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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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werte sind zwei figurenreiche Darstellungen, die, oben abgerundet, an die mittel¬
alterlichen Schnitzaltäre mit ihren in verschiednen Erhöhungen aus dem Hinter¬
grunde herausgearbeitete!? Figuren erinnern, nur daß sie in Gips hergestellt,
also auf eine Ausführung in Stein berechnet sind. Das eine, von Hermann
Hidding, einem Berliner Bildhauer, dessen Schaffen einen tiefinnerlichen, etwas
mystischen Zug hat, stellt die auf einem Halbmond stehende, in den Wolken
schwebende Jungfrau Maria mit dem Christuskinde dar. Sie tritt in starker
Rundung, zum Teil sast frei gearbeitet, aus dem Hintergrunde hervor, und
mehr oder weniger stark gerundet sind auch die sie umgebenden Engels¬
gestalten, die eine Art Glorie bilden. Sie halten eine Krone über ihr, einer
der Engel schwingt ein Weihrauchgefäß, ein zweiter hält einen Rosenkranz,
ein dritter küßt dem Kinde die Hand, und andre singen Loblieder. Das sind
freilich zum großen Teil spezifisch katholische Züge, wir glauben aber, daß die
Anmut der Madonna und der Engelsfiguren, die sowohl an Luca della Nobbia
als an unsre deutschen Meister Adam Kraft und Veit Stoß erinnern, auch
streng gläubige Protestanten so gewinnen muß, daß sie an den Beigaben des
katholischen Kultus keinen Anstoß nehmen werden. Es sind freilich rein per¬
sönliche Meinungen, die wir hier aussprechen, und wir wollen sie niemand
aufzwingen. Wir glauben aber, daß die Kunstkritik die Pflicht hat, die reli¬
giöse Kunst, die, mit ernsthaften und ehrlichen Schöpfungen um die Gunst des
Publikums werbend, auf Ausstellungen auftritt, aus allen Kräften zu fördern
und zwischen ihr und den verschiednen religiösen Anschauungen, vor allem der
verschiednen Konfessionen zu vermitteln.

Wenn auch zugegeben werden muß, daß bei dem Hiddiugfchen Relief der
katholische Zug überwiegt, so darf das auch deu Protestanten nicht verhindern,
die reine Schönheit des Kunstwerks zu bewundern und dem eifrigen Streben
des Künstlers nach zartem seelischem Ausdruck volle Anerkennung zu zollen.
Bei dem zweiten Bildwerk, einer Darstellung des Kreuzestodes Christi, von
Ludwig Vordermayer, können dagegen keinerlei konfessionelle Bedenken auf¬
kommen. Der gekreuzigte Christus, dessen Lippen nach der Idee des Künstlers
eben die Worte gehaucht haben: "Es ist vollbracht!" tritt als Hauptfigur
wiederum fast völlig frei gearbeitet aus dem Hintergrunde heraus, während
die Schächer zu beiden Seiten mehr reliefartig behandelt sind. Am Fuße des
Kreuzes sind nur die drei Blutzeugen, Johannes, Maria und Maria Magda-
lena, zu einer Gruppe verewigt, die sich ebenfalls zu voller plastischer Wirkung
vom Hintergründe loslöst. In der Körperbildung und in der Drapirung der
Figuren zeigt sich mehr der Einfluß der zu voller Freiheit entwickelten Re¬
naissance; aber der Ausdruck der Köpfe ist uicht minder wahr, tief und schlicht
wie auf dem Hiddingschen Relief.

Wir hätten weniger Umstände gehabt, wenn wir diese beiden Arbeiten als
Kunstwerke an und für sich, ohne Rücksicht auf einen kirchlichen Zweck, be-


werte sind zwei figurenreiche Darstellungen, die, oben abgerundet, an die mittel¬
alterlichen Schnitzaltäre mit ihren in verschiednen Erhöhungen aus dem Hinter¬
grunde herausgearbeitete!? Figuren erinnern, nur daß sie in Gips hergestellt,
also auf eine Ausführung in Stein berechnet sind. Das eine, von Hermann
Hidding, einem Berliner Bildhauer, dessen Schaffen einen tiefinnerlichen, etwas
mystischen Zug hat, stellt die auf einem Halbmond stehende, in den Wolken
schwebende Jungfrau Maria mit dem Christuskinde dar. Sie tritt in starker
Rundung, zum Teil sast frei gearbeitet, aus dem Hintergrunde hervor, und
mehr oder weniger stark gerundet sind auch die sie umgebenden Engels¬
gestalten, die eine Art Glorie bilden. Sie halten eine Krone über ihr, einer
der Engel schwingt ein Weihrauchgefäß, ein zweiter hält einen Rosenkranz,
ein dritter küßt dem Kinde die Hand, und andre singen Loblieder. Das sind
freilich zum großen Teil spezifisch katholische Züge, wir glauben aber, daß die
Anmut der Madonna und der Engelsfiguren, die sowohl an Luca della Nobbia
als an unsre deutschen Meister Adam Kraft und Veit Stoß erinnern, auch
streng gläubige Protestanten so gewinnen muß, daß sie an den Beigaben des
katholischen Kultus keinen Anstoß nehmen werden. Es sind freilich rein per¬
sönliche Meinungen, die wir hier aussprechen, und wir wollen sie niemand
aufzwingen. Wir glauben aber, daß die Kunstkritik die Pflicht hat, die reli¬
giöse Kunst, die, mit ernsthaften und ehrlichen Schöpfungen um die Gunst des
Publikums werbend, auf Ausstellungen auftritt, aus allen Kräften zu fördern
und zwischen ihr und den verschiednen religiösen Anschauungen, vor allem der
verschiednen Konfessionen zu vermitteln.

Wenn auch zugegeben werden muß, daß bei dem Hiddiugfchen Relief der
katholische Zug überwiegt, so darf das auch deu Protestanten nicht verhindern,
die reine Schönheit des Kunstwerks zu bewundern und dem eifrigen Streben
des Künstlers nach zartem seelischem Ausdruck volle Anerkennung zu zollen.
Bei dem zweiten Bildwerk, einer Darstellung des Kreuzestodes Christi, von
Ludwig Vordermayer, können dagegen keinerlei konfessionelle Bedenken auf¬
kommen. Der gekreuzigte Christus, dessen Lippen nach der Idee des Künstlers
eben die Worte gehaucht haben: „Es ist vollbracht!" tritt als Hauptfigur
wiederum fast völlig frei gearbeitet aus dem Hintergrunde heraus, während
die Schächer zu beiden Seiten mehr reliefartig behandelt sind. Am Fuße des
Kreuzes sind nur die drei Blutzeugen, Johannes, Maria und Maria Magda-
lena, zu einer Gruppe verewigt, die sich ebenfalls zu voller plastischer Wirkung
vom Hintergründe loslöst. In der Körperbildung und in der Drapirung der
Figuren zeigt sich mehr der Einfluß der zu voller Freiheit entwickelten Re¬
naissance; aber der Ausdruck der Köpfe ist uicht minder wahr, tief und schlicht
wie auf dem Hiddingschen Relief.

Wir hätten weniger Umstände gehabt, wenn wir diese beiden Arbeiten als
Kunstwerke an und für sich, ohne Rücksicht auf einen kirchlichen Zweck, be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/48>, abgerufen am 04.07.2024.