Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
(Österreichisches

zweitgrößte Kronland des österreichischen Ländergebiets ist dem polnischen
Junkertum ausgeliefert und von der Zeutralgewcilt in allen Verwnltungs-
migclcgeuheiten losgelöst worden. Dafür nimmt nun auch Galizien heute die
niedrigste Kulturstufe unter allen Ländern Europas ein und muß durch Zu¬
wendungen aus der Reichskasse wenigstens auf dem Stande erhalten werden,
daß die Zahl der am Hungertyphus sterbenden alljährlich die Durchschnitts¬
zahl von 50000 Menschen nicht übersteigt. Während Galizien dem Einfluß
der Reichsgewalt vollständig entrückt und der gewaltsamen Polonisiruug, der
traurigerweise die Deutschen den schwächsten Widerstand entgegensetzten, aus¬
geliefert wurde, behielt dasselbe Galizien den ungeschmälerten Einfluß auf die
Zentralgewalt und im Parlament, worin es seither bei allen großen Entschei¬
dungen den Ausschlag zu Gunsten der Regierung -- gestern einer tschechen-
seindlichen, heute einer deutschfeindlichen, natürlich mir gegen angemessene
Bezahlung -- gegeben hat.

Wie man nach 1866 äußerlich, um sich wieder für eine großdeutsche Politik
fähig zu machen, und nur deshalb, mit der klerikalen und zentralistischen Politik
Bachs Ungarn und Galizien gegenüber brach, weil durch diese Politik Österreich
in der ganzen Welt verhaßt geworden war, so war es auch selbstverständlich,
daß mau in dem engern Gebiete der Königreiche und Länder, ganz besonders
in Böhmen, eine deutsch-zentralistische Politik für geboten hielt. Über die letzten
Ziele dieser Politik gaben sich die Deutschen freilich allzu lange einer Tänschung
hin, sonst wäre es unbegreiflich, daß sie diese Zeit unbenutzt ließen, sich ihre
nationale Zukunft besser zu sichern, als es in den Februar- und Dezember-
Verfassungen vou 1861 und 1867 geschehen ist. Sobald mit dem Unterliegen
Frankreichs im Jahre 1870 die großdeutschen Träume der österreichischen Hof-
Partei endgiltig zerronnen waren und aufgegeben werden mußten, verschwand
auch ihre liberale Anwandlung, ihr zentralistisches Bestreben, ihre Begünstigung
des Deutschtums. Graf Beust, der Protestant und Deutsche, wurde beiseite
gestellt, das klerikale und föderalistische Experiment wurde sofort unternommen,
die Verfassung wurde suspendirt, das böhmische Staatsrecht proklamirt und
selbst dem Kaiser vorübergehend einleuchtend gemacht.

Das erste Experiment war zu unvermittelt unternommen worden, Graf
Hohenwart war zu ungestüm vorgegangen, als daß er Hütte zum Ziel gelangen
können, zumal da die damaligen Staatsmänner Ungarns nicht blind gegen die
Rückwirkungen waren, die ein absolutistisches und slawisches Regiment in Öster¬
reich auf die Zustände in Ungarn ausüben müßte. Hohenwart scheiterte fürs
erste, die Verfassung wurde wieder hervorgeholt, und Österreich erlebte sogar
eine für dieses Land ungewöhnlich lange liberale und verfassungsmäßige deutsche
Regierungszeit. Die Sorglosigkeit, in die sich abermals die Deutschen einwiegen
ließen, ihr Glaube, die Hofpartei sei aus Überzeugung und dauernd zu deutsch¬
liberalen Anschauungen bekehrt worden, während sie in Wahrheit nur aus Furcht
vor dem allmächtigen Deutschen Reiche vorläufig ihre feudalen und absolutistischen


