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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Oeportationsfrage vor dem deutschen Zuristentage in Posen

Korn annimmt, so müßte man heute in England schon auf dem Nullpunkte
der Kriminalität angelangt sein. Wie einseitig übrigens Korn die Statistik
verwertet, zeigt folgendes Beispiel. Um die Überflüssigkeit der Deportation
nachzuweisen, bezieht er sich auf die Erfolge, die England mit der Einführung
der xenal serviwäs gemacht habe. Die Zahl der Zuchthausinsassen sei von
10169 im Jahre 1883 fortgesetzt bis auf 3309 im Jahre 1894 gesunken.
Korn hat diese Angaben einer Mitteilung Aschrotts (Zeitschrift für die gesamte
Strafrechtswissenschaft, Band XVII, S. 46) entlehnt. Aber was Aschrott zu
dieser statistischen Angabe hinzufügt, verschweigt Korn. Aschrott fügt nämlich
diesen Angaben unmittelbar die Bemerkung hinzu: "Ans diesen Ziffern wird
man aber nicht ohne weiteres auf eine entsprechende Abnahme der Kriminalität
in England schließen dürfen." Als Grund der Abnahme wird vielmehr die in
der Gesetzgebung und der Rechtsprechung deutlich wahrnehmbare Milderung der
Strafurteile angegeben.

Ebenso unrichtig ist die Behauptung Korns, daß durch eine bloße Reform
der Freiheitsstrafe in Holland (insbesondre durch die Einführung der Einzel¬
haft) die Kriminalität von 111 auf je 100000 Einwohner im Jahre 1851
auf 52,7 im Jahre 1887 gesunken sei. Nach einer mir von Herrn Professor
van Hamel in Amsterdam zugegangnen Mitteilung betrug die Zahl der wegen
Verbrechen und Vergehen Verurteilten im Jahre 1851 auf 100000 Einwohner
3432/4 und im Jahre 1887 345^. Von einem Rückgang der Kriminalität
in Holland in der oben angegebnen Zeit ist demnach keine Rede.

Außer diesen verfehlten statistischen Nachweisen sucht Korn die Ablehnung
der Deportation durch die Aufzählung von Schwierigkeiten zu erreichen, auf
die nach seiner Ansicht dieses Strafmittel stoßen würde. Ganz unverständlich
ist in dieser Beziehung Korns Äußerung, daß die Sträflinge, wenn sie bei
knapper Kost, gehemmter Bewegung und deprimirten Geiste schwere Erd- und
Feldarbeit thun, den klimatischen Einflüssen erliegen würden. Alle sachver¬
ständigen Berichterstatter, z. B. Hindorf, Dove, stimmen darin überein, daß sich
der Europäer in Deutsch-Südwestafrika auch bei tüchtiger körperlicher Arbeit
dauernd wohl zu befinden pflegt. Daß unsre Sträflinge, wenn sie dort schwere
Kulturarbeiten verrichten sollen, eine dem entsprechende Verpflegung erhalten
müssen, ist doch selbstverständlich. An körperlicher Bewegung wird es ihnen
bei der Arbeit nicht fehlen; oder fordert vielleicht Korn für einen rationellen
Strafvollzug in der Kolonie, daß die Deportirten nicht satt zu essen bekommen
und in ihrer Bewegungsfreiheit gehindert werden sollen? Dann allerdings
wären die Aussichten für unsre deportirten Sträflinge, wie Korn an einer
andern Stelle schmerzbewegt ausruft, wirklich "trübe, sehr trübe!"

