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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

notwendig, und dieser erlaubte dem intelligenten und rührigen Landwirt nicht,
über die herkömmliche, von der ganzen Gemeinde beobachtete Bcstellungsart
hinauszugehen. Der Gutsherr hatte das Recht, nach der Ernte sein Vieh auf
die Bräche der Bauern zu treiben, weshalb diese nicht mit Stoppelfrüchtcn
besät oder bepflanzt werden durfte (Triftservitut), und da Stallfütterung im
Sommer unbekannt war, unterlagen die Wiesen dem Hutscrvitut, was eine
ordentliche Wiesenkultur unmöglich machte. Dazu kam noch, daß beim Mangel
eines organisirten Getreidegroßhandels und guter Verkehrsanstalten der Antrieb
zur Mehrproduktion fehlte; es war daher noch beinahe wie im Mittelalter:
nach guten Ernten erstickte man im Überfluß, nach schlechten brach eine
Hungersnot aus. (In Ungarn hat dieser Zustand noch bis in die sechziger
Jahre fortgedauert. Der schroffe Klimawechsel, erzählt Noscher, brachte es
dort mit sich, daß man z. B. auf einem Bcmater Gute im Jahre 1863 auf
das Joch Metzen, 1864 aber 20 Metzen erntete, und der schlechten Wege
wegen war weder Zufuhr noch Absatz im erforderlichen Umfange möglich.
Um dieselbe Zeit hat der Mangel an Verkehrswegen auch in Ostpreußen noch
eine Hungersnot erzeugt, die allerdings durch Regierungsfürsorge und Privat¬
hilfe so rasch und gründlich überwunden wurde, daß einem Knecht ans Ost¬
preußen, der in Pommern diente, seine Eltern schrieben: Komm nur rasch
nach Hause und hilf uns essen, so lange die Hungersnot dauert. Wenn vor
acht Jahren Rußland bei einer Hungersnot noch Getreide ausführen konnte,
bis es verboten wurde, so bekundete sich darin schon das Überwiegen der
.heutigen Weltwirtschaft über die Staatswirtschaft.) Versuchen, das hergebrachte
Wirtschaftssystem zu verlassen, wurde der vermeintlich wissenschaftliche Satz ent¬
gegen gehalten, daß der Boden seine periodische Ruhe haben müsse, wenn er
nicht erschöpft werden solle. Man wußte noch nicht, daß der Fruchtboden kein
reines Naturgeschenk, sondern zum Teil ein Erzeugnis menschlicher Arbeit und
Kunst ist, und man beachtete nicht die Erfahrung, die in der Nahe größerer
Städte schon damals mit der freien Wirtschaft gemacht worden war, bei der
der Boden Jahr für Jahr tragen muß und nicht einmal eine durch die Acker¬
bauchemie vorgeschriebue Fruchtfolge beobachtet wird. Wo die Bauern noch
unfrei und zu Fronten verpflichtet waren, konnte selbstverständlich von wirt¬
schaftlichen Verbesserungen auf Bauergütern noch keine Rede sein. Auch der
Zehnten war kein geringes Hemmnis. Mit dessen Erhebung für große Herr¬
schaften waren, wie Elsner schreibt, viele Vexationen verbunden. Es dauerte
oft wochenlang, ehe der mit der Einsammlung beauftragte Beamte fertig wurde;
so lange mußten die Garben auf dem Felde stehen bleiben, und bei schlechtem
Wetter verfaulten sie. Wer das erlebt hat, ruft Elsner -- er hat die an-


Anibott die Dreschmaschine erfunden; Christinn Wolf fand im Anfang des achtzehnten Jahr¬
hunderts, das; der Ertrag des Getreides vermehrt werde, wenn die Stöcke mit Erde behäufelt
würden, worauf in England von 1731 ab die Drillkultur begründet wurde. Langethal, S. MO.
Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

notwendig, und dieser erlaubte dem intelligenten und rührigen Landwirt nicht,
über die herkömmliche, von der ganzen Gemeinde beobachtete Bcstellungsart
hinauszugehen. Der Gutsherr hatte das Recht, nach der Ernte sein Vieh auf
die Bräche der Bauern zu treiben, weshalb diese nicht mit Stoppelfrüchtcn
besät oder bepflanzt werden durfte (Triftservitut), und da Stallfütterung im
Sommer unbekannt war, unterlagen die Wiesen dem Hutscrvitut, was eine
ordentliche Wiesenkultur unmöglich machte. Dazu kam noch, daß beim Mangel
eines organisirten Getreidegroßhandels und guter Verkehrsanstalten der Antrieb
zur Mehrproduktion fehlte; es war daher noch beinahe wie im Mittelalter:
nach guten Ernten erstickte man im Überfluß, nach schlechten brach eine
Hungersnot aus. (In Ungarn hat dieser Zustand noch bis in die sechziger
Jahre fortgedauert. Der schroffe Klimawechsel, erzählt Noscher, brachte es
dort mit sich, daß man z. B. auf einem Bcmater Gute im Jahre 1863 auf
das Joch Metzen, 1864 aber 20 Metzen erntete, und der schlechten Wege
wegen war weder Zufuhr noch Absatz im erforderlichen Umfange möglich.
Um dieselbe Zeit hat der Mangel an Verkehrswegen auch in Ostpreußen noch
eine Hungersnot erzeugt, die allerdings durch Regierungsfürsorge und Privat¬
hilfe so rasch und gründlich überwunden wurde, daß einem Knecht ans Ost¬
preußen, der in Pommern diente, seine Eltern schrieben: Komm nur rasch
nach Hause und hilf uns essen, so lange die Hungersnot dauert. Wenn vor
acht Jahren Rußland bei einer Hungersnot noch Getreide ausführen konnte,
bis es verboten wurde, so bekundete sich darin schon das Überwiegen der
.heutigen Weltwirtschaft über die Staatswirtschaft.) Versuchen, das hergebrachte
Wirtschaftssystem zu verlassen, wurde der vermeintlich wissenschaftliche Satz ent¬
gegen gehalten, daß der Boden seine periodische Ruhe haben müsse, wenn er
nicht erschöpft werden solle. Man wußte noch nicht, daß der Fruchtboden kein
reines Naturgeschenk, sondern zum Teil ein Erzeugnis menschlicher Arbeit und
Kunst ist, und man beachtete nicht die Erfahrung, die in der Nahe größerer
Städte schon damals mit der freien Wirtschaft gemacht worden war, bei der
der Boden Jahr für Jahr tragen muß und nicht einmal eine durch die Acker¬
bauchemie vorgeschriebue Fruchtfolge beobachtet wird. Wo die Bauern noch
unfrei und zu Fronten verpflichtet waren, konnte selbstverständlich von wirt¬
schaftlichen Verbesserungen auf Bauergütern noch keine Rede sein. Auch der
Zehnten war kein geringes Hemmnis. Mit dessen Erhebung für große Herr¬
schaften waren, wie Elsner schreibt, viele Vexationen verbunden. Es dauerte
oft wochenlang, ehe der mit der Einsammlung beauftragte Beamte fertig wurde;
so lange mußten die Garben auf dem Felde stehen bleiben, und bei schlechtem
Wetter verfaulten sie. Wer das erlebt hat, ruft Elsner — er hat die an-