(Österreichisches

zweitgrößte Kronland des österreichischen Ländergebiets ist dem polnischen
Junkertum ausgeliefert und von der Zeutralgewcilt in allen Verwnltungs-
migclcgeuheiten losgelöst worden. Dafür nimmt nun auch Galizien heute die
niedrigste Kulturstufe unter allen Ländern Europas ein und muß durch Zu¬
wendungen aus der Reichskasse wenigstens auf dem Stande erhalten werden,
daß die Zahl der am Hungertyphus sterbenden alljährlich die Durchschnitts¬
zahl von 50000 Menschen nicht übersteigt. Während Galizien dem Einfluß
der Reichsgewalt vollständig entrückt und der gewaltsamen Polonisiruug, der
traurigerweise die Deutschen den schwächsten Widerstand entgegensetzten, aus¬
geliefert wurde, behielt dasselbe Galizien den ungeschmälerten Einfluß auf die
Zentralgewalt und im Parlament, worin es seither bei allen großen Entschei¬
dungen den Ausschlag zu Gunsten der Regierung — gestern einer tschechen-
seindlichen, heute einer deutschfeindlichen, natürlich mir gegen angemessene
Bezahlung — gegeben hat.

Wie man nach 1866 äußerlich, um sich wieder für eine großdeutsche Politik
fähig zu machen, und nur deshalb, mit der klerikalen und zentralistischen Politik
Bachs Ungarn und Galizien gegenüber brach, weil durch diese Politik Österreich
in der ganzen Welt verhaßt geworden war, so war es auch selbstverständlich,
daß mau in dem engern Gebiete der Königreiche und Länder, ganz besonders
in Böhmen, eine deutsch-zentralistische Politik für geboten hielt. Über die letzten
Ziele dieser Politik gaben sich die Deutschen freilich allzu lange einer Tänschung
hin, sonst wäre es unbegreiflich, daß sie diese Zeit unbenutzt ließen, sich ihre
nationale Zukunft besser zu sichern, als es in den Februar- und Dezember-
Verfassungen vou 1861 und 1867 geschehen ist. Sobald mit dem Unterliegen
Frankreichs im Jahre 1870 die großdeutschen Träume der österreichischen Hof-
Partei endgiltig zerronnen waren und aufgegeben werden mußten, verschwand
auch ihre liberale Anwandlung, ihr zentralistisches Bestreben, ihre Begünstigung
des Deutschtums. Graf Beust, der Protestant und Deutsche, wurde beiseite
gestellt, das klerikale und föderalistische Experiment wurde sofort unternommen,
die Verfassung wurde suspendirt, das böhmische Staatsrecht proklamirt und
selbst dem Kaiser vorübergehend einleuchtend gemacht.

