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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Zukunft liegt auf dem Wasser

für die segensreiche Wirkung der Schutzzölluerei überhaupt und der Schutzzoll¬
ära seit 1882 ausspielen. Vielleicht werden sie für ihre Interessen auch im
Reichstag und in den Negierungskreisen die Mehrheit gewinnen. Sie würden
sich aber damit ebenso unverantwortlich schwer am Vaterlande versündigen,
wie sie damit des Kaisers weises, wohlerwognes, nachgerade oft und nach¬
drücklich genug kund gethanes wirtschaftspolitisches Programm vereiteln würden.

Nichts ist heute gefährlicher als diese Spekulation auf den "innern Markt."
Rücksichtslos muß allem, was ihr dient, entgegengetreten werden. Der innere
Markt ist nicht vernachlässigt worden, er ist kein jungfräuliches Ackerfeld, aus
dem ungemessene Ernten herausgeholt werden können. Viel eher ist er, allen
Anzeichen nach, einem im Übermaß ausgebeuteten, durch künstliche Treibereien
an die Grenze der Leistungsfähigkeit gebrachten Gartenbeet zu vergleichen. So
ungeheuer die Gefahren sind, die das von uns Deutschen der Welt so warm
empfohlne Absperrungssystem durch die Einschränkung unsrer Ausfuhr für uns
heraufbeschwören kann und heraufbeschwören muß, wenn wir uns nicht mit
rücksichtsloser Energie zu Wasser und zu Lande dagegen wehren, die unmittel¬
bare Gefahr liegt zur Zeit in dem Versagen des innern Markes. Wir sind
nicht reich genug, mit dieser industriellen Treibhauswirtschaft immer neue
Millionen heranwachsender und zuströmender Landsleute satt zu machen. Wir
Deutschen müssen noch sehr viel Geld draußen verdienen, um daheim so opulent
wirtschaften zu können.

Wie ist denn diese ungeheure Steigerung des Konsums im Lande über¬
haupt zu erklären? Es liegt uus fern, hier die Beantwortung dieser Riesen¬
frage unternehmen zu wollen; wir sind zufrieden, ihre Notwendigkeit eindringlich
ans Herz zu legen. Mit dem Hinweis auf den Ersatz der hauswirtschaftlichcn
Produktion durch die gewerbliche, der sich in Deutschland in deu letzten Jahr¬
zehnten in besondern: Umfange vollzogen hat, auf die damit so ziemlich zu¬
sammenfaltende Vervollkommnung der Produktions- und Verkehrsmittel und
Vcrbilligung der Fabrikate, auf den gewaltig gesteigerten Umsatz, auf das ins
Rollen gekommne Geld und die dadurch bewirkte höhere Konsumtionsfähigkeit
und Lebenshaltung der breiten untern Bevölkerungsschichten, so erfreulich alles
das erscheinen mag, ist die Frage noch lange nicht abgethan. Reicher sind
wir damit an sich auf keinen Fall geworden. Wir haben, so will es uns
scheinen, doch eigentlich nur mit einem Riesenappetit vom eignen Fette gezehrt.
Man wolle nur einmal schätzen, was an Reichs-, Staats- und Kommunal¬
geldern dem "innern Markt" für die Vervollständigung der Wehrkraft, für die
Vermehrung und die Verbesserung der Verkehrsmittel und andre öffentliche
-- vielfach keine Renten abwerfende, sondern gesteigerte Unterhaltungskosten
begründende -- Unternehmungen zugeflossen sind. Diese in fünfzehn bis achtzehn
Jahren nach vielen Milliarden zählenden Summen sind eine Befruchtung des
"innern Markes," unerhört seit Karls des Großen Zeiten. Man schätze weiter,
so knapp wie man will, die gewaltigen Kapitalien, die der private Unternehmungs-


Unsre Zukunft liegt auf dem Wasser

für die segensreiche Wirkung der Schutzzölluerei überhaupt und der Schutzzoll¬
ära seit 1882 ausspielen. Vielleicht werden sie für ihre Interessen auch im
Reichstag und in den Negierungskreisen die Mehrheit gewinnen. Sie würden
sich aber damit ebenso unverantwortlich schwer am Vaterlande versündigen,
wie sie damit des Kaisers weises, wohlerwognes, nachgerade oft und nach¬
drücklich genug kund gethanes wirtschaftspolitisches Programm vereiteln würden.

Nichts ist heute gefährlicher als diese Spekulation auf den „innern Markt."
Rücksichtslos muß allem, was ihr dient, entgegengetreten werden. Der innere
Markt ist nicht vernachlässigt worden, er ist kein jungfräuliches Ackerfeld, aus
dem ungemessene Ernten herausgeholt werden können. Viel eher ist er, allen
Anzeichen nach, einem im Übermaß ausgebeuteten, durch künstliche Treibereien
an die Grenze der Leistungsfähigkeit gebrachten Gartenbeet zu vergleichen. So
ungeheuer die Gefahren sind, die das von uns Deutschen der Welt so warm
empfohlne Absperrungssystem durch die Einschränkung unsrer Ausfuhr für uns
heraufbeschwören kann und heraufbeschwören muß, wenn wir uns nicht mit
rücksichtsloser Energie zu Wasser und zu Lande dagegen wehren, die unmittel¬
bare Gefahr liegt zur Zeit in dem Versagen des innern Markes. Wir sind
nicht reich genug, mit dieser industriellen Treibhauswirtschaft immer neue
Millionen heranwachsender und zuströmender Landsleute satt zu machen. Wir
Deutschen müssen noch sehr viel Geld draußen verdienen, um daheim so opulent
wirtschaften zu können.

Wie ist denn diese ungeheure Steigerung des Konsums im Lande über¬
haupt zu erklären? Es liegt uus fern, hier die Beantwortung dieser Riesen¬
frage unternehmen zu wollen; wir sind zufrieden, ihre Notwendigkeit eindringlich
ans Herz zu legen. Mit dem Hinweis auf den Ersatz der hauswirtschaftlichcn
Produktion durch die gewerbliche, der sich in Deutschland in deu letzten Jahr¬
zehnten in besondern: Umfange vollzogen hat, auf die damit so ziemlich zu¬
sammenfaltende Vervollkommnung der Produktions- und Verkehrsmittel und
Vcrbilligung der Fabrikate, auf den gewaltig gesteigerten Umsatz, auf das ins
Rollen gekommne Geld und die dadurch bewirkte höhere Konsumtionsfähigkeit
und Lebenshaltung der breiten untern Bevölkerungsschichten, so erfreulich alles
das erscheinen mag, ist die Frage noch lange nicht abgethan. Reicher sind
wir damit an sich auf keinen Fall geworden. Wir haben, so will es uns
scheinen, doch eigentlich nur mit einem Riesenappetit vom eignen Fette gezehrt.
Man wolle nur einmal schätzen, was an Reichs-, Staats- und Kommunal¬
geldern dem „innern Markt" für die Vervollständigung der Wehrkraft, für die
Vermehrung und die Verbesserung der Verkehrsmittel und andre öffentliche
— vielfach keine Renten abwerfende, sondern gesteigerte Unterhaltungskosten
begründende — Unternehmungen zugeflossen sind. Diese in fünfzehn bis achtzehn
Jahren nach vielen Milliarden zählenden Summen sind eine Befruchtung des
„innern Markes," unerhört seit Karls des Großen Zeiten. Man schätze weiter,
so knapp wie man will, die gewaltigen Kapitalien, die der private Unternehmungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/571>, abgerufen am 12.12.2024.