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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Line plattdeutsche Dichterin

Atome Wuthenow -- so ist ihr wirklicher Name -- wurde am 16. Sep¬
tember 1820 in dem Dorfe Neuenkirchen bei Greifswald als Tochter des
Pastors Valthasar geboren. In ihrem Elternhause herrschte ein reges geistiges
Leben; sie entstammt einem seit Jahrhunderten in Pommern ansässigen an¬
gesehen Geschlechte, das viele geistig hervorragende Mitglieder aufzuweisen hat.
Dazu gehört unter andern die begabte und liebenswürdige Anna Christine
Ehrenfried von Balthasar, die, von der Greifswalder Universität zur Laec-A-
l-wrsÄ artium ernannt. im Jahre 1756 bei der Einweihung des neuen Uni¬
versitätsgebäudes und der Bibliothek unter großem Beifall eine lateinische und
eine deutsche Rede hielt, einige Jahre später als junge Frau der Mittelpunkt
der Greifswalder Gesellschaft war und die Bewunderung der Offiziere Friedrichs
des Großen erregte. Dazu gehören ferner mehrere der bedeutendsten Greifs¬
walder Professoren des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts.

Atome Wutheuows ungewöhnliche geistige Begabung verriet sich früh;
leider aber zeigten sich auch schon in ihren Kinderjahren die ersten zunächst
unbedeutenden Spuren einer geistigen Krankheit; diese ist Wohl zurückzuführen
auf eine furchtbare seelische Erregung, die Aliviuens Mutter kurz vor deren
Geburt durchzumachen hatte. Schon mit siebzehn Jahren mußte das junge
Mädchen zum erstenmal eine Heilanstalt aufsuchen und fand dort scheinbar auch
Genesung. So verlobte sie sich 1842 mit dem damaligen Gützkower Bürger¬
meister Willdenow, der übrigens von den Eltern der Braut über deren krank¬
hafte Anlage aufs genaueste unterrichtet worden war. Die Ehe, der mehrere
Kinder entsprossen, wäre sehr glücklich gewesen, wenn nicht schon nach einigen
wahren, teilweise infolge der Aufregungen des Nevolutionsjahres, das ihrem
Gatten wegen seines festen Auftretens gegen die Unruhestifter die Absetzung
Machte, die geistige Erkrankung der Dichterin wieder stärker hervorgetreten
wäre. Jahrelang mußte sie deshalb wieder in verschiednen Heilanstalten
zubringen, und erst 1874 war sie soweit hergestellt, daß sie dauernd in
'hrer Häuslichkeit -- ihr Gatte war 1849 als Assessor an das Greifswalder
Kreisgericht berufen worden -- leben konnte. Seit einer Reihe von Jahren
ist Atome Wuthenow, die 1882 ihren Gatten verlor, so weit gesund, daß sich
die Spuren ihres frühern Zustandes fast nur noch in einigen Absonderlich¬
keiten zeigen. Sie verkehrt, wenn sie auch selten ihr Haus mit seinem freund¬
lichen Gärtchen verläßt, unbefangen und heiter mit alten Freunden und ist
auch für neue Bekannte, die ihr wirkliches Interesse entgegenbringen, leicht
zugänglich.

Ihre dichterische Ader regte sich schon in ihren Müdchenjahren und ist
noch jetzt in ihrem hohen Alter lebendig; vor die Öffentlichkeit aber wäre sie
als Dichterin vielleicht überhaupt nicht getreten, wenn nicht ihr Gatte einige
von ihren Liedern um Fritz Reuter, dessen Leidensgefährte aus der "Festungs-
tid" er war, für sein Sonntagsblatt gesandt hätte. Reuter erklärte sie für
die wertvollsten Gaben, die sein Blatt überhaupt gebracht habe, und veröffent-


Line plattdeutsche Dichterin

Atome Wuthenow — so ist ihr wirklicher Name — wurde am 16. Sep¬
tember 1820 in dem Dorfe Neuenkirchen bei Greifswald als Tochter des
Pastors Valthasar geboren. In ihrem Elternhause herrschte ein reges geistiges
Leben; sie entstammt einem seit Jahrhunderten in Pommern ansässigen an¬
gesehen Geschlechte, das viele geistig hervorragende Mitglieder aufzuweisen hat.
Dazu gehört unter andern die begabte und liebenswürdige Anna Christine
Ehrenfried von Balthasar, die, von der Greifswalder Universität zur Laec-A-
l-wrsÄ artium ernannt. im Jahre 1756 bei der Einweihung des neuen Uni¬
versitätsgebäudes und der Bibliothek unter großem Beifall eine lateinische und
eine deutsche Rede hielt, einige Jahre später als junge Frau der Mittelpunkt
der Greifswalder Gesellschaft war und die Bewunderung der Offiziere Friedrichs
des Großen erregte. Dazu gehören ferner mehrere der bedeutendsten Greifs¬
walder Professoren des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts.

