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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

seien die guten Einkünfte zur Errichtung nicht bloß guter, sondern auch über¬
trieben luxuriöser Gebäude verwandt worden. Ob unter diesen überaus günstigen
Umständen, so schließt Avenarius die Schilderung dieser Periode, "viele von
diesen Gutsbesitzern große Veranlassung haben mochten, sich mit Eifer dem
Betriebe der Landwirtschaft zu widmen, in einer zweckmäßigen und richtigen
Verwaltung ihrer Besitzungen ihre Ehre und ihr Vergnügen zu finden, ob sie
nicht lieber hauptsächlich für Genüsse lebten und sich einem, in ihrer damaligen,
scheinbar sehr vorteilhaften Lage verzeihlichen, ihre wahren Vermögensumstände
aber übersteigenden Aufwande Hingaben, das wollen wir nicht untersuchen.
Unter diesen glücklichen Verhältnissen lebten die Gutsbesitzer Preußens bis zum
Jahre 1807 froh und vergnügt, und ihre Gastfreiheit sowie ihre angenehme
Lebensweise war allgemein bekannt." Da habe in diesem Unglücksjahre die
"im Herbst 1806 bei Jena angezündete Kriegsflamme" auch die Provinz Preußen
erreicht und ihren Wohlstand vernichtet.

Ein neuerer Fachmann, der aber die Quellen studirt hat, A. Unke. scheint
ähnlich wie Boyen zu glauben, daß die Pfandbriefinstitute mehr geschadet als
genutzt hätten. In seiner Schrift über die Agrarlrisis heißt es: "In vielen
Gegenden war vor hundert Jahren die Gelegenheit, Geld auf Güter zu leihen,
gering, und auch die zum Verkauf augebotnen Güter waren an Zahl nicht
groß. Der allgemein vermehrte Wohlstand zeitigte keine Neigung zum Schulden¬
machen, und der Verkauf von Gütern war beschränkt erstens dadurch, daß die
Güter Lehen waren, wie in vielen Teilen Sachsens, und daß der Ankauf von
Gütern nur Personen adlichen Standes erlaubt war, wie in Preußen. Doch
der in Mecklenburg. Holstein und andern Küstenländern Deutschlands blühende
Güterhaudel griff auch bald in Preußen um sich." Der Besitzer von Fonds
habe auch vor Errichtung der Landschaften leicht Geld auf Kredit bekommen,
nur der Zahlungsunfähige nicht. Da nun aber durch die Errichtung der
Landschaften der kapitallose Gutsbesitzer in den Stand gesetzt worden sei, die
Hülste seines Grundbesitzes in Geldkapital zu verwandeln, so habe er dieses
dazu benutzt, neuen Grundbesitz zu kaufen, diesen wieder verpfandbrieft, mit
den Pfandbriefen weitere Grundstücke gekauft u. f. f. Die so entstandne Kon¬
kurrenz habe die Güterpreise enorm gesteigert und es dahin gebracht, "daß die
meisten Gutsbesitzer nicht Ökonomie, sondern Güterhandel als die Hauptquelle
ihres Erwerbs ansahen." Das viele Geld habe zu einem luxuriösen Leben
verleitet, und dadurch seien viele Gutsbesitzer schon vor 1806 in eine so mi߬
liche Lage geraten, daß sich voraussehen ließ, sie würden eine ungünstige Kon-
junktur nicht überstehen können.

Die Katastrophe brach aber nicht etwa sofort nach Jena herein. Noch im
Jahre 1810 wurde sie, und zwar ohne Rücksicht auf den preußischen Krieg
und für ganz Deutschland, von den Vorsichtigen immer noch erst prophezeit.
Zu ihnen gehört der ungenannte Verfasser des in mehreren Beziehungen merk-


Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

seien die guten Einkünfte zur Errichtung nicht bloß guter, sondern auch über¬
trieben luxuriöser Gebäude verwandt worden. Ob unter diesen überaus günstigen
Umständen, so schließt Avenarius die Schilderung dieser Periode, „viele von
diesen Gutsbesitzern große Veranlassung haben mochten, sich mit Eifer dem
Betriebe der Landwirtschaft zu widmen, in einer zweckmäßigen und richtigen
Verwaltung ihrer Besitzungen ihre Ehre und ihr Vergnügen zu finden, ob sie
nicht lieber hauptsächlich für Genüsse lebten und sich einem, in ihrer damaligen,
scheinbar sehr vorteilhaften Lage verzeihlichen, ihre wahren Vermögensumstände
aber übersteigenden Aufwande Hingaben, das wollen wir nicht untersuchen.
Unter diesen glücklichen Verhältnissen lebten die Gutsbesitzer Preußens bis zum
Jahre 1807 froh und vergnügt, und ihre Gastfreiheit sowie ihre angenehme
Lebensweise war allgemein bekannt." Da habe in diesem Unglücksjahre die
„im Herbst 1806 bei Jena angezündete Kriegsflamme" auch die Provinz Preußen
erreicht und ihren Wohlstand vernichtet.