Das erste Experiment war zu unvermittelt unternommen worden, Graf
Hohenwart war zu ungestüm vorgegangen, als daß er Hütte zum Ziel gelangen
können, zumal da die damaligen Staatsmänner Ungarns nicht blind gegen die
Rückwirkungen waren, die ein absolutistisches und slawisches Regiment in Öster¬
reich auf die Zustände in Ungarn ausüben müßte. Hohenwart scheiterte fürs
erste, die Verfassung wurde wieder hervorgeholt, und Österreich erlebte sogar
eine für dieses Land ungewöhnlich lange liberale und verfassungsmäßige deutsche
Regierungszeit. Die Sorglosigkeit, in die sich abermals die Deutschen einwiegen
ließen, ihr Glaube, die Hofpartei sei aus Überzeugung und dauernd zu deutsch¬
liberalen Anschauungen bekehrt worden, während sie in Wahrheit nur aus Furcht
vor dem allmächtigen Deutschen Reiche vorläufig ihre feudalen und absolutistischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229347"/>
          <fw type="header" place="top"> (Österreichisches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1103" prev="#ID_1102"> zweitgrößte Kronland des österreichischen Ländergebiets ist dem polnischen<lb/>
Junkertum ausgeliefert und von der Zeutralgewcilt in allen Verwnltungs-<lb/>
migclcgeuheiten losgelöst worden. Dafür nimmt nun auch Galizien heute die<lb/>
niedrigste Kulturstufe unter allen Ländern Europas ein und muß durch Zu¬<lb/>
wendungen aus der Reichskasse wenigstens auf dem Stande erhalten werden,<lb/>
daß die Zahl der am Hungertyphus sterbenden alljährlich die Durchschnitts¬<lb/>
zahl von 50000 Menschen nicht übersteigt. Während Galizien dem Einfluß<lb/>
der Reichsgewalt vollständig entrückt und der gewaltsamen Polonisiruug, der<lb/>
traurigerweise die Deutschen den schwächsten Widerstand entgegensetzten, aus¬<lb/>
geliefert wurde, behielt dasselbe Galizien den ungeschmälerten Einfluß auf die<lb/>
Zentralgewalt und im Parlament, worin es seither bei allen großen Entschei¬<lb/>
dungen den Ausschlag zu Gunsten der Regierung &#x2014; gestern einer tschechen-<lb/>
seindlichen, heute einer deutschfeindlichen, natürlich mir gegen angemessene<lb/>
Bezahlung &#x2014; gegeben hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1104"> Wie man nach 1866 äußerlich, um sich wieder für eine großdeutsche Politik<lb/>
fähig zu machen, und nur deshalb, mit der klerikalen und zentralistischen Politik<lb/>
Bachs Ungarn und Galizien gegenüber brach, weil durch diese Politik Österreich<lb/>
in der ganzen Welt verhaßt geworden war, so war es auch selbstverständlich,<lb/>
daß mau in dem engern Gebiete der Königreiche und Länder, ganz besonders<lb/>
in Böhmen, eine deutsch-zentralistische Politik für geboten hielt. Über die letzten<lb/>
Ziele dieser Politik gaben sich die Deutschen freilich allzu lange einer Tänschung<lb/>
hin, sonst wäre es unbegreiflich, daß sie diese Zeit unbenutzt ließen, sich ihre<lb/>
nationale Zukunft besser zu sichern, als es in den Februar- und Dezember-<lb/>
Verfassungen vou 1861 und 1867 geschehen ist. Sobald mit dem Unterliegen<lb/>
Frankreichs im Jahre 1870 die großdeutschen Träume der österreichischen Hof-<lb/>
Partei endgiltig zerronnen waren und aufgegeben werden mußten, verschwand<lb/>
auch ihre liberale Anwandlung, ihr zentralistisches Bestreben, ihre Begünstigung<lb/>
des Deutschtums. Graf Beust, der Protestant und Deutsche, wurde beiseite<lb/>
gestellt, das klerikale und föderalistische Experiment wurde sofort unternommen,<lb/>
die Verfassung wurde suspendirt, das böhmische Staatsrecht proklamirt und<lb/>
selbst dem Kaiser vorübergehend einleuchtend gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1105" next="#ID_1106"> Das erste Experiment war zu unvermittelt unternommen worden, Graf<lb/>
Hohenwart war zu ungestüm vorgegangen, als daß er Hütte zum Ziel gelangen<lb/>
können, zumal da die damaligen Staatsmänner Ungarns nicht blind gegen die<lb/>
Rückwirkungen waren, die ein absolutistisches und slawisches Regiment in Öster¬<lb/>
