung in dünnbevölkerte
Länder die einzige Rettung für überschüssiges Menschenmaterial übervölkerter
Länder ist, so ist die Deportation das notwendige Ventil, durch das jene Länder
von Verbrechern befreit werden.

Auf Grund dieser Erörterungen schlage ich in Übereinstimmung mit den
beiden Herren Gutachtern der geehrten Abteilung vor, die Frage: "Empfiehlt
sich ein Versuch der Deportation nach den Kolonien als Strafe?" bejahend zu
beantworten. --

Gegen die in meinem Referat vorgetragne Begründung hat sich haupt¬
sächlich der Korreferent, Rechtsanwalt Korn (Berlin) ausgesprochen. Zwar
stehen die offiziellen Protokolle zur Zeit noch aus; aber da Korn sein ab¬
lehnendes Votum schon vor der Tagung in Posen in der Ur. 19/20 der
"Deutschen Juristen-Zeitung" zum Zwecke der Orientirung der Teilnehmer am
^uristentage begründet hat und nach den bisher erschienenen Zeitungsberichten
als Korreferent dieselben Gründe am Juristentage wiederholt hat, so halte ich
"und schon ^^t zu einer kritischen Erörterung für berechtigt.

Korn beginnt seine Ausführung mit einer freilich nur Laien impo-
nirenden Statistik. Nach Foinitzkh. auf dessen unkontrollirbares Material sich
^om bezieht, sei nämlich in England mit der Einführung der Deportation die
Zahl der zu schwerer Freiheits- oder Todesstrafe Verurteilten von etwa 1000
l"n Jahresdurchschnitt von 1818--24) auf 14261 im Jahre 1834 und 23179
Jahre 1854 gestiegen, dagegen sei seit der Abschaffung der Deportation die
Durchschnittszahl stetig gesunken. Sie habe 1855 20037. 1865 14459,
1875 10954 betragen. Korn meint also, daß ein Kausalzusammenhang zwischen
Deportation und Wachstum der Kriminalität bestehe. Eine solche Annahme
aber durchaus unbegründet. Für das Wachstum des Verbrechertums sind
M erster Linie die wirtschaftlichen Verhältnisse breiter Schichten der Bevölkerung,
insbesondre der arbeitenden Klassen, maßgebend. Wirtschaftlicher Niedergang,
Mißernten, Kriege und als Folge davon Arbeitslosigkeit, Not und Verrohung
Massen sind die Hauptursachen des Verbrechertums. Sicherlich kann die
^eportationsstrafe nicht Schuld gewesen sein an der Vermehrung der Ver¬
gehen in England. Denn die einmal Deportirten konnten durch Rückfälle
Zahl der Verbrecher in England nicht weiter erhöhen. Ein Anreiz zur
Begehung von Verbrechen kann aber in der Vollziehung der Deportationsstrafe
^ehe gefunden werden, da diese Strafe in England als die schwerste nächst der
^odesstrafe galt. Noch im Jahre 1853 erklärte das mit der Untersuchung
dieses Strafmittels betraute Unterhauskomitee, daß die Deportationsstrafe wirk¬
samer und abschreckender sei als irgend eine andre Freiheitsstrafe (v. Holtzen-
°rff, Deportation, S. 168. 604). Es ist also nur ein zufälliges Ereignis,
aß nach der Aufhebung der Deportationsstrafe in England die Zahl der Ver¬
zechen sank. Wäre die Deportation die Ursache des Steigens gewesen, wie


bevor es zu spät ist. So wie die freie Auswanderung in dünnbevölkerte
Länder die einzige Rettung für überschüssiges Menschenmaterial übervölkerter
Länder ist, so ist die Deportation das notwendige Ventil, durch das jene Länder
von Verbrechern befreit werden.

Auf Grund dieser Erörterungen schlage ich in Übereinstimmung mit den
beiden Herren Gutachtern der geehrten Abteilung vor, die Frage: „Empfiehlt
sich ein Versuch der Deportation nach den Kolonien als Strafe?" bejahend zu
beantworten. —

Gegen die in meinem Referat vorgetragne Begründung hat sich haupt¬
sächlich der Korreferent, Rechtsanwalt Korn (Berlin) ausgesprochen. Zwar
stehen die offiziellen Protokolle zur Zeit noch aus; aber da Korn sein ab¬
lehnendes Votum schon vor der Tagung in Posen in der Ur. 19/20 der
»Deutschen Juristen-Zeitung" zum Zwecke der Orientirung der Teilnehmer am
^uristentage begründet hat und nach den bisher erschienenen Zeitungsberichten
als Korreferent dieselben Gründe am Juristentage wiederholt hat, so halte ich
"und schon ^^t zu einer kritischen Erörterung für berechtigt.

Korn beginnt seine Ausführung mit einer freilich nur Laien impo-
nirenden Statistik. Nach Foinitzkh. auf dessen unkontrollirbares Material sich
^om bezieht, sei nämlich in England mit der Einführung der Deportation die
Zahl der zu schwerer Freiheits- oder Todesstrafe Verurteilten von etwa 1000
l"n Jahresdurchschnitt von 1818—24) auf 14261 im Jahre 1834 und 23179
Jahre 1854 gestiegen, dagegen sei seit der Abschaffung der Deportation die
Durchschnittszahl stetig gesunken. Sie habe 1855 20037. 1865 14459,
1875 10954 betragen. Korn meint also, daß ein Kausalzusammenhang zwischen
Deportation und Wachstum der Kriminalität bestehe. Eine solche Annahme
aber durchaus unbegründet. Für das Wachstum des Verbrechertums sind
M erster Linie die wirtschaftlichen Verhältnisse breiter Schichten der Bevölkerung,
insbesondre der arbeitenden Klassen, maßgebend. Wirtschaftlicher Niedergang,
Mißernten, Kriege und als Folge davon Arbeitslosigkeit, Not und Verrohung
Massen sind die Hauptursachen des Verbrechertums. Sicherlich kann die
^eportationsstrafe nicht Schuld gewesen sein an der Vermehrung der Ver¬
gehen in England. Denn die einmal Deportirten konnten durch Rückfälle
Zahl der Verbrecher in England nicht weiter erhöhen. Ein Anreiz zur
Begehung von Verbrechen kann aber in der Vollziehung der Deportationsstrafe
^ehe gefunden werden, da diese Strafe in England als die schwerste nächst der
^odesstrafe galt. Noch im Jahre 1853 erklärte das mit der Untersuchung
dieses Strafmittels betraute Unterhauskomitee, daß die Deportationsstrafe wirk¬
samer und abschreckender sei als irgend eine andre Freiheitsstrafe (v. Holtzen-
°rff, Deportation, S. 168. 604). Es ist also nur ein zufälliges Ereignis,
aß nach der Aufhebung der Deportationsstrafe in England die Zahl der Ver¬
zechen sank. Wäre die Deportation die Ursache des Steigens gewesen, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/578>, abgerufen am 24.07.2024.