Eine andre Schwierigkeit findet Korn darin, daß sich nach seiner Ansicht
die Deportirten in Deutsch-Südwestafrika nicht in geeigneter Weise beschäftigen
ließen, weil dort Ackerbau nur in sehr geringem Umfange und nur Viehzucht
in großem Maßstabe bei starkem Kapitalbesitze möglich seien. Man könne doch


Die Oeportationsfrage vor dem deutschen Zuristentage in Posen

Korn annimmt, so müßte man heute in England schon auf dem Nullpunkte
der Kriminalität angelangt sein. Wie einseitig übrigens Korn die Statistik
verwertet, zeigt folgendes Beispiel. Um die Überflüssigkeit der Deportation
nachzuweisen, bezieht er sich auf die Erfolge, die England mit der Einführung
der xenal serviwäs gemacht habe. Die Zahl der Zuchthausinsassen sei von
10169 im Jahre 1883 fortgesetzt bis auf 3309 im Jahre 1894 gesunken.
Korn hat diese Angaben einer Mitteilung Aschrotts (Zeitschrift für die gesamte
Strafrechtswissenschaft, Band XVII, S. 46) entlehnt. Aber was Aschrott zu
dieser statistischen Angabe hinzufügt, verschweigt Korn. Aschrott fügt nämlich
diesen Angaben unmittelbar die Bemerkung hinzu: „Ans diesen Ziffern wird
man aber nicht ohne weiteres auf eine entsprechende Abnahme der Kriminalität
in England schließen dürfen." Als Grund der Abnahme wird vielmehr die in
der Gesetzgebung und der Rechtsprechung deutlich wahrnehmbare Milderung der
Strafurteile angegeben.

Ebenso unrichtig ist die Behauptung Korns, daß durch eine bloße Reform
der Freiheitsstrafe in Holland (insbesondre durch die Einführung der Einzel¬
haft) die Kriminalität von 111 auf je 100000 Einwohner im Jahre 1851
auf 52,7 im Jahre 1887 gesunken sei. Nach einer mir von Herrn Professor
van Hamel in Amsterdam zugegangnen Mitteilung betrug die Zahl der wegen
Verbrechen und Vergehen Verurteilten im Jahre 1851 auf 100000 Einwohner
3432/4 und im Jahre 1887 345^. Von einem Rückgang der Kriminalität
in Holland in der oben angegebnen Zeit ist demnach keine Rede.

Außer diesen verfehlten statistischen Nachweisen sucht Korn die Ablehnung
der Deportation durch die Aufzählung von Schwierigkeiten zu erreichen, auf
die nach seiner Ansicht dieses Strafmittel stoßen würde. Ganz unverständlich
ist in dieser Beziehung Korns Äußerung, daß die Sträflinge, wenn sie bei
knapper Kost, gehemmter Bewegung und deprimirten Geiste schwere Erd- und
Feldarbeit thun, den klimatischen Einflüssen erliegen würden. Alle sachver¬
ständigen Berichterstatter, z. B. Hindorf, Dove, stimmen darin überein, daß sich
der Europäer in Deutsch-Südwestafrika auch bei tüchtiger körperlicher Arbeit
dauernd wohl zu befinden pflegt. Daß unsre Sträflinge, wenn sie dort schwere
Kulturarbeiten verrichten sollen, eine dem entsprechende Verpflegung erhalten
müssen, ist doch selbstverständlich. An körperlicher Bewegung wird es ihnen
bei der Arbeit nicht fehlen; oder fordert vielleicht Korn für einen rationellen
Strafvollzug in der Kolonie, daß die Deportirten nicht satt zu essen bekommen
und in ihrer Bewegungsfreiheit gehindert werden sollen? Dann allerdings
wären die Aussichten für unsre deportirten Sträflinge, wie Korn an einer
andern Stelle schmerzbewegt ausruft, wirklich „trübe, sehr trübe!"

Eine andre Schwierigkeit findet Korn darin, daß sich nach seiner Ansicht
die Deportirten in Deutsch-Südwestafrika nicht in geeigneter Weise beschäftigen
ließen, weil dort Ackerbau nur in sehr geringem Umfange und nur Viehzucht
in großem Maßstabe bei starkem Kapitalbesitze möglich seien. Man könne doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/579>, abgerufen am 24.07.2024.