Atome Wutheuows ungewöhnliche geistige Begabung verriet sich früh;
leider aber zeigten sich auch schon in ihren Kinderjahren die ersten zunächst
unbedeutenden Spuren einer geistigen Krankheit; diese ist Wohl zurückzuführen
auf eine furchtbare seelische Erregung, die Aliviuens Mutter kurz vor deren
Geburt durchzumachen hatte. Schon mit siebzehn Jahren mußte das junge
Mädchen zum erstenmal eine Heilanstalt aufsuchen und fand dort scheinbar auch
Genesung. So verlobte sie sich 1842 mit dem damaligen Gützkower Bürger¬
meister Willdenow, der übrigens von den Eltern der Braut über deren krank¬
hafte Anlage aufs genaueste unterrichtet worden war. Die Ehe, der mehrere
Kinder entsprossen, wäre sehr glücklich gewesen, wenn nicht schon nach einigen
wahren, teilweise infolge der Aufregungen des Nevolutionsjahres, das ihrem
Gatten wegen seines festen Auftretens gegen die Unruhestifter die Absetzung
Machte, die geistige Erkrankung der Dichterin wieder stärker hervorgetreten
wäre. Jahrelang mußte sie deshalb wieder in verschiednen Heilanstalten
zubringen, und erst 1874 war sie soweit hergestellt, daß sie dauernd in
'hrer Häuslichkeit — ihr Gatte war 1849 als Assessor an das Greifswalder
Kreisgericht berufen worden — leben konnte. Seit einer Reihe von Jahren
ist Atome Wuthenow, die 1882 ihren Gatten verlor, so weit gesund, daß sich
die Spuren ihres frühern Zustandes fast nur noch in einigen Absonderlich¬
keiten zeigen. Sie verkehrt, wenn sie auch selten ihr Haus mit seinem freund¬
lichen Gärtchen verläßt, unbefangen und heiter mit alten Freunden und ist
auch für neue Bekannte, die ihr wirkliches Interesse entgegenbringen, leicht
zugänglich.

Ihre dichterische Ader regte sich schon in ihren Müdchenjahren und ist
noch jetzt in ihrem hohen Alter lebendig; vor die Öffentlichkeit aber wäre sie
als Dichterin vielleicht überhaupt nicht getreten, wenn nicht ihr Gatte einige
von ihren Liedern um Fritz Reuter, dessen Leidensgefährte aus der „Festungs-
tid" er war, für sein Sonntagsblatt gesandt hätte. Reuter erklärte sie für
die wertvollsten Gaben, die sein Blatt überhaupt gebracht habe, und veröffent-


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[0538] Line plattdeutsche Dichterin Atome Wuthenow — so ist ihr wirklicher Name — wurde am 16. Sep¬ tember 1820 in dem Dorfe Neuenkirchen bei Greifswald als Tochter des Pastors Valthasar geboren. In ihrem Elternhause herrschte ein reges geistiges Leben; sie entstammt einem seit Jahrhunderten in Pommern ansässigen an¬ gesehen Geschlechte, das viele geistig hervorragende Mitglieder aufzuweisen hat. Dazu gehört unter andern die begabte und liebenswürdige Anna Christine Ehrenfried von Balthasar, die, von der Greifswalder Universität zur Laec-A- l-wrsÄ artium ernannt. im Jahre 1756 bei der Einweihung des neuen Uni¬ versitätsgebäudes und der Bibliothek unter großem Beifall eine lateinische und eine deutsche Rede hielt, einige Jahre später als junge Frau der Mittelpunkt der Greifswalder Gesellschaft war und die Bewunderung der Offiziere Friedrichs des Großen erregte. Dazu gehören ferner mehrere der bedeutendsten Greifs¬ walder Professoren des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Atome Wutheuows ungewöhnliche geistige Begabung verriet sich früh; leider aber zeigten sich auch schon in ihren Kinderjahren die ersten zunächst unbedeutenden Spuren einer geistigen Krankheit; diese ist Wohl zurückzuführen auf eine furchtbare seelische Erregung, die Aliviuens Mutter kurz vor deren Geburt durchzumachen hatte. Schon mit siebzehn Jahren mußte das junge Mädchen zum erstenmal eine Heilanstalt aufsuchen und fand dort scheinbar auch Genesung. So verlobte sie sich 1842 mit dem damaligen Gützkower Bürger¬ meister Willdenow, der übrigens von den Eltern der Braut über deren krank¬ hafte Anlage aufs genaueste unterrichtet worden war. Die Ehe, der mehrere Kinder entsprossen, wäre sehr glücklich gewesen, wenn nicht schon nach einigen wahren, teilweise infolge der Aufregungen des Nevolutionsjahres, das ihrem Gatten wegen seines festen Auftretens gegen die Unruhestifter die Absetzung Machte, die geistige Erkrankung der Dichterin wieder stärker hervorgetreten wäre. Jahrelang mußte sie deshalb wieder in verschiednen Heilanstalten zubringen, und erst 1874 war sie soweit hergestellt, daß sie dauernd in 'hrer Häuslichkeit — ihr Gatte war 1849 als Assessor an das Greifswalder Kreisgericht berufen worden — leben konnte. Seit einer Reihe von Jahren ist Atome Wuthenow, die 1882 ihren Gatten verlor, so weit gesund, daß sich die Spuren ihres frühern Zustandes fast nur noch in einigen Absonderlich¬ keiten zeigen. Sie verkehrt, wenn sie auch selten ihr Haus mit seinem freund¬ lichen Gärtchen verläßt, unbefangen und heiter mit alten Freunden und ist auch für neue Bekannte, die ihr wirkliches Interesse entgegenbringen, leicht zugänglich. Ihre dichterische Ader regte sich schon in ihren Müdchenjahren und ist noch jetzt in ihrem hohen Alter lebendig; vor die Öffentlichkeit aber wäre sie als Dichterin vielleicht überhaupt nicht getreten, wenn nicht ihr Gatte einige von ihren Liedern um Fritz Reuter, dessen Leidensgefährte aus der „Festungs- tid" er war, für sein Sonntagsblatt gesandt hätte. Reuter erklärte sie für die wertvollsten Gaben, die sein Blatt überhaupt gebracht habe, und veröffent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/538>, abgerufen am 24.07.2024.