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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Neigungen zurückgestellt hatte, wurde ihnen verhängnisvoll. Über der Jagd
nach persönlichen Vorteilen vergaßen die Führer der herrschenden Partei, das
deutsche Bvlkstuin, den deutschen Charakter des Staates zu sichern. Sie nahmen
es nicht einmal wahr, daß während ihrer Herrschaft der Panslawismus mit
russischer Hilfe und russischem Gelde seinen Einzug in Österreich hielt, nud
zwar über Lemberg und Krakau herein. Das unter dem Vorsitz des da¬
maligen Zarewitsch, spätern Kaisers Alexander III., arbeitende "Zentralkomitee,"
das die Stimmung für den Krieg gegen die Türkei und die Befreiung aller
Slawen vorbereitete, hat durch den damaligen russischen Botschafter Nowikow
und den Grafen Jgnaticw die Saat gesät und reich gedüngt, die jetzt in Öster¬
reich in der Blüte steht. Aus den Veröffentlichungen Khalil Beys wissen wir,
mit was für riesigen Geldsummen dieses Zentralkomitee arbeitete. Als Gor-
tschakvw fand, daß 5000 Rubel für die Erkaufung eines österreichische" Triester
Blättchens zu viel seien, erklärte Jgnatiew, dann werde er die Summe aus
seiner, das ist des Zentralkomitees, Kasse zahlen. Der russische Rubel und
der Haß gegen das neuerstandne Deutsche Reich unter der Führung Preußens
hatte die Polen zu Panslawisten gemacht. Die Entdeutschung Österreichs wurde
in Angriff genommen, diesmal behutsamer als im Jahre 1870, aber unter
derselbe" Führung.

Im Jahre 1886 veröffentlichte der Pariser Liüolö einen Aufsatz aus der
Feder des um die Volkstümlichkeit des Panslawismus in Frankreich und da¬
durch mittelbar um das russisch-französische Bündnis verdienten M. Carnot,
der die Überschrift führte "Eine politische Betrachtung über Österreich-Ungarn"
(Loup et'ohn xoliticius sur 1'^utrioUL-Il0RA'i<z). In diesem Aufsatz ist das föde¬
ralistische Programm Hohenwarts mit der deutschfeindlichen Tendenz vollkommen
entwickelt, sodaß Badeni es nur abzuschreiben brauchte, um sein Programm zu
haben. Ju Deutschland und in den deutschen Kreisen Österreichs wurde dieser
Aufsatz weit weniger beachtet als in Rußland. Er ist gewissermaßen der Aus¬
gangspunkt der unverhüllt deutschfeindlichen innern und auswärtigen Politik
-- nur um die letzte handelt es sich selbstverständlich bei den Franzosen --
der heutigen Gewalthaber in Österreich. Einstweilen war aber die Bahn noch
nicht frei. Zunächst mußte Ungarn überzeugt werden, daß seiner völligen Los¬
trennung vom Verbände der Gesamtmonarchie, sobald es die Zeit für gekommen
erachte, keine Schwierigkeit bereitet werde. Sodann mußte der Minister der
Auswärtigen Angelegenheiten für ein langsames Ablenken vom deutschen Bünd¬
nisse und eine Annäherung an Nußland und Frankreich gewonnen werden.
Endlich war aber auch die Krone zu beruhigen, und an dieser Stelle bot die
aufgeklärte deutsche Grundstimmung, die ganze Erziehung und Denkweise des
Kronprinzen Rudolf eine kaum zu besiegende Schwierigkeit. Gerade diese wurde
wider Erwarten schnell und gründlich beseitigt durch den Tod dieses Prinzen
am 30. Januar 1889. Um den Ungarn zu zeigen, wie weit die Nachgiebigkeit
gegen sie gehe, wurde die altehrwürdige Bezeichnung der gemeinsamen Armee


(österreichisches

Neigungen zurückgestellt hatte, wurde ihnen verhängnisvoll. Über der Jagd
nach persönlichen Vorteilen vergaßen die Führer der herrschenden Partei, das
deutsche Bvlkstuin, den deutschen Charakter des Staates zu sichern. Sie nahmen
es nicht einmal wahr, daß während ihrer Herrschaft der Panslawismus mit
russischer Hilfe und russischem Gelde seinen Einzug in Österreich hielt, nud
zwar über Lemberg und Krakau herein. Das unter dem Vorsitz des da¬
maligen Zarewitsch, spätern Kaisers Alexander III., arbeitende „Zentralkomitee,"
das die Stimmung für den Krieg gegen die Türkei und die Befreiung aller
Slawen vorbereitete, hat durch den damaligen russischen Botschafter Nowikow
und den Grafen Jgnaticw die Saat gesät und reich gedüngt, die jetzt in Öster¬
reich in der Blüte steht. Aus den Veröffentlichungen Khalil Beys wissen wir,
mit was für riesigen Geldsummen dieses Zentralkomitee arbeitete. Als Gor-
tschakvw fand, daß 5000 Rubel für die Erkaufung eines österreichische» Triester
Blättchens zu viel seien, erklärte Jgnatiew, dann werde er die Summe aus
seiner, das ist des Zentralkomitees, Kasse zahlen. Der russische Rubel und
der Haß gegen das neuerstandne Deutsche Reich unter der Führung Preußens
hatte die Polen zu Panslawisten gemacht. Die Entdeutschung Österreichs wurde
in Angriff genommen, diesmal behutsamer als im Jahre 1870, aber unter
derselbe» Führung.

Im Jahre 1886 veröffentlichte der Pariser Liüolö einen Aufsatz aus der
Feder des um die Volkstümlichkeit des Panslawismus in Frankreich und da¬
durch mittelbar um das russisch-französische Bündnis verdienten M. Carnot,
der die Überschrift führte „Eine politische Betrachtung über Österreich-Ungarn"
(Loup et'ohn xoliticius sur 1'^utrioUL-Il0RA'i<z). In diesem Aufsatz ist das föde¬
ralistische Programm Hohenwarts mit der deutschfeindlichen Tendenz vollkommen
entwickelt, sodaß Badeni es nur abzuschreiben brauchte, um sein Programm zu
haben. Ju Deutschland und in den deutschen Kreisen Österreichs wurde dieser
Aufsatz weit weniger beachtet als in Rußland. Er ist gewissermaßen der Aus¬
gangspunkt der unverhüllt deutschfeindlichen innern und auswärtigen Politik
— nur um die letzte handelt es sich selbstverständlich bei den Franzosen —
der heutigen Gewalthaber in Österreich. Einstweilen war aber die Bahn noch
nicht frei. Zunächst mußte Ungarn überzeugt werden, daß seiner völligen Los¬
trennung vom Verbände der Gesamtmonarchie, sobald es die Zeit für gekommen
erachte, keine Schwierigkeit bereitet werde. Sodann mußte der Minister der
Auswärtigen Angelegenheiten für ein langsames Ablenken vom deutschen Bünd¬
nisse und eine Annäherung an Nußland und Frankreich gewonnen werden.
Endlich war aber auch die Krone zu beruhigen, und an dieser Stelle bot die
aufgeklärte deutsche Grundstimmung, die ganze Erziehung und Denkweise des
Kronprinzen Rudolf eine kaum zu besiegende Schwierigkeit. Gerade diese wurde
wider Erwarten schnell und gründlich beseitigt durch den Tod dieses Prinzen
am 30. Januar 1889. Um den Ungarn zu zeigen, wie weit die Nachgiebigkeit
gegen sie gehe, wurde die altehrwürdige Bezeichnung der gemeinsamen Armee


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/399>, abgerufen am 04.07.2024.