Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Die große Kunstausstellung in Berlin trachtet hätten. Wir wissen aber, daß die religiöse Kunst ohne innigen, lebendigen Auch für die Malerei wollen wir nur zwei Beispiele statt mehrerer an¬ Die große Kunstausstellung in Berlin trachtet hätten. Wir wissen aber, daß die religiöse Kunst ohne innigen, lebendigen Auch für die Malerei wollen wir nur zwei Beispiele statt mehrerer an¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228997"/> <fw type="header" place="top"> Die große Kunstausstellung in Berlin</fw><lb/> <p xml:id="ID_93" prev="#ID_92"> trachtet hätten. Wir wissen aber, daß die religiöse Kunst ohne innigen, lebendigen<lb/> Zusammenhang mit der Kirche nicht bestehen, und daß sie sich ohne ihn nicht<lb/> weiter entwickeln kann. Eine Museumspflanze ist sie nicht und soll sie auch<lb/> nicht sein, ganz abgesehen davon, daß sich die meisten unsrer Museumsvorstände<lb/> nur noch um die religiöse Kunst oder vielmehr um die Kunst biblischen Inhalts<lb/> kümmern, wenn sie sich in einen möglichst schroffen Gegensatz zur kirchlichen<lb/> Überlieferung stellt. Die Berliner Ausstellung hat uns nun - und darin<lb/> liegt vielleicht ihre hauptsächliche Bedeutung für die spätere Zeit — in der<lb/> Überzeugung bestärkt, daß die Mehrzahl der Künstler, die sich mit religiöser<lb/> Plastik und Malerei beschäftigen, ernstlich bemüht sind, wieder den Zusammen¬<lb/> hang mit der Kirche zu gewinnen, und daß sie in dieser Absicht wieder in tue<lb/> Bahnen des Idealismus einlenken, der allein die Kunst mit dem Glauben<lb/> versöhnen kaun.</p><lb/> <p xml:id="ID_94"> Auch für die Malerei wollen wir nur zwei Beispiele statt mehrerer an¬<lb/> führen, weil sie sür zwei Richtungen bezeichnend sind: Christus und seine<lb/> Jünger durch ein Gehölz schreitend nach dem Schriftwort „Und sie folgten<lb/> ihm nach" von August von Brandis, und der Ostermorgen — der Auferstandne<lb/> vor Maria Magdalena an der Grabesthür — von Gustav aus der Ode.<lb/> Vrandis ist ein Realist, der wohl manches von Fritz von Abbe gelernt hat,<lb/> aber darnach strebt, seine eckigen, unbeholfnen Gestalten wenigstens durch die<lb/> Farbe zu idealisiren. Er ist ein moderner Realist, der sich, wenn man das<lb/> Gleichnis wagen darf, den Prachtmantel der venezianischen Koloristen um die<lb/> schlotterichten Glieder geschlagen hat. Er hat auch schon einmal mit einer<lb/> Hochzeit zu Kana an Umfang und Reichtum der Komposition und an Mannig¬<lb/> faltigkeit der Einzelheiten mit den Venezianern, insbesondre mit Paul Veronese<lb/> gewetteifert. Sein Kolorit zeigte jedoch noch manche Roheiten, noch lange<lb/> nicht die aus der Tiefe herausstrahlende, stille Glut der Venezianer, die auch<lb/> ihren lebhaftesten Schilderungen noch den Grundzug sanfter Harmonie verleiht.<lb/> Er wird vielleicht uoch in jenes Prachtgewand hineinwachsen. Zunächst<lb/> scheinen ihn aber das Seelenleben, der geistige Inhalt seiner Figuren mehr zu<lb/> beschäftigen als ihre körperliche Hülle oder gar die Sorge um eine vorteil¬<lb/> hafte, koloristische Ausstattung ihrer Gewänder. Sein Christus hat etwas in<lb/> seinem Wesen, das auf die, die ihm als die Werkzeuge seines Willens folgen<lb/> sollen, rein einschläfernd wirkt. Ob der Künstler wirklich daran gedacht hat,<lb/> die zauberische Gewalt Christi über Herzen und Geister uur durch natürliche,<lb/> wenn auch uur wenigen Menschen zu Gebote stehende Mittel zu erklären oder<lb/> nicht — der Beschauer empfängt jedenfalls den Eindruck, daß hier ein höher<lb/> organisirter Mensch eine unwiderstehliche Macht über schlichte Menschen von<lb/> geringer Verstandeskraft ausübt. Wenn uns auch manches auf diesem Bilde<lb/> abstößt, so können wir doch herzlich froh sein, daß uns in dieser Zeit immer<lb/> noch religiöse Bilder gemalt werden, die zu denken geben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0049]
