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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

dem Anbau von Kartoffeln, Runkelrüben und Raps einen schönen Ertrag er¬
zielen könne. Was die Viehzucht anlangt, so wurde anfänglich nur das Pferd
berücksichtigt. Als mit zunehmender Industrie die Wollerzeugung lohnend
wurde, verlegte man sich auf die Veredlung des Schafes; dann erst beachtete
man das Rindvieh, während das Schwein noch lange vernachlässigt wurde.
Die Landwirtschaft kam, wie einige Jahrzehnte früher in England, als Lieb¬
haberei der Vornehmen in Mode; reiche Leute, die bis dahin ihre Landgüter
verpachtet hatten, fingen an felbst zu wirtschaften. Am Rhein blühte der
Getreidehandel, weil das durch die Revolution verwüstete und durch Kriege
der Bebauer beraubte Frankreich der Weizeneinfuhr bedürfte. Das ermutigte
die Landwirte zur Produktionssteigerung, und diese beförderte das Wachstum
der Bevölkerung, das wiederum zu stärkerer Produktion spornte. In der
Markgrafschaft Baden stieg trotz fortwährender Kriegsunruhen die Einwohner¬
zahl von 160614 im Jahre 1786 auf 196200 im Jahre 1799 und 235000
im Jahre 1805. In der Lausitz, die vom Kriege noch nicht berührt worden
war, stagnirte die Bevölkerung bis 1798, wo die neue Bodenkultur eingeführt
wurde; von da ab stieg sie rasch; in sechs Jahren von 308341 ans 345184
Seelen. In Frankreich war das Bauernelend die Hauptursache der Revolution
gewesen, und eine Hungersnot hatte den Anstoß zu ihrem Ausbruch gegeben.
In Deutschland wuchs mit dem zunehmenden Wohlstand der Bauernschaft die
Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen. Man war hier also nicht
dazu versucht, die Revolution nachzuahmen, dafür ließ man sich die Vorteile,
die sie brachte, gern gefallen; außer der lohnenden Weizenausfuhr, zu der sie
verhalf, bot sie auch eine Fülle geistiger Anregungen, und dem lebhaften Ge¬
dankenfluß, den sie in Bewegung setzte, war es mit zu verdanken, daß die Lehren
des Reformators Thaer auf so fruchtbaren Boden fielen, daß er eine große
Anzahl geistvoller und eifriger Schüler fand, daß die landwirtschaftlichen
Schulen aufblühten, deren erste Thaer am 1. November 1807 zu Mvglin im Re¬
gierungsbezirk Potsdam unter dem Donner der Kanonen eröffnete. Von nun
"n, bemerkt Langethal, wollte wenigstens jeder Landwirt ein "rationeller"
sein, denn Thaer hatte es soweit gebracht, das man sich schämte, sich grund¬
sätzlich zur bloßen Empirie zu bekennen.

Preußen, das den Reformator der Landwirtschaft berufen hatte, war mit
seinen östlichen Provinzen am längsten im Mittelalter stecken geblieben, wahrend
die westlichen schon einen freien Bauernstand hatten und sich dem Fortschritt
der rheinischen Landschaften anschlössen. Dafür überholte es dann mit seiner
großen Gesetzgebung von 1807 bis 1811 und der daraus hervorgehenden
Blüte der Landwirtschaft sehr rasch alle andern dentschen Staaten. Die ost-
preußischen Rittergutsbesitzer waren scharfblickend genug, die Vorteile zu er¬
kennen, die sich in den ihnen auferlegten scheinbaren Opfern bargen, und hatten
genug Patriotismus, sich das, was ihnen die Neuerung an vorübergehenden


Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

dem Anbau von Kartoffeln, Runkelrüben und Raps einen schönen Ertrag er¬
zielen könne. Was die Viehzucht anlangt, so wurde anfänglich nur das Pferd
berücksichtigt. Als mit zunehmender Industrie die Wollerzeugung lohnend
wurde, verlegte man sich auf die Veredlung des Schafes; dann erst beachtete
man das Rindvieh, während das Schwein noch lange vernachlässigt wurde.
Die Landwirtschaft kam, wie einige Jahrzehnte früher in England, als Lieb¬
haberei der Vornehmen in Mode; reiche Leute, die bis dahin ihre Landgüter
verpachtet hatten, fingen an felbst zu wirtschaften. Am Rhein blühte der
Getreidehandel, weil das durch die Revolution verwüstete und durch Kriege
der Bebauer beraubte Frankreich der Weizeneinfuhr bedürfte. Das ermutigte
die Landwirte zur Produktionssteigerung, und diese beförderte das Wachstum
der Bevölkerung, das wiederum zu stärkerer Produktion spornte. In der
Markgrafschaft Baden stieg trotz fortwährender Kriegsunruhen die Einwohner¬
zahl von 160614 im Jahre 1786 auf 196200 im Jahre 1799 und 235000
im Jahre 1805. In der Lausitz, die vom Kriege noch nicht berührt worden
war, stagnirte die Bevölkerung bis 1798, wo die neue Bodenkultur eingeführt
wurde; von da ab stieg sie rasch; in sechs Jahren von 308341 ans 345184
Seelen. In Frankreich war das Bauernelend die Hauptursache der Revolution
gewesen, und eine Hungersnot hatte den Anstoß zu ihrem Ausbruch gegeben.
In Deutschland wuchs mit dem zunehmenden Wohlstand der Bauernschaft die
Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen. Man war hier also nicht
dazu versucht, die Revolution nachzuahmen, dafür ließ man sich die Vorteile,
die sie brachte, gern gefallen; außer der lohnenden Weizenausfuhr, zu der sie
verhalf, bot sie auch eine Fülle geistiger Anregungen, und dem lebhaften Ge¬
dankenfluß, den sie in Bewegung setzte, war es mit zu verdanken, daß die Lehren
des Reformators Thaer auf so fruchtbaren Boden fielen, daß er eine große
Anzahl geistvoller und eifriger Schüler fand, daß die landwirtschaftlichen
Schulen aufblühten, deren erste Thaer am 1. November 1807 zu Mvglin im Re¬
gierungsbezirk Potsdam unter dem Donner der Kanonen eröffnete. Von nun
"n, bemerkt Langethal, wollte wenigstens jeder Landwirt ein „rationeller"
sein, denn Thaer hatte es soweit gebracht, das man sich schämte, sich grund¬
sätzlich zur bloßen Empirie zu bekennen.

