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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Line plattdeutsche Dichterin

lichte dann, wie ich schon erwähnt habe, 1857 die erste Gedichtsammlung mit
einem warmen Vorwort.

Ein zweites 1861 erschienenes Bändchen fand weniger Beifall und steht
in der That nicht auf gleicher Höhe, und die 1862 folgenden "Hochdeutschen
Gedichte" zeigen zwar große Gewandtheit, lassen aber doch die ursprüngliche
dichterische Empfindung, die in den "Vlomen" so schön hervortritt, nur in
geringem Grade bemerken; die Dichterin weiß das auch selbst und sagt in
"Micr Muddersprak" sehr treffend:

Il kann 't nich hochdütsch Seggen,
Wat mi in 'n Bussen sitt,-
Dat is man Halmes Snacken,
Dat Best will doch nich mit.
Dat buwe mi ümmer sitten
Deip unrer up den Grund,
Un klimmt 't ut hnlw lau Höchtc-n,
So saste schmilzt) 't mi in den Mund.

In ihrer heimatlichen Mundart aber ist Atome Wüthenow zweifellos eine
echte Dichterin; außer Klaus Groth übertrifft sie kein plattdeutscher Dichter
an echt lyrischer Begabung. Klaus Groth ist freilich weit vielseitiger. Außer
der reinen Lyrik bietet er sinnige Betrachtungen, und auch über das lyrische
Gebiet hinaus leistet er Vortreffliches in balladenartigen Stoffen und in epischen
Gedichten. Unzweifelhaft aber halten manche von Atome Wuthenows Gedichten
den Vergleich mit den besten des "Quickborn" aus. Die lyrischen Töne, die
sie anschlägt, sind freilich nicht von allzugroßer Mannigfaltigkeit; aber auf
ihrem Felde zeigt sie sich als wirkliche Meisterin, und was die Hauptsache ist,
nirgends wirken ihre lyrischen Gaben in der heimischen Mundart als bloße
Nachdichtungen, sondern immer haben sie etwas wirklich Eigentümliches und
Ursprüngliches. Was auf den freilich noch nicht hundert Seiten der neusten
Sammlung vereinigt ist, das wird auch eine strenge Kritik ausnahmslos als
der Veröffentlichung wert anerkennen müssen, und an den meisten Gedichten
werden nicht nur ihre Landsleute, sondern alle Freunde echter Lyrik ihre
innige Freude haben, vor allem weil sie immer aus eigner Anschauung und
Empfindung heraus dichtet. Ganz besonders angenehm wirkt es außerdem,
daß sie trotz ihres schweren Geschicks -- viele ihrer Gedichte sind in Nerven¬
heilanstalten entstanden -- doch frei bleibt von allem ungesunden Pessimismus
und heitere Töne ebenso vortrefflich anzuschlagen weiß wie tief ernste.

Ein hervorstechender Zug ihrer dichterischen Eigentümlichkeit ist zunächst
ihr liebevolles Verständnis für die Art und das Wesen der sie umgebenden
Tierwelt. Namentlich die Vögel sind ihre besondern Lieblinge und unter
ihnen wieder vor allem solche, die sie als Landkind von Jugend auf in ihrem
Thun und Treiben genau hat beobachten können: Hühner, Tauben und Enten,
Truthahn und Storch, Krähe und Sperling.


Line plattdeutsche Dichterin

lichte dann, wie ich schon erwähnt habe, 1857 die erste Gedichtsammlung mit
einem warmen Vorwort.

Ein zweites 1861 erschienenes Bändchen fand weniger Beifall und steht
in der That nicht auf gleicher Höhe, und die 1862 folgenden „Hochdeutschen
Gedichte" zeigen zwar große Gewandtheit, lassen aber doch die ursprüngliche
dichterische Empfindung, die in den „Vlomen" so schön hervortritt, nur in
geringem Grade bemerken; die Dichterin weiß das auch selbst und sagt in
„Micr Muddersprak" sehr treffend:

Il kann 't nich hochdütsch Seggen,
Wat mi in 'n Bussen sitt,-
Dat is man Halmes Snacken,
Dat Best will doch nich mit.
Dat buwe mi ümmer sitten
Deip unrer up den Grund,
Un klimmt 't ut hnlw lau Höchtc-n,
So saste schmilzt) 't mi in den Mund.

In ihrer heimatlichen Mundart aber ist Atome Wüthenow zweifellos eine
echte Dichterin; außer Klaus Groth übertrifft sie kein plattdeutscher Dichter
an echt lyrischer Begabung. Klaus Groth ist freilich weit vielseitiger. Außer
der reinen Lyrik bietet er sinnige Betrachtungen, und auch über das lyrische
Gebiet hinaus leistet er Vortreffliches in balladenartigen Stoffen und in epischen
Gedichten. Unzweifelhaft aber halten manche von Atome Wuthenows Gedichten
den Vergleich mit den besten des „Quickborn" aus. Die lyrischen Töne, die
sie anschlägt, sind freilich nicht von allzugroßer Mannigfaltigkeit; aber auf
ihrem Felde zeigt sie sich als wirkliche Meisterin, und was die Hauptsache ist,
nirgends wirken ihre lyrischen Gaben in der heimischen Mundart als bloße
Nachdichtungen, sondern immer haben sie etwas wirklich Eigentümliches und
Ursprüngliches. Was auf den freilich noch nicht hundert Seiten der neusten
Sammlung vereinigt ist, das wird auch eine strenge Kritik ausnahmslos als
der Veröffentlichung wert anerkennen müssen, und an den meisten Gedichten
werden nicht nur ihre Landsleute, sondern alle Freunde echter Lyrik ihre
innige Freude haben, vor allem weil sie immer aus eigner Anschauung und
Empfindung heraus dichtet. Ganz besonders angenehm wirkt es außerdem,
daß sie trotz ihres schweren Geschicks — viele ihrer Gedichte sind in Nerven¬
heilanstalten entstanden — doch frei bleibt von allem ungesunden Pessimismus
und heitere Töne ebenso vortrefflich anzuschlagen weiß wie tief ernste.

Ein hervorstechender Zug ihrer dichterischen Eigentümlichkeit ist zunächst
ihr liebevolles Verständnis für die Art und das Wesen der sie umgebenden
Tierwelt. Namentlich die Vögel sind ihre besondern Lieblinge und unter
ihnen wieder vor allem solche, die sie als Landkind von Jugend auf in ihrem
Thun und Treiben genau hat beobachten können: Hühner, Tauben und Enten,
Truthahn und Storch, Krähe und Sperling.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/539>, abgerufen am 12.12.2024.