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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Zukunft liegt auf dem Wasser

Man schreit Zeter über die 10 bis 20 sogenannten "Großbazare," die in
einigen Großstädten entstanden sind, und doch ist es die Konkurrenz von unten,
die den sogenannten Mittelstand im Handel bedrückt, soweit er das nicht selbst
besorgt. Gerade durch die vielen kleinen Geschäfte droht eine Vergeudung der
Kräfte sondergleichen einzureihen, ganz abgesehen davon, daß sie den ürmern
Klassen schlechtere Ware bei geringerer Auswahl und weit höhern Preisen auf¬
hängen als die "Bazare." Die ganze Entwicklung kennzeichnet sich als über¬
triebne Ausbreitung des "innern Markes."

Das Jahr 1895 war bekanntlich das erste eines starken industriellen Auf-
schwungs, das bis heute noch nicht einer ausgesprochnen Rückwärtsbewegung
gewichen ist. Davon legen die Jahresberichte der Handelskammern und der
Fabrikinspektoren beredtes Zeugnis ab. Es ist sonach nicht zu bezweifeln, daß
die gewerbtreibende Bevölkerung und die Gewerbeproduktion in den drei letzten
wahren eine weitere, gegen die vorausgehende Periode verhältnismäßig starke
Vermehrung erfahren hat. Aber ebenso unzweifelhaft geht aus den Berichten
^r Handelskammern hervor, daß seit 1895 keine großen Fortschritte im
Ausfuhrgeschäft stattgefunden haben. Überall findet man Klagen über Ein¬
schränkungen, selten Berichte über Erweiterungen des Absatzes im Auslande.
Der Verdienst auf dem Jnlandsmarkt tritt immer mehr in den Vordergrund,
wenn auch bei stark gedrückten Preisen, und die Arbeiten für Verkehrs- und
Produktionsanlagen sowie für staatliche und kommunale Unternehmungen werden
stark betont.

Man hat bei der Befürwortung der jüngsten Flottenvermehrung mit Vor¬
gebe die hohen Zahlen unsrer Ausfuhr ins Treffen geführt. Daß man die Vor¬
tage dadurch nicht ernstlich gefährdet hat, freut uus, ist aber recht bezeichnend
^für, wie Politik gemacht wird. Nicht die drei Milliarden Exportwert, die
wir schon 1882 aufweisen konnten, sondern daß wir sie, trotz einer Vermehrung
der Industriearbeiter um 2 Millionen, nicht haben vermehren können, das heißt
^tho: nicht der Export, den wir haben, sondern der Export, den wir haben
Müssen, zwingt uns im Kampf ums Dasein heute und in der nächsten Zukunft
knie Land- und Seemacht in die Wagschnle zu werfen, die, wo sie eingreift,
des Erfolges sicher sein muß.

Oder soll man etwa die große Aufnahmefähigkeit, die der "innere Markt"
gegenüber der gesteigerten Gewerbeproduktion seit 1882 bewiesen hat, als Grund
dafür anerkennen, daß wir auch in Zukunft keine Vermehrung unsrer Export-
uwustrie und unsers Exports brauchen? Es fehlt schon jetzt nicht an Leuten,
le das behaupten und gerade in der Einschränkung der Exportindustrie und
^ Exports, in der möglichst vollständigen Isolirung der nationalen Wirt¬
schaft alles Heil sehen. Vielleicht werden die Herren, die mit praktischem Ver¬
ständnis diese unpraktischen Theorien für ihr eignes, augenblickliches Interesse
" er das ihrer Freunde und Standesgenossen auszunutzen suchen, die vom
"Mnern Markt" bewiesene große Aufnahmefähigkeit ohne weiteres als Beweis


Unsre Zukunft liegt auf dem Wasser

Man schreit Zeter über die 10 bis 20 sogenannten „Großbazare," die in
einigen Großstädten entstanden sind, und doch ist es die Konkurrenz von unten,
die den sogenannten Mittelstand im Handel bedrückt, soweit er das nicht selbst
besorgt. Gerade durch die vielen kleinen Geschäfte droht eine Vergeudung der
Kräfte sondergleichen einzureihen, ganz abgesehen davon, daß sie den ürmern
Klassen schlechtere Ware bei geringerer Auswahl und weit höhern Preisen auf¬
hängen als die „Bazare." Die ganze Entwicklung kennzeichnet sich als über¬
triebne Ausbreitung des „innern Markes."

Das Jahr 1895 war bekanntlich das erste eines starken industriellen Auf-
schwungs, das bis heute noch nicht einer ausgesprochnen Rückwärtsbewegung
gewichen ist. Davon legen die Jahresberichte der Handelskammern und der
Fabrikinspektoren beredtes Zeugnis ab. Es ist sonach nicht zu bezweifeln, daß
die gewerbtreibende Bevölkerung und die Gewerbeproduktion in den drei letzten
wahren eine weitere, gegen die vorausgehende Periode verhältnismäßig starke
Vermehrung erfahren hat. Aber ebenso unzweifelhaft geht aus den Berichten
^r Handelskammern hervor, daß seit 1895 keine großen Fortschritte im
Ausfuhrgeschäft stattgefunden haben. Überall findet man Klagen über Ein¬
schränkungen, selten Berichte über Erweiterungen des Absatzes im Auslande.
Der Verdienst auf dem Jnlandsmarkt tritt immer mehr in den Vordergrund,
wenn auch bei stark gedrückten Preisen, und die Arbeiten für Verkehrs- und
Produktionsanlagen sowie für staatliche und kommunale Unternehmungen werden
stark betont.

Man hat bei der Befürwortung der jüngsten Flottenvermehrung mit Vor¬
gebe die hohen Zahlen unsrer Ausfuhr ins Treffen geführt. Daß man die Vor¬
tage dadurch nicht ernstlich gefährdet hat, freut uus, ist aber recht bezeichnend
^für, wie Politik gemacht wird. Nicht die drei Milliarden Exportwert, die
wir schon 1882 aufweisen konnten, sondern daß wir sie, trotz einer Vermehrung
der Industriearbeiter um 2 Millionen, nicht haben vermehren können, das heißt
^tho: nicht der Export, den wir haben, sondern der Export, den wir haben
Müssen, zwingt uns im Kampf ums Dasein heute und in der nächsten Zukunft
knie Land- und Seemacht in die Wagschnle zu werfen, die, wo sie eingreift,
des Erfolges sicher sein muß.

Oder soll man etwa die große Aufnahmefähigkeit, die der „innere Markt"
gegenüber der gesteigerten Gewerbeproduktion seit 1882 bewiesen hat, als Grund
dafür anerkennen, daß wir auch in Zukunft keine Vermehrung unsrer Export-
uwustrie und unsers Exports brauchen? Es fehlt schon jetzt nicht an Leuten,
le das behaupten und gerade in der Einschränkung der Exportindustrie und
^ Exports, in der möglichst vollständigen Isolirung der nationalen Wirt¬
schaft alles Heil sehen. Vielleicht werden die Herren, die mit praktischem Ver¬
ständnis diese unpraktischen Theorien für ihr eignes, augenblickliches Interesse
" er das ihrer Freunde und Standesgenossen auszunutzen suchen, die vom
"Mnern Markt" bewiesene große Aufnahmefähigkeit ohne weiteres als Beweis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/570>, abgerufen am 24.07.2024.