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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

Noch ehe die Früchte dieser Reform in den altpreußischen Provinzen reifen!
konnten, waren die Landgüter ein Gegenstand lebhafter Spekulation geworden..
Trotz aller Hemmnisse war doch die bessere Bewirtschaftung schon vor der
Reform bis nach Ostpreußen vorgedrungen, und die Kornansfuhr nach Eng¬
land brachte ansehnlichen Gewinn. Im Westen erhöhte die Weizenausfuhr nach
Frankreich die Rentabilität, und da die immerwährenden Kriege die Staats-
Pnpiere mit Entwertung bedrohten, so strebten vorsichtige Kapitalisten darnach,
ihr Vermögen in der unzerstörbarsten aller Kcipitalformen, in Grund uno
Boden anzulegen. Nach Langethal haben sich besonders viele in Mecklenburg
und schwedisch-Pommern angekauft, wo sich manche Gutsbesitzer durch scha¬
blonenhafte Anwendung der für jene Gegend nicht passenden Würchwitzer
Wirtschaftsart Mißernten zugezogen hatten, die sie nötigten, ihre Güter zu
verkaufen. Dazu kam dann noch eine bedeutende Steigerung der Getreidepreise
in den ersten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. Während sich in der
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, von Teuerungsjahren abgesehen,
der Weizenpreis um drei Thaler, der Noggenpreis um zwei Thaler für den
Scheffel bewegt hatte, stiegen in Sachsen die Preise dieser beiden wichtigsten
Getreidesvrten im Herbst 1802 auf sechs Thaler und vier Thaler acht Silber¬
groschen, und im Frühjahr 1805 sogar auf neun Thaler und neun Thaler
zwölf Silbergroschen; im Herbst stieg der Weizen noch weiter auf zehn Thaler,
wahrend die für die Volksernührung in Deutschland wichtigste Getreideart
wenigstens auf sieben Thaler acht Silbergroschen zurückging (uach einer dem
anonymen Buch über den Güterhandel beigegebnen Tabelle). Natürlich belebte
diese Preissteigerung die Güterspeknlation noch mehr, und die Güterpreise
stiegen auf das doppelte, zum Teil auf das vier-und sechsfache/') Die Steige¬
rung der Getreidepreise erklärt sich hinlänglich aus der Verwüstung mehrerer
europäischer Länder durch den Krieg, der die Zahl der Bebauer verminderte,
Während in den gerade von fremden Heeren heimgesuchten Ländern, nud zu
diesen gehörte ja unser damals unglückliches Vaterland, die Zahl einer Sorte
von Konsumenten stieg, die sich nicht immer mit dem Verzehren begnügte,
sondern mitunter auch Vorräte zerstörte. Wie jede starke Preiserhöhung durch
Spekulation endete auch diese mit einem Krach.

Oder sagen wir lieber, da die Katastrophentheorie überall, auch bei den
Sozialdemokraten. aus der Mode kommt und der Lyellschen Umbildnngstheorie
Platz macht, sie lief in eine langjährige Krisis aus. die bald hier bald dort
zu kleinern oder größern Katastrophen führte. Nach Langethal wäre eme
solche in Mecklenburg und Vorpommern ausgebrochen, weil 1306, beim Em-



') Das wurde wenigstens behauptet; Beweise für eine so hohe Steigerung haben wir nicht
gefunden. Unter den bei Unke angeführten Fällen weist folgender die höchste Steigerung auf.
Das Gut Falkemvalde in der Neumark wurde 178! auf 23U00 Thaler geschätzt. 1774 zu
4S973 Thalern vererbt, 1803 um 137 500 Thaler verknust.
Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

Noch ehe die Früchte dieser Reform in den altpreußischen Provinzen reifen!
konnten, waren die Landgüter ein Gegenstand lebhafter Spekulation geworden..
Trotz aller Hemmnisse war doch die bessere Bewirtschaftung schon vor der
Reform bis nach Ostpreußen vorgedrungen, und die Kornansfuhr nach Eng¬
land brachte ansehnlichen Gewinn. Im Westen erhöhte die Weizenausfuhr nach
Frankreich die Rentabilität, und da die immerwährenden Kriege die Staats-
Pnpiere mit Entwertung bedrohten, so strebten vorsichtige Kapitalisten darnach,
ihr Vermögen in der unzerstörbarsten aller Kcipitalformen, in Grund uno
Boden anzulegen. Nach Langethal haben sich besonders viele in Mecklenburg
und schwedisch-Pommern angekauft, wo sich manche Gutsbesitzer durch scha¬
blonenhafte Anwendung der für jene Gegend nicht passenden Würchwitzer
Wirtschaftsart Mißernten zugezogen hatten, die sie nötigten, ihre Güter zu
verkaufen. Dazu kam dann noch eine bedeutende Steigerung der Getreidepreise
in den ersten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. Während sich in der
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, von Teuerungsjahren abgesehen,
der Weizenpreis um drei Thaler, der Noggenpreis um zwei Thaler für den
Scheffel bewegt hatte, stiegen in Sachsen die Preise dieser beiden wichtigsten
Getreidesvrten im Herbst 1802 auf sechs Thaler und vier Thaler acht Silber¬
groschen, und im Frühjahr 1805 sogar auf neun Thaler und neun Thaler
zwölf Silbergroschen; im Herbst stieg der Weizen noch weiter auf zehn Thaler,
wahrend die für die Volksernührung in Deutschland wichtigste Getreideart
wenigstens auf sieben Thaler acht Silbergroschen zurückging (uach einer dem
anonymen Buch über den Güterhandel beigegebnen Tabelle). Natürlich belebte
diese Preissteigerung die Güterspeknlation noch mehr, und die Güterpreise
stiegen auf das doppelte, zum Teil auf das vier-und sechsfache/') Die Steige¬
rung der Getreidepreise erklärt sich hinlänglich aus der Verwüstung mehrerer
europäischer Länder durch den Krieg, der die Zahl der Bebauer verminderte,
Während in den gerade von fremden Heeren heimgesuchten Ländern, nud zu
diesen gehörte ja unser damals unglückliches Vaterland, die Zahl einer Sorte
von Konsumenten stieg, die sich nicht immer mit dem Verzehren begnügte,
sondern mitunter auch Vorräte zerstörte. Wie jede starke Preiserhöhung durch
Spekulation endete auch diese mit einem Krach.

