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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

geführte Schrift in seinem achtzigsten Lebensjahre verfaßt --, der hat noch das
grausige Bild davon in der Erinnerung; die Jugend, die es nicht gesehen hat,
wird es bei der Beschreibung kaum für möglich halten, daß unter solchen Um¬
ständen überhaupt gewirtschaftet werden konnte. Er beschreibt das Aussehen
der damaligen Dörfer: ein Drittel des Ackers Bräche und kahl, die Häuser
und Wirtschaftsgebäude verfallne Holzbaracken, mit Stroh gedeckt, von den
Obstbäumen, die heute die Gehöfte mit ihrem grünen Prachtmantel einhüllen,
keine Spur, die ganze Landschaft kahl und öde, grau und schwarzbraun, während
sie heute grün mit eingestreutem weiß und rot erscheint.

Das in der schlechten Agrarverfassung bestehende Hindernis wurde am
frühesten dort gehoben, wo die Leibeigenschaft am härtesten drückte, und die Land¬
wirtschaft am weitesten zurück war, in Osterreich. Die von Maria Theresia und
Joseph II. zum Teil durchgeführte Bauernbefreiung verschaffte dem technischen
Fortschritt Eingang, und bald sah man dort einen kräftigen und wohlhabenden
Bauernstand erblühen. Als politische Frucht dieser Reformen ergab sich in
den Napoleonischen Kriegen die Bereitwilligkeit der Bauern, für Kaiser und
Reich die Waffen zu ergreifen. Ja, die Rüstungen zu dem Feldzuge von 1809
waren sogar auf den Volkskrieg berechnet, aber, schreibt Boyen II 367, "im
Laufe des Feldzugs hatte man dies vergessen und glaubte nach dem Verlust
von ein Paar Schlachten, die doch eigentlich nur das Linienmilitär und die
schnell eingeschulte Landwehr geschlagen hatte, alles verloren. Nur selten
entwickelt sich in den absoluten Regierungen die zu einem Volkskriege nötige
geistige Kraft; sie beben im letzten Augenblicke vor der Ausführung eines solchen
Entschlusses, und das kann uns nicht wundern, wenn man bedenkt, was für
verweichlichte, schlaffe Naturen der größte Teil der fürstlichen Ratgeber sind."

Am Rhein gingen die Reformen aus dem Volke hervor. Aufgeklärte
Kameralisten hatten erkannt, daß mit Verbesserungen im einzelnen wenig aus¬
gerichtet werde, solange die unzweckmäßige Agrarverfassung bestehen bleibe;
landwirtschaftliche Vereine verbreiteten diese Erkenntnis, und ein solcher Verein,
der zu Kaiserslautern, wandte sich im Jahre 1770 an die Fürsten des Rhein¬
lands mit der Bitte, das Hut- und Triftservitut aufzuheben. Diese Bitte
wurde gewährt; man bestellte fortan die Bräche mit Klee, Kartoffeln, Runkel¬
rüben, führte die Stallfütterung ein und gelangte allmählich durch ein ge¬
mischtes System hindurch zur Fruchtwechselwirtschafr. Schon 1779 konnte
Schlözer schreiben: Das Rheinland ist wie ein Garten so schön. Am Rhein
lernte der koburgische Hofrat Schubart, den Kaiser Joseph II. unter dem
Namen Schubart von Kleefeld in den Adelsstand erhob, die neuen Methoden
kennen, vervollkommnete sie weiter und machte sein Gut Würchwitz bei Zeitz
zu einer Musterwirtschaft, von wo aus sich die verbesserte Anbauart über
Thüringen, Sachsen, Böhmen und Mähren verbreitete. Schubart beseitigte
das Vorurteil, daß der Klee den Boden aussauge, und zeigte, wie man mit


Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

geführte Schrift in seinem achtzigsten Lebensjahre verfaßt —, der hat noch das
grausige Bild davon in der Erinnerung; die Jugend, die es nicht gesehen hat,
wird es bei der Beschreibung kaum für möglich halten, daß unter solchen Um¬
ständen überhaupt gewirtschaftet werden konnte. Er beschreibt das Aussehen
der damaligen Dörfer: ein Drittel des Ackers Bräche und kahl, die Häuser
und Wirtschaftsgebäude verfallne Holzbaracken, mit Stroh gedeckt, von den
Obstbäumen, die heute die Gehöfte mit ihrem grünen Prachtmantel einhüllen,
keine Spur, die ganze Landschaft kahl und öde, grau und schwarzbraun, während
sie heute grün mit eingestreutem weiß und rot erscheint.

Das in der schlechten Agrarverfassung bestehende Hindernis wurde am
frühesten dort gehoben, wo die Leibeigenschaft am härtesten drückte, und die Land¬
wirtschaft am weitesten zurück war, in Osterreich. Die von Maria Theresia und
Joseph II. zum Teil durchgeführte Bauernbefreiung verschaffte dem technischen
Fortschritt Eingang, und bald sah man dort einen kräftigen und wohlhabenden
Bauernstand erblühen. Als politische Frucht dieser Reformen ergab sich in
den Napoleonischen Kriegen die Bereitwilligkeit der Bauern, für Kaiser und
Reich die Waffen zu ergreifen. Ja, die Rüstungen zu dem Feldzuge von 1809
waren sogar auf den Volkskrieg berechnet, aber, schreibt Boyen II 367, „im
Laufe des Feldzugs hatte man dies vergessen und glaubte nach dem Verlust
von ein Paar Schlachten, die doch eigentlich nur das Linienmilitär und die
schnell eingeschulte Landwehr geschlagen hatte, alles verloren. Nur selten
entwickelt sich in den absoluten Regierungen die zu einem Volkskriege nötige
geistige Kraft; sie beben im letzten Augenblicke vor der Ausführung eines solchen
Entschlusses, und das kann uns nicht wundern, wenn man bedenkt, was für
verweichlichte, schlaffe Naturen der größte Teil der fürstlichen Ratgeber sind."

