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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

wirklichen Opfern auflegte, ohne Murren gefallen zu lassen. Boyen schlägt
dabei die Wirksamkeit der ausgezeichneten Männer, besonders Kants, sehr hoch
an, die von der Königsberger Universität aus gute volkswirtschaftliche und
staatsrechtliche Kenntnisse und gesunde moralische Grundsätze unter der Jugend
der höhern Stunde Preußens verbreitet hätten. Die schlesischen Herren fügten
sich nicht so leicht und erschwerten die Ausführung der Reform. Die Stände
zweier mittelmürkischer Kreise aber, des Lebusischen und des Beeskow-Storko-
wischen, richteten eine Adresse an den König, von der Boyen II öO sagt, sie
sei mit großer Arglist abgefaßt und darauf berechnet gewesen, den König
wankend zu machen und den Staatskanzler Hardenberg zu stürzen; zu dem
letzten Zweck seien die gröbsten Verleumdungen und die unschicklichsten Äuße¬
rungen nicht gespart worden. Ihre Beschwerden hätten ja manches Wahre
enthalten, z. B. daß laut alter Nezesse der König nicht das Recht habe, ihre
Privilegien ohne ihre Einwilligung anzutasten. Man müsse aber bedenken,
"daß mit den damaligen Prvvinzialständen über die Bedürfnisse des Staats
zu unterhandeln rein unmöglich war, und daß man von diesen bloß aus dem
Adel und einigen zünftigen Bürgern zusammengesetzten Ständen niemals die
Befreiung der Bauern noch die Freiheit der Gewerbe würde haben erhalten
können." In dieser Adresse, berichtet Boyen weiter, "wurde Österreich als das
schönste Beispiel, wegen seiner Anhänglichkeit an die alten Einrichtungen und
Formen, hoch gepriesen (man brachte hierbei wahrscheinlich im stillen Joseph II.
ein xsi-Elk), die Aufhebung der adlichen Exemtionen als der Vorbote einer
unausbleiblich hereinbrechenden Revolution angekündigt, denn nur durch den
Adel würde das sonst trotzige und aufrührerische Volk im Zaume gehalten,
und endlich nach einer Menge der beleidigendsten Ausfülle gegen die Negierung
und den Staatskanzler (wobei der König eigentlich als ein willenloses Schatten¬
bild erschien) gegen alle Veränderung der Gesetzgebung protestirt, bis der König
mit den alten Ständen einen Vertrag abschließen würde. Noch am Schlüsse
wurde die Prophezeiung des unvermeidlichen Unglücks wiederholt und denn,
um das Ganze in Rücksicht auf den König zu versüßen, hinzugefügt: daß, wenn
in der Stunde der Gefahr alles den König verlassen würde, dann würden die
alten Stunde ihm zur Seite treten, mit ihm kämpfen und fallen." Sonderbar
mute es an, daß auch zwei Bürgerliche "diese aus krassen Adelsvorurteilen ent-
sprungne Schrift" mit unterzeichnet hätten, und daß unter dem pathetischen
Schluß auch der Name des hochbetagten Grafen Fink von Finkenstein und der
Hofdame Fräulein von Viereck gestanden habe; dnrch diese zwei wenigstens
würde in einem Kampf auf Leben und Tod die preußische Streitkraft nicht
besonders verstärkt worden sein. Mit dieser Adresse könnten sich höchstens
solche einverstanden erklären, die ihre Privatrechte über die Erhaltung des
Staats stellten, und die sich einbildeten, es sei möglich, einen Staat in allem
Wechsel der Zeiten zu regieren, ohne alte Vorrechte anzutasten.


Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

wirklichen Opfern auflegte, ohne Murren gefallen zu lassen. Boyen schlägt
dabei die Wirksamkeit der ausgezeichneten Männer, besonders Kants, sehr hoch
an, die von der Königsberger Universität aus gute volkswirtschaftliche und
staatsrechtliche Kenntnisse und gesunde moralische Grundsätze unter der Jugend
der höhern Stunde Preußens verbreitet hätten. Die schlesischen Herren fügten
sich nicht so leicht und erschwerten die Ausführung der Reform. Die Stände
zweier mittelmürkischer Kreise aber, des Lebusischen und des Beeskow-Storko-
wischen, richteten eine Adresse an den König, von der Boyen II öO sagt, sie
sei mit großer Arglist abgefaßt und darauf berechnet gewesen, den König
wankend zu machen und den Staatskanzler Hardenberg zu stürzen; zu dem
letzten Zweck seien die gröbsten Verleumdungen und die unschicklichsten Äuße¬
rungen nicht gespart worden. Ihre Beschwerden hätten ja manches Wahre
enthalten, z. B. daß laut alter Nezesse der König nicht das Recht habe, ihre
Privilegien ohne ihre Einwilligung anzutasten. Man müsse aber bedenken,
„daß mit den damaligen Prvvinzialständen über die Bedürfnisse des Staats
zu unterhandeln rein unmöglich war, und daß man von diesen bloß aus dem
Adel und einigen zünftigen Bürgern zusammengesetzten Ständen niemals die
Befreiung der Bauern noch die Freiheit der Gewerbe würde haben erhalten
können." In dieser Adresse, berichtet Boyen weiter, „wurde Österreich als das
schönste Beispiel, wegen seiner Anhänglichkeit an die alten Einrichtungen und
Formen, hoch gepriesen (man brachte hierbei wahrscheinlich im stillen Joseph II.
ein xsi-Elk), die Aufhebung der adlichen Exemtionen als der Vorbote einer
unausbleiblich hereinbrechenden Revolution angekündigt, denn nur durch den
Adel würde das sonst trotzige und aufrührerische Volk im Zaume gehalten,
und endlich nach einer Menge der beleidigendsten Ausfülle gegen die Negierung
und den Staatskanzler (wobei der König eigentlich als ein willenloses Schatten¬
bild erschien) gegen alle Veränderung der Gesetzgebung protestirt, bis der König
mit den alten Ständen einen Vertrag abschließen würde. Noch am Schlüsse
wurde die Prophezeiung des unvermeidlichen Unglücks wiederholt und denn,
um das Ganze in Rücksicht auf den König zu versüßen, hinzugefügt: daß, wenn
in der Stunde der Gefahr alles den König verlassen würde, dann würden die
alten Stunde ihm zur Seite treten, mit ihm kämpfen und fallen." Sonderbar
mute es an, daß auch zwei Bürgerliche „diese aus krassen Adelsvorurteilen ent-
sprungne Schrift" mit unterzeichnet hätten, und daß unter dem pathetischen
Schluß auch der Name des hochbetagten Grafen Fink von Finkenstein und der
Hofdame Fräulein von Viereck gestanden habe; dnrch diese zwei wenigstens
würde in einem Kampf auf Leben und Tod die preußische Streitkraft nicht
besonders verstärkt worden sein. Mit dieser Adresse könnten sich höchstens
solche einverstanden erklären, die ihre Privatrechte über die Erhaltung des
Staats stellten, und die sich einbildeten, es sei möglich, einen Staat in allem
Wechsel der Zeiten zu regieren, ohne alte Vorrechte anzutasten.


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[0409] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland wirklichen Opfern auflegte, ohne Murren gefallen zu lassen. Boyen schlägt dabei die Wirksamkeit der ausgezeichneten Männer, besonders Kants, sehr hoch an, die von der Königsberger Universität aus gute volkswirtschaftliche und staatsrechtliche Kenntnisse und gesunde moralische Grundsätze unter der Jugend der höhern Stunde Preußens verbreitet hätten. Die schlesischen Herren fügten sich nicht so leicht und erschwerten die Ausführung der Reform. Die Stände zweier mittelmürkischer Kreise aber, des Lebusischen und des Beeskow-Storko- wischen, richteten eine Adresse an den König, von der Boyen II öO sagt, sie sei mit großer Arglist abgefaßt und darauf berechnet gewesen, den König wankend zu machen und den Staatskanzler Hardenberg zu stürzen; zu dem letzten Zweck seien die gröbsten Verleumdungen und die unschicklichsten Äuße¬ rungen nicht gespart worden. Ihre Beschwerden hätten ja manches Wahre enthalten, z. B. daß laut alter Nezesse der König nicht das Recht habe, ihre Privilegien ohne ihre Einwilligung anzutasten. Man müsse aber bedenken, „daß mit den damaligen Prvvinzialständen über die Bedürfnisse des Staats zu unterhandeln rein unmöglich war, und daß man von diesen bloß aus dem Adel und einigen zünftigen Bürgern zusammengesetzten Ständen niemals die Befreiung der Bauern noch die Freiheit der Gewerbe würde haben erhalten können." In dieser Adresse, berichtet Boyen weiter, „wurde Österreich als das schönste Beispiel, wegen seiner Anhänglichkeit an die alten Einrichtungen und Formen, hoch gepriesen (man brachte hierbei wahrscheinlich im stillen Joseph II. ein xsi-Elk), die Aufhebung der adlichen Exemtionen als der Vorbote einer unausbleiblich hereinbrechenden Revolution angekündigt, denn nur durch den Adel würde das sonst trotzige und aufrührerische Volk im Zaume gehalten, und endlich nach einer Menge der beleidigendsten Ausfülle gegen die Negierung und den Staatskanzler (wobei der König eigentlich als ein willenloses Schatten¬ bild erschien) gegen alle Veränderung der Gesetzgebung protestirt, bis der König mit den alten Ständen einen Vertrag abschließen würde. Noch am Schlüsse wurde die Prophezeiung des unvermeidlichen Unglücks wiederholt und denn, um das Ganze in Rücksicht auf den König zu versüßen, hinzugefügt: daß, wenn in der Stunde der Gefahr alles den König verlassen würde, dann würden die alten Stunde ihm zur Seite treten, mit ihm kämpfen und fallen." Sonderbar mute es an, daß auch zwei Bürgerliche „diese aus krassen Adelsvorurteilen ent- sprungne Schrift" mit unterzeichnet hätten, und daß unter dem pathetischen Schluß auch der Name des hochbetagten Grafen Fink von Finkenstein und der Hofdame Fräulein von Viereck gestanden habe; dnrch diese zwei wenigstens würde in einem Kampf auf Leben und Tod die preußische Streitkraft nicht besonders verstärkt worden sein. Mit dieser Adresse könnten sich höchstens solche einverstanden erklären, die ihre Privatrechte über die Erhaltung des Staats stellten, und die sich einbildeten, es sei möglich, einen Staat in allem Wechsel der Zeiten zu regieren, ohne alte Vorrechte anzutasten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/409>, abgerufen am 12.12.2024.