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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die große Äunstausstellnng in Berlin

Im Gegensatz dazu befriedigt das zweite Bild, das wir als Beispiel
herangezogen haben, mehr unser Schönheitsgefühl. Wir sehen zwei Gestalten
voll Hoheit, Würde und Anmut vor uns, hineingestellt in eine Landschaft,
deren einzelne Teile offenbar auf gründlichen Naturstudien beruhen, die aber
in der Komposition, in dem feierlichen Rhythmus der Linien und im Kolorit
-- ohne merklichen Zwang -- mit dem Hauptmotiv des Bildes, der Offen¬
barung des Auferstehungswnnders in der Stille des Ostermorgens, in Einklang
gebracht worden ist. Dieser Künstler hat einen ganz andern Weg eingeschlagen
als Angust von Brandes und hat dasselbe Ziel erreicht, ohne sich von der
Natur weiter zu entfernen, nur daß er die Natur mit andern Augen betrachtet.
Es ist der alte Weg, den die Künstler wählen, die immer noch beflissen
sind, die Wahrheit in der Schönheit zu suchen, und es ist nicht zu leugnen,
daß die Mehrzahl der Freunde religiöser Kunst ihnen folgt. Die vorurteils¬
loser unter ihnen sollten aber beide Richtungen mit gleichem Wohlwollen und
gleicher Unbefangenheit verfolgen, weil ihre Vertreter sichtlich mit ernstem
Willen zu ernsten Thaten bereit sind.

Es liegt kein Widerspruch darin, wenn wir einen Künstler, dessen Formen¬
sprache realistisch ist, trotzdem zu den Idealisten rechnen. Eduard von Geb-
hardt hat uns durch eine lauge Reihe von Schöpfungen gezeigt, daß sich die
Darstellungsmittel des Realismus sehr wohl mit idealistischer Grundanschauung
vereinigen lassen, und gerade die Kraft seines Idealismus hat mit der Zeit
selbst die Leute, denen seine Ausdrucksweise gesucht und erkünstelt vorkam, zu
ehrlichen Bewunderern umgewandelt. Mit der Macht, die nur dem wahren
Künstler eigen ist, hat er uns schließlich gezwungen, seine Bilder sozusagen
mit seinen Augen anzusehen, an das zu glauben, woran er selbst aus inniger
Überzeugung glaubt, uns die Vorgänge der biblischen Geschichte im Spiegel
des deutschen Volkstums schauen zu lassen, ohne daß jemand noch dabei eine
Vergewaltigung seines bessern Wissens empfindet. Am Ende ist uns sogar
die kräftige, herbe Kost, die uns Eduard von Gebhardt verabreicht, lieber ge¬
worden als das gedankenlose Spiel mit schönen, aber seichten Phrasen, in das
die religiöse Malerei, insbesondre die Illustration der Bibel in den fünfziger
und sechziger Jahren ausgeartet war, um schließlich durch den Franzosen Dore
in widerliche Unnatur verdreht zu werden. Gerade in den letzten Jahren ist
Gebhardts Kraft ungemein schöpferisch gewesen, und es scheint, als wollte er
sie jetzt auch mehr als bisher dem Alten Testamente zuwenden. Seinem mit
dem Engel ringenden Jakob, den die Dresdner Galerie vor vier Jahren an¬
gekauft hat, ist jetzt ein Elias in der Wüste gefolgt, den der Engel des Herrn
aus dem Schlafe weckt, um ihn zu seiner langen Reise zu stärken. Es ist
eine derbknvchige Gestalt mit großen Füßen und Händen, dieser Prophet Gottes,
aber aus den Augen, die er zu dem ihn an der Schulter rührenden, himm¬
lischen Boten erhebt, aus der Geberde seiner Linken spricht das gläubigste


Die große Äunstausstellnng in Berlin

Im Gegensatz dazu befriedigt das zweite Bild, das wir als Beispiel
herangezogen haben, mehr unser Schönheitsgefühl. Wir sehen zwei Gestalten
voll Hoheit, Würde und Anmut vor uns, hineingestellt in eine Landschaft,
deren einzelne Teile offenbar auf gründlichen Naturstudien beruhen, die aber
in der Komposition, in dem feierlichen Rhythmus der Linien und im Kolorit
— ohne merklichen Zwang — mit dem Hauptmotiv des Bildes, der Offen¬
barung des Auferstehungswnnders in der Stille des Ostermorgens, in Einklang
gebracht worden ist. Dieser Künstler hat einen ganz andern Weg eingeschlagen
als Angust von Brandes und hat dasselbe Ziel erreicht, ohne sich von der
Natur weiter zu entfernen, nur daß er die Natur mit andern Augen betrachtet.
Es ist der alte Weg, den die Künstler wählen, die immer noch beflissen
sind, die Wahrheit in der Schönheit zu suchen, und es ist nicht zu leugnen,
daß die Mehrzahl der Freunde religiöser Kunst ihnen folgt. Die vorurteils¬
loser unter ihnen sollten aber beide Richtungen mit gleichem Wohlwollen und
gleicher Unbefangenheit verfolgen, weil ihre Vertreter sichtlich mit ernstem
Willen zu ernsten Thaten bereit sind.

Es liegt kein Widerspruch darin, wenn wir einen Künstler, dessen Formen¬
sprache realistisch ist, trotzdem zu den Idealisten rechnen. Eduard von Geb-
hardt hat uns durch eine lauge Reihe von Schöpfungen gezeigt, daß sich die
Darstellungsmittel des Realismus sehr wohl mit idealistischer Grundanschauung
vereinigen lassen, und gerade die Kraft seines Idealismus hat mit der Zeit
selbst die Leute, denen seine Ausdrucksweise gesucht und erkünstelt vorkam, zu
ehrlichen Bewunderern umgewandelt. Mit der Macht, die nur dem wahren
Künstler eigen ist, hat er uns schließlich gezwungen, seine Bilder sozusagen
mit seinen Augen anzusehen, an das zu glauben, woran er selbst aus inniger
Überzeugung glaubt, uns die Vorgänge der biblischen Geschichte im Spiegel
des deutschen Volkstums schauen zu lassen, ohne daß jemand noch dabei eine
Vergewaltigung seines bessern Wissens empfindet. Am Ende ist uns sogar
die kräftige, herbe Kost, die uns Eduard von Gebhardt verabreicht, lieber ge¬
worden als das gedankenlose Spiel mit schönen, aber seichten Phrasen, in das
die religiöse Malerei, insbesondre die Illustration der Bibel in den fünfziger
und sechziger Jahren ausgeartet war, um schließlich durch den Franzosen Dore
in widerliche Unnatur verdreht zu werden. Gerade in den letzten Jahren ist
Gebhardts Kraft ungemein schöpferisch gewesen, und es scheint, als wollte er
sie jetzt auch mehr als bisher dem Alten Testamente zuwenden. Seinem mit
dem Engel ringenden Jakob, den die Dresdner Galerie vor vier Jahren an¬
gekauft hat, ist jetzt ein Elias in der Wüste gefolgt, den der Engel des Herrn
aus dem Schlafe weckt, um ihn zu seiner langen Reise zu stärken. Es ist
eine derbknvchige Gestalt mit großen Füßen und Händen, dieser Prophet Gottes,
aber aus den Augen, die er zu dem ihn an der Schulter rührenden, himm¬
lischen Boten erhebt, aus der Geberde seiner Linken spricht das gläubigste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/50>, abgerufen am 04.07.2024.