Die große Kunstausstellung in Berlin
trachtet hätten. Wir wissen aber, daß die religiöse Kunst ohne innigen, lebendigen
Zusammenhang mit der Kirche nicht bestehen, und daß sie sich ohne ihn nicht
weiter entwickeln kann. Eine Museumspflanze ist sie nicht und soll sie auch
nicht sein, ganz abgesehen davon, daß sich die meisten unsrer Museumsvorstände
nur noch um die religiöse Kunst oder vielmehr um die Kunst biblischen Inhalts
kümmern, wenn sie sich in einen möglichst schroffen Gegensatz zur kirchlichen
Überlieferung stellt. Die Berliner Ausstellung hat uns nun - und darin
liegt vielleicht ihre hauptsächliche Bedeutung für die spätere Zeit — in der
Überzeugung bestärkt, daß die Mehrzahl der Künstler, die sich mit religiöser
Plastik und Malerei beschäftigen, ernstlich bemüht sind, wieder den Zusammen¬
hang mit der Kirche zu gewinnen, und daß sie in dieser Absicht wieder in tue
Bahnen des Idealismus einlenken, der allein die Kunst mit dem Glauben
versöhnen kaun.
Auch für die Malerei wollen wir nur zwei Beispiele statt mehrerer an¬
führen, weil sie sür zwei Richtungen bezeichnend sind: Christus und seine
Jünger durch ein Gehölz schreitend nach dem Schriftwort „Und sie folgten
ihm nach" von August von Brandis, und der Ostermorgen — der Auferstandne
vor Maria Magdalena an der Grabesthür — von Gustav aus der Ode.
Vrandis ist ein Realist, der wohl manches von Fritz von Abbe gelernt hat,
aber darnach strebt, seine eckigen, unbeholfnen Gestalten wenigstens durch die
Farbe zu idealisiren. Er ist ein moderner Realist, der sich, wenn man das
Gleichnis wagen darf, den Prachtmantel der venezianischen Koloristen um die
schlotterichten Glieder geschlagen hat. Er hat auch schon einmal mit einer
Hochzeit zu Kana an Umfang und Reichtum der Komposition und an Mannig¬
faltigkeit der Einzelheiten mit den Venezianern, insbesondre mit Paul Veronese
gewetteifert. Sein Kolorit zeigte jedoch noch manche Roheiten, noch lange
nicht die aus der Tiefe herausstrahlende, stille Glut der Venezianer, die auch
ihren lebhaftesten Schilderungen noch den Grundzug sanfter Harmonie verleiht.
Er wird vielleicht uoch in jenes Prachtgewand hineinwachsen. Zunächst
scheinen ihn aber das Seelenleben, der geistige Inhalt seiner Figuren mehr zu
beschäftigen als ihre körperliche Hülle oder gar die Sorge um eine vorteil¬
hafte, koloristische Ausstattung ihrer Gewänder. Sein Christus hat etwas in
seinem Wesen, das auf die, die ihm als die Werkzeuge seines Willens folgen
sollen, rein einschläfernd wirkt. Ob der Künstler wirklich daran gedacht hat,
die zauberische Gewalt Christi über Herzen und Geister uur durch natürliche,
wenn auch uur wenigen Menschen zu Gebote stehende Mittel zu erklären oder
nicht — der Beschauer empfängt jedenfalls den Eindruck, daß hier ein höher
organisirter Mensch eine unwiderstehliche Macht über schlichte Menschen von
geringer Verstandeskraft ausübt. Wenn uns auch manches auf diesem Bilde
abstößt, so können wir doch herzlich froh sein, daß uns in dieser Zeit immer
noch religiöse Bilder gemalt werden, die zu denken geben.
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