reich auf die Zustände in Ungarn ausüben müßte. Hohenwart scheiterte fürs<lb/>
erste, die Verfassung wurde wieder hervorgeholt, und Österreich erlebte sogar<lb/>
eine für dieses Land ungewöhnlich lange liberale und verfassungsmäßige deutsche<lb/>
Regierungszeit. Die Sorglosigkeit, in die sich abermals die Deutschen einwiegen<lb/>
ließen, ihr Glaube, die Hofpartei sei aus Überzeugung und dauernd zu deutsch¬<lb/>
liberalen Anschauungen bekehrt worden, während sie in Wahrheit nur aus Furcht<lb/>
vor dem allmächtigen Deutschen Reiche vorläufig ihre feudalen und absolutistischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0398] (Österreichisches zweitgrößte Kronland des österreichischen Ländergebiets ist dem polnischen Junkertum ausgeliefert und von der Zeutralgewcilt in allen Verwnltungs- migclcgeuheiten losgelöst worden. Dafür nimmt nun auch Galizien heute die niedrigste Kulturstufe unter allen Ländern Europas ein und muß durch Zu¬ wendungen aus der Reichskasse wenigstens auf dem Stande erhalten werden, daß die Zahl der am Hungertyphus sterbenden alljährlich die Durchschnitts¬ zahl von 50000 Menschen nicht übersteigt. Während Galizien dem Einfluß der Reichsgewalt vollständig entrückt und der gewaltsamen Polonisiruug, der traurigerweise die Deutschen den schwächsten Widerstand entgegensetzten, aus¬ geliefert wurde, behielt dasselbe Galizien den ungeschmälerten Einfluß auf die Zentralgewalt und im Parlament, worin es seither bei allen großen Entschei¬ dungen den Ausschlag zu Gunsten der Regierung — gestern einer tschechen- seindlichen, heute einer deutschfeindlichen, natürlich mir gegen angemessene Bezahlung — gegeben hat. Wie man nach 1866 äußerlich, um sich wieder für eine großdeutsche Politik fähig zu machen, und nur deshalb, mit der klerikalen und zentralistischen Politik Bachs Ungarn und Galizien gegenüber brach, weil durch diese Politik Österreich in der ganzen Welt verhaßt geworden war, so war es auch selbstverständlich, daß mau in dem engern Gebiete der Königreiche und Länder, ganz besonders in Böhmen, eine deutsch-zentralistische Politik für geboten hielt. Über die letzten Ziele dieser Politik gaben sich die Deutschen freilich allzu lange einer Tänschung hin, sonst wäre es unbegreiflich, daß sie diese Zeit unbenutzt ließen, sich ihre nationale Zukunft besser zu sichern, als es in den Februar- und Dezember- Verfassungen vou 1861 und 1867 geschehen ist. Sobald mit dem Unterliegen Frankreichs im Jahre 1870 die großdeutschen Träume der österreichischen Hof- Partei endgiltig zerronnen waren und aufgegeben werden mußten, verschwand auch ihre liberale Anwandlung, ihr zentralistisches Bestreben, ihre Begünstigung des Deutschtums. Graf Beust, der Protestant und Deutsche, wurde beiseite gestellt, das klerikale und föderalistische Experiment wurde sofort unternommen, die Verfassung wurde suspendirt, das böhmische Staatsrecht proklamirt und selbst dem Kaiser vorübergehend einleuchtend gemacht. Das erste Experiment war zu unvermittelt unternommen worden, Graf Hohenwart war zu ungestüm vorgegangen, als daß er Hütte zum Ziel gelangen können, zumal da die damaligen Staatsmänner Ungarns nicht blind gegen die Rückwirkungen waren, die ein absolutistisches und slawisches Regiment in Öster¬ reich auf die Zustände in Ungarn ausüben müßte. Hohenwart scheiterte fürs erste, die Verfassung wurde wieder hervorgeholt, und Österreich erlebte sogar eine für dieses Land ungewöhnlich lange liberale und verfassungsmäßige deutsche Regierungszeit. Die Sorglosigkeit, in die sich abermals die Deutschen einwiegen ließen, ihr Glaube, die Hofpartei sei aus Überzeugung und dauernd zu deutsch¬ liberalen Anschauungen bekehrt worden, während sie in Wahrheit nur aus Furcht vor dem allmächtigen Deutschen Reiche vorläufig ihre feudalen und absolutistischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/398
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/398>, abgerufen am 04.07.2024.