Oder sagen wir lieber, da die Katastrophentheorie überall, auch bei den
Sozialdemokraten. aus der Mode kommt und der Lyellschen Umbildnngstheorie
Platz macht, sie lief in eine langjährige Krisis aus. die bald hier bald dort
zu kleinern oder größern Katastrophen führte. Nach Langethal wäre eme
solche in Mecklenburg und Vorpommern ausgebrochen, weil 1306, beim Em-



') Das wurde wenigstens behauptet; Beweise für eine so hohe Steigerung haben wir nicht
gefunden. Unter den bei Unke angeführten Fällen weist folgender die höchste Steigerung auf.
Das Gut Falkemvalde in der Neumark wurde 178! auf 23U00 Thaler geschätzt. 1774 zu
4S973 Thalern vererbt, 1803 um 137 500 Thaler verknust.
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[0410] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland Noch ehe die Früchte dieser Reform in den altpreußischen Provinzen reifen! konnten, waren die Landgüter ein Gegenstand lebhafter Spekulation geworden.. Trotz aller Hemmnisse war doch die bessere Bewirtschaftung schon vor der Reform bis nach Ostpreußen vorgedrungen, und die Kornansfuhr nach Eng¬ land brachte ansehnlichen Gewinn. Im Westen erhöhte die Weizenausfuhr nach Frankreich die Rentabilität, und da die immerwährenden Kriege die Staats- Pnpiere mit Entwertung bedrohten, so strebten vorsichtige Kapitalisten darnach, ihr Vermögen in der unzerstörbarsten aller Kcipitalformen, in Grund uno Boden anzulegen. Nach Langethal haben sich besonders viele in Mecklenburg und schwedisch-Pommern angekauft, wo sich manche Gutsbesitzer durch scha¬ blonenhafte Anwendung der für jene Gegend nicht passenden Würchwitzer Wirtschaftsart Mißernten zugezogen hatten, die sie nötigten, ihre Güter zu verkaufen. Dazu kam dann noch eine bedeutende Steigerung der Getreidepreise in den ersten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. Während sich in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, von Teuerungsjahren abgesehen, der Weizenpreis um drei Thaler, der Noggenpreis um zwei Thaler für den Scheffel bewegt hatte, stiegen in Sachsen die Preise dieser beiden wichtigsten Getreidesvrten im Herbst 1802 auf sechs Thaler und vier Thaler acht Silber¬ groschen, und im Frühjahr 1805 sogar auf neun Thaler und neun Thaler zwölf Silbergroschen; im Herbst stieg der Weizen noch weiter auf zehn Thaler, wahrend die für die Volksernührung in Deutschland wichtigste Getreideart wenigstens auf sieben Thaler acht Silbergroschen zurückging (uach einer dem anonymen Buch über den Güterhandel beigegebnen Tabelle). Natürlich belebte diese Preissteigerung die Güterspeknlation noch mehr, und die Güterpreise stiegen auf das doppelte, zum Teil auf das vier-und sechsfache/') Die Steige¬ rung der Getreidepreise erklärt sich hinlänglich aus der Verwüstung mehrerer europäischer Länder durch den Krieg, der die Zahl der Bebauer verminderte, Während in den gerade von fremden Heeren heimgesuchten Ländern, nud zu diesen gehörte ja unser damals unglückliches Vaterland, die Zahl einer Sorte von Konsumenten stieg, die sich nicht immer mit dem Verzehren begnügte, sondern mitunter auch Vorräte zerstörte. Wie jede starke Preiserhöhung durch Spekulation endete auch diese mit einem Krach. Oder sagen wir lieber, da die Katastrophentheorie überall, auch bei den Sozialdemokraten. aus der Mode kommt und der Lyellschen Umbildnngstheorie Platz macht, sie lief in eine langjährige Krisis aus. die bald hier bald dort zu kleinern oder größern Katastrophen führte. Nach Langethal wäre eme solche in Mecklenburg und Vorpommern ausgebrochen, weil 1306, beim Em- ') Das wurde wenigstens behauptet; Beweise für eine so hohe Steigerung haben wir nicht gefunden. Unter den bei Unke angeführten Fällen weist folgender die höchste Steigerung auf. Das Gut Falkemvalde in der Neumark wurde 178! auf 23U00 Thaler geschätzt. 1774 zu 4S973 Thalern vererbt, 1803 um 137 500 Thaler verknust.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/410>, abgerufen am 24.07.2024.