Preußen, das den Reformator der Landwirtschaft berufen hatte, war mit
seinen östlichen Provinzen am längsten im Mittelalter stecken geblieben, wahrend
die westlichen schon einen freien Bauernstand hatten und sich dem Fortschritt
der rheinischen Landschaften anschlössen. Dafür überholte es dann mit seiner
großen Gesetzgebung von 1807 bis 1811 und der daraus hervorgehenden
Blüte der Landwirtschaft sehr rasch alle andern dentschen Staaten. Die ost-
preußischen Rittergutsbesitzer waren scharfblickend genug, die Vorteile zu er¬
kennen, die sich in den ihnen auferlegten scheinbaren Opfern bargen, und hatten
genug Patriotismus, sich das, was ihnen die Neuerung an vorübergehenden


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[0408] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland dem Anbau von Kartoffeln, Runkelrüben und Raps einen schönen Ertrag er¬ zielen könne. Was die Viehzucht anlangt, so wurde anfänglich nur das Pferd berücksichtigt. Als mit zunehmender Industrie die Wollerzeugung lohnend wurde, verlegte man sich auf die Veredlung des Schafes; dann erst beachtete man das Rindvieh, während das Schwein noch lange vernachlässigt wurde. Die Landwirtschaft kam, wie einige Jahrzehnte früher in England, als Lieb¬ haberei der Vornehmen in Mode; reiche Leute, die bis dahin ihre Landgüter verpachtet hatten, fingen an felbst zu wirtschaften. Am Rhein blühte der Getreidehandel, weil das durch die Revolution verwüstete und durch Kriege der Bebauer beraubte Frankreich der Weizeneinfuhr bedürfte. Das ermutigte die Landwirte zur Produktionssteigerung, und diese beförderte das Wachstum der Bevölkerung, das wiederum zu stärkerer Produktion spornte. In der Markgrafschaft Baden stieg trotz fortwährender Kriegsunruhen die Einwohner¬ zahl von 160614 im Jahre 1786 auf 196200 im Jahre 1799 und 235000 im Jahre 1805. In der Lausitz, die vom Kriege noch nicht berührt worden war, stagnirte die Bevölkerung bis 1798, wo die neue Bodenkultur eingeführt wurde; von da ab stieg sie rasch; in sechs Jahren von 308341 ans 345184 Seelen. In Frankreich war das Bauernelend die Hauptursache der Revolution gewesen, und eine Hungersnot hatte den Anstoß zu ihrem Ausbruch gegeben. In Deutschland wuchs mit dem zunehmenden Wohlstand der Bauernschaft die Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen. Man war hier also nicht dazu versucht, die Revolution nachzuahmen, dafür ließ man sich die Vorteile, die sie brachte, gern gefallen; außer der lohnenden Weizenausfuhr, zu der sie verhalf, bot sie auch eine Fülle geistiger Anregungen, und dem lebhaften Ge¬ dankenfluß, den sie in Bewegung setzte, war es mit zu verdanken, daß die Lehren des Reformators Thaer auf so fruchtbaren Boden fielen, daß er eine große Anzahl geistvoller und eifriger Schüler fand, daß die landwirtschaftlichen Schulen aufblühten, deren erste Thaer am 1. November 1807 zu Mvglin im Re¬ gierungsbezirk Potsdam unter dem Donner der Kanonen eröffnete. Von nun "n, bemerkt Langethal, wollte wenigstens jeder Landwirt ein „rationeller" sein, denn Thaer hatte es soweit gebracht, das man sich schämte, sich grund¬ sätzlich zur bloßen Empirie zu bekennen. Preußen, das den Reformator der Landwirtschaft berufen hatte, war mit seinen östlichen Provinzen am längsten im Mittelalter stecken geblieben, wahrend die westlichen schon einen freien Bauernstand hatten und sich dem Fortschritt der rheinischen Landschaften anschlössen. Dafür überholte es dann mit seiner großen Gesetzgebung von 1807 bis 1811 und der daraus hervorgehenden Blüte der Landwirtschaft sehr rasch alle andern dentschen Staaten. Die ost- preußischen Rittergutsbesitzer waren scharfblickend genug, die Vorteile zu er¬ kennen, die sich in den ihnen auferlegten scheinbaren Opfern bargen, und hatten genug Patriotismus, sich das, was ihnen die Neuerung an vorübergehenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/408>, abgerufen am 24.07.2024.