Am Rhein gingen die Reformen aus dem Volke hervor. Aufgeklärte
Kameralisten hatten erkannt, daß mit Verbesserungen im einzelnen wenig aus¬
gerichtet werde, solange die unzweckmäßige Agrarverfassung bestehen bleibe;
landwirtschaftliche Vereine verbreiteten diese Erkenntnis, und ein solcher Verein,
der zu Kaiserslautern, wandte sich im Jahre 1770 an die Fürsten des Rhein¬
lands mit der Bitte, das Hut- und Triftservitut aufzuheben. Diese Bitte
wurde gewährt; man bestellte fortan die Bräche mit Klee, Kartoffeln, Runkel¬
rüben, führte die Stallfütterung ein und gelangte allmählich durch ein ge¬
mischtes System hindurch zur Fruchtwechselwirtschafr. Schon 1779 konnte
Schlözer schreiben: Das Rheinland ist wie ein Garten so schön. Am Rhein
lernte der koburgische Hofrat Schubart, den Kaiser Joseph II. unter dem
Namen Schubart von Kleefeld in den Adelsstand erhob, die neuen Methoden
kennen, vervollkommnete sie weiter und machte sein Gut Würchwitz bei Zeitz
zu einer Musterwirtschaft, von wo aus sich die verbesserte Anbauart über
Thüringen, Sachsen, Böhmen und Mähren verbreitete. Schubart beseitigte
das Vorurteil, daß der Klee den Boden aussauge, und zeigte, wie man mit


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[0407] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland geführte Schrift in seinem achtzigsten Lebensjahre verfaßt —, der hat noch das grausige Bild davon in der Erinnerung; die Jugend, die es nicht gesehen hat, wird es bei der Beschreibung kaum für möglich halten, daß unter solchen Um¬ ständen überhaupt gewirtschaftet werden konnte. Er beschreibt das Aussehen der damaligen Dörfer: ein Drittel des Ackers Bräche und kahl, die Häuser und Wirtschaftsgebäude verfallne Holzbaracken, mit Stroh gedeckt, von den Obstbäumen, die heute die Gehöfte mit ihrem grünen Prachtmantel einhüllen, keine Spur, die ganze Landschaft kahl und öde, grau und schwarzbraun, während sie heute grün mit eingestreutem weiß und rot erscheint. Das in der schlechten Agrarverfassung bestehende Hindernis wurde am frühesten dort gehoben, wo die Leibeigenschaft am härtesten drückte, und die Land¬ wirtschaft am weitesten zurück war, in Osterreich. Die von Maria Theresia und Joseph II. zum Teil durchgeführte Bauernbefreiung verschaffte dem technischen Fortschritt Eingang, und bald sah man dort einen kräftigen und wohlhabenden Bauernstand erblühen. Als politische Frucht dieser Reformen ergab sich in den Napoleonischen Kriegen die Bereitwilligkeit der Bauern, für Kaiser und Reich die Waffen zu ergreifen. Ja, die Rüstungen zu dem Feldzuge von 1809 waren sogar auf den Volkskrieg berechnet, aber, schreibt Boyen II 367, „im Laufe des Feldzugs hatte man dies vergessen und glaubte nach dem Verlust von ein Paar Schlachten, die doch eigentlich nur das Linienmilitär und die schnell eingeschulte Landwehr geschlagen hatte, alles verloren. Nur selten entwickelt sich in den absoluten Regierungen die zu einem Volkskriege nötige geistige Kraft; sie beben im letzten Augenblicke vor der Ausführung eines solchen Entschlusses, und das kann uns nicht wundern, wenn man bedenkt, was für verweichlichte, schlaffe Naturen der größte Teil der fürstlichen Ratgeber sind." Am Rhein gingen die Reformen aus dem Volke hervor. Aufgeklärte Kameralisten hatten erkannt, daß mit Verbesserungen im einzelnen wenig aus¬ gerichtet werde, solange die unzweckmäßige Agrarverfassung bestehen bleibe; landwirtschaftliche Vereine verbreiteten diese Erkenntnis, und ein solcher Verein, der zu Kaiserslautern, wandte sich im Jahre 1770 an die Fürsten des Rhein¬ lands mit der Bitte, das Hut- und Triftservitut aufzuheben. Diese Bitte wurde gewährt; man bestellte fortan die Bräche mit Klee, Kartoffeln, Runkel¬ rüben, führte die Stallfütterung ein und gelangte allmählich durch ein ge¬ mischtes System hindurch zur Fruchtwechselwirtschafr. Schon 1779 konnte Schlözer schreiben: Das Rheinland ist wie ein Garten so schön. Am Rhein lernte der koburgische Hofrat Schubart, den Kaiser Joseph II. unter dem Namen Schubart von Kleefeld in den Adelsstand erhob, die neuen Methoden kennen, vervollkommnete sie weiter und machte sein Gut Würchwitz bei Zeitz zu einer Musterwirtschaft, von wo aus sich die verbesserte Anbauart über Thüringen, Sachsen, Böhmen und Mähren verbreitete. Schubart beseitigte das Vorurteil, daß der Klee den Boden aussauge, und zeigte, wie man mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/407>, abgerufen am 04.07.2024.