Anibott die Dreschmaschine erfunden; Christinn Wolf fand im Anfang des achtzehnten Jahr¬
hunderts, das; der Ertrag des Getreides vermehrt werde, wenn die Stöcke mit Erde behäufelt
würden, worauf in England von 1731 ab die Drillkultur begründet wurde. Langethal, S. MO.
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[0406] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland notwendig, und dieser erlaubte dem intelligenten und rührigen Landwirt nicht, über die herkömmliche, von der ganzen Gemeinde beobachtete Bcstellungsart hinauszugehen. Der Gutsherr hatte das Recht, nach der Ernte sein Vieh auf die Bräche der Bauern zu treiben, weshalb diese nicht mit Stoppelfrüchtcn besät oder bepflanzt werden durfte (Triftservitut), und da Stallfütterung im Sommer unbekannt war, unterlagen die Wiesen dem Hutscrvitut, was eine ordentliche Wiesenkultur unmöglich machte. Dazu kam noch, daß beim Mangel eines organisirten Getreidegroßhandels und guter Verkehrsanstalten der Antrieb zur Mehrproduktion fehlte; es war daher noch beinahe wie im Mittelalter: nach guten Ernten erstickte man im Überfluß, nach schlechten brach eine Hungersnot aus. (In Ungarn hat dieser Zustand noch bis in die sechziger Jahre fortgedauert. Der schroffe Klimawechsel, erzählt Noscher, brachte es dort mit sich, daß man z. B. auf einem Bcmater Gute im Jahre 1863 auf das Joch Metzen, 1864 aber 20 Metzen erntete, und der schlechten Wege wegen war weder Zufuhr noch Absatz im erforderlichen Umfange möglich. Um dieselbe Zeit hat der Mangel an Verkehrswegen auch in Ostpreußen noch eine Hungersnot erzeugt, die allerdings durch Regierungsfürsorge und Privat¬ hilfe so rasch und gründlich überwunden wurde, daß einem Knecht ans Ost¬ preußen, der in Pommern diente, seine Eltern schrieben: Komm nur rasch nach Hause und hilf uns essen, so lange die Hungersnot dauert. Wenn vor acht Jahren Rußland bei einer Hungersnot noch Getreide ausführen konnte, bis es verboten wurde, so bekundete sich darin schon das Überwiegen der .heutigen Weltwirtschaft über die Staatswirtschaft.) Versuchen, das hergebrachte Wirtschaftssystem zu verlassen, wurde der vermeintlich wissenschaftliche Satz ent¬ gegen gehalten, daß der Boden seine periodische Ruhe haben müsse, wenn er nicht erschöpft werden solle. Man wußte noch nicht, daß der Fruchtboden kein reines Naturgeschenk, sondern zum Teil ein Erzeugnis menschlicher Arbeit und Kunst ist, und man beachtete nicht die Erfahrung, die in der Nahe größerer Städte schon damals mit der freien Wirtschaft gemacht worden war, bei der der Boden Jahr für Jahr tragen muß und nicht einmal eine durch die Acker¬ bauchemie vorgeschriebue Fruchtfolge beobachtet wird. Wo die Bauern noch unfrei und zu Fronten verpflichtet waren, konnte selbstverständlich von wirt¬ schaftlichen Verbesserungen auf Bauergütern noch keine Rede sein. Auch der Zehnten war kein geringes Hemmnis. Mit dessen Erhebung für große Herr¬ schaften waren, wie Elsner schreibt, viele Vexationen verbunden. Es dauerte oft wochenlang, ehe der mit der Einsammlung beauftragte Beamte fertig wurde; so lange mußten die Garben auf dem Felde stehen bleiben, und bei schlechtem Wetter verfaulten sie. Wer das erlebt hat, ruft Elsner — er hat die an- Anibott die Dreschmaschine erfunden; Christinn Wolf fand im Anfang des achtzehnten Jahr¬ hunderts, das; der Ertrag des Getreides vermehrt werde, wenn die Stöcke mit Erde behäufelt würden, worauf in England von 1731 ab die Drillkultur begründet wurde. Langethal, S. MO.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/406>, abgerufen am 04.07.2024.