Ein neuerer Fachmann, der aber die Quellen studirt hat, A. Unke. scheint
ähnlich wie Boyen zu glauben, daß die Pfandbriefinstitute mehr geschadet als
genutzt hätten. In seiner Schrift über die Agrarlrisis heißt es: „In vielen
Gegenden war vor hundert Jahren die Gelegenheit, Geld auf Güter zu leihen,
gering, und auch die zum Verkauf augebotnen Güter waren an Zahl nicht
groß. Der allgemein vermehrte Wohlstand zeitigte keine Neigung zum Schulden¬
machen, und der Verkauf von Gütern war beschränkt erstens dadurch, daß die
Güter Lehen waren, wie in vielen Teilen Sachsens, und daß der Ankauf von
Gütern nur Personen adlichen Standes erlaubt war, wie in Preußen. Doch
der in Mecklenburg. Holstein und andern Küstenländern Deutschlands blühende
Güterhaudel griff auch bald in Preußen um sich." Der Besitzer von Fonds
habe auch vor Errichtung der Landschaften leicht Geld auf Kredit bekommen,
nur der Zahlungsunfähige nicht. Da nun aber durch die Errichtung der
Landschaften der kapitallose Gutsbesitzer in den Stand gesetzt worden sei, die
Hülste seines Grundbesitzes in Geldkapital zu verwandeln, so habe er dieses
dazu benutzt, neuen Grundbesitz zu kaufen, diesen wieder verpfandbrieft, mit
den Pfandbriefen weitere Grundstücke gekauft u. f. f. Die so entstandne Kon¬
kurrenz habe die Güterpreise enorm gesteigert und es dahin gebracht, „daß die
meisten Gutsbesitzer nicht Ökonomie, sondern Güterhandel als die Hauptquelle
ihres Erwerbs ansahen." Das viele Geld habe zu einem luxuriösen Leben
verleitet, und dadurch seien viele Gutsbesitzer schon vor 1806 in eine so mi߬
liche Lage geraten, daß sich voraussehen ließ, sie würden eine ungünstige Kon-
junktur nicht überstehen können.

Die Katastrophe brach aber nicht etwa sofort nach Jena herein. Noch im
Jahre 1810 wurde sie, und zwar ohne Rücksicht auf den preußischen Krieg
und für ganz Deutschland, von den Vorsichtigen immer noch erst prophezeit.
Zu ihnen gehört der ungenannte Verfasser des in mehreren Beziehungen merk-


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[0477] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland seien die guten Einkünfte zur Errichtung nicht bloß guter, sondern auch über¬ trieben luxuriöser Gebäude verwandt worden. Ob unter diesen überaus günstigen Umständen, so schließt Avenarius die Schilderung dieser Periode, „viele von diesen Gutsbesitzern große Veranlassung haben mochten, sich mit Eifer dem Betriebe der Landwirtschaft zu widmen, in einer zweckmäßigen und richtigen Verwaltung ihrer Besitzungen ihre Ehre und ihr Vergnügen zu finden, ob sie nicht lieber hauptsächlich für Genüsse lebten und sich einem, in ihrer damaligen, scheinbar sehr vorteilhaften Lage verzeihlichen, ihre wahren Vermögensumstände aber übersteigenden Aufwande Hingaben, das wollen wir nicht untersuchen. Unter diesen glücklichen Verhältnissen lebten die Gutsbesitzer Preußens bis zum Jahre 1807 froh und vergnügt, und ihre Gastfreiheit sowie ihre angenehme Lebensweise war allgemein bekannt." Da habe in diesem Unglücksjahre die „im Herbst 1806 bei Jena angezündete Kriegsflamme" auch die Provinz Preußen erreicht und ihren Wohlstand vernichtet. Ein neuerer Fachmann, der aber die Quellen studirt hat, A. Unke. scheint ähnlich wie Boyen zu glauben, daß die Pfandbriefinstitute mehr geschadet als genutzt hätten. In seiner Schrift über die Agrarlrisis heißt es: „In vielen Gegenden war vor hundert Jahren die Gelegenheit, Geld auf Güter zu leihen, gering, und auch die zum Verkauf augebotnen Güter waren an Zahl nicht groß. Der allgemein vermehrte Wohlstand zeitigte keine Neigung zum Schulden¬ machen, und der Verkauf von Gütern war beschränkt erstens dadurch, daß die Güter Lehen waren, wie in vielen Teilen Sachsens, und daß der Ankauf von Gütern nur Personen adlichen Standes erlaubt war, wie in Preußen. Doch der in Mecklenburg. Holstein und andern Küstenländern Deutschlands blühende Güterhaudel griff auch bald in Preußen um sich." Der Besitzer von Fonds habe auch vor Errichtung der Landschaften leicht Geld auf Kredit bekommen, nur der Zahlungsunfähige nicht. Da nun aber durch die Errichtung der Landschaften der kapitallose Gutsbesitzer in den Stand gesetzt worden sei, die Hülste seines Grundbesitzes in Geldkapital zu verwandeln, so habe er dieses dazu benutzt, neuen Grundbesitz zu kaufen, diesen wieder verpfandbrieft, mit den Pfandbriefen weitere Grundstücke gekauft u. f. f. Die so entstandne Kon¬ kurrenz habe die Güterpreise enorm gesteigert und es dahin gebracht, „daß die meisten Gutsbesitzer nicht Ökonomie, sondern Güterhandel als die Hauptquelle ihres Erwerbs ansahen." Das viele Geld habe zu einem luxuriösen Leben verleitet, und dadurch seien viele Gutsbesitzer schon vor 1806 in eine so mi߬ liche Lage geraten, daß sich voraussehen ließ, sie würden eine ungünstige Kon- junktur nicht überstehen können. Die Katastrophe brach aber nicht etwa sofort nach Jena herein. Noch im Jahre 1810 wurde sie, und zwar ohne Rücksicht auf den preußischen Krieg und für ganz Deutschland, von den Vorsichtigen immer noch erst prophezeit. Zu ihnen gehört der ungenannte Verfasser des in mehreren Beziehungen merk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/477>, abgerufen am 12.12.2024.