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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die neuere Geschichte Österreichs füllt zusammen mit der Deutschlands;
beide schreiben sich her vom Tage von Königgrätz, dem bittersten vielleicht in
der ganzen österreichischen Geschichte, da er von dem größten Teile der ein¬
sichtsvollen Bevölkerung selber als ein verschuldeter, als ein verdienter Straf-
und Sühnetag empfunden wird. Leider aber nicht auch von den Kreisen, bei
denen die Schuld lag. Diese machten damals keinen ehrlichen Ausgleich mit
dem siegreichen Gegner, sie gaben die Ansprüche auf die Beherrschung Deutsch¬
lands nicht rückhaltlos auf, sondern stellten sie fürs erste nur zurück. In seiner
Vorrede zur zweiten Auflage des "Zauberers von Rom" hat Karl Gutzkow vor
nun dreißig Jahren die Psychologie der österreichischen Politik nach Königgrätz
treffend gezeichnet: "Nach der Schlacht von Königgrütz fragte man sich in der
Hofburg: Was hat doch die Spannkraft der moralischen Hingebung unsrer
Völker, ihres Patriotismus, ihrer Aufopferungsfreudigkeit so verringern können?
wofür setzen Völker überhaupt ihr Leben ein? was lähmte uns so? was
reizte das Hohngelächter der Schadenfreude über unser Unglück selbst in unsern
eignen Reihen? warum gönnte man uns die Niederlage und nicht den Sieg?
und was hat alles unsre Niederlage herbeiführen helfen? Es darf bezweifelt
werden, ob diese Betrachtung den bittern Kelch der Selbsterkenntnis geleert
hat bis auf die Neige. Neben jener erlauchten Persönlichkeit, auf deren Ja
oder Nein in solchen Füllen die Geschicke von Millionen angewiesen sind, stand
im Augenblick des tiefsten Schmerzes und des drückendsten Gefühls der De¬
mütigung ohne Zweifel eine reiche Schar von schmeichelnden Ohrenblüsern, die
ihr sagten, die einen: Gieb nur dem Augenblick nach und warte die bessere
Zeit ab! die andern: Rüste dir eine neue Kraft statt der alten! Wir wissen
alle, daß der letztere Rat befolgt wurde. Dem Ausgleich mit Ungarn wird
ein Ausgleich mit Böhmen folgen. Die wühlerischen Freunde des zerrissenen
Konkordats wissen es nur zu gut, daß der nationale Fanatismus, um zu seinem
abgesonderten Ziele zu gelangen, Bündnisse mit jedermann schließt, mit Gott
und, geht es mit dem nicht, mit dem Teufel. Die Polen sind bereit, wenn
es begehrt wird und sie dafür den kleinen Finger einer Konzession für ihre
Nationalität erlangen können, von der Muttergottes von Schenstochau bis zur
Santa Maria Novella in Rom auf den Knieen zu rutschen."

Wenn man Personen und Verhältnisse genau kennt, ist es nicht schwer,
Prophet zu sein, und wenn man daran festhält, daß die österreichische Politik
im Jahre 1866 auf die Herrschaft über Deutschland nicht verzichtet, sondern
ihre Pläne nur vertagt hatte, versteht man die letzte Triebfeder für die so
beschleunigte Gewährung des ungarischen Ausgleichs, dem zunächst nicht der
böhmische, sondern der polnische folgte. Die Polen erkannten den psychologischen
Augenblick nach dem Siege Preußens; sie rutschten nicht nach Rom, sondern
in die Wiener Hofburg, wo nun allein ihr Glück zu machen war, und ver¬
sicherten dem Kaiser Franz Joseph aus Pergamentpapier: "Zu dir, o Herr,
stehen wir und werden wir stehen." Der Erfolg ist nicht ausgeblieben. Das


(Österreichisches

Die neuere Geschichte Österreichs füllt zusammen mit der Deutschlands;
beide schreiben sich her vom Tage von Königgrätz, dem bittersten vielleicht in
der ganzen österreichischen Geschichte, da er von dem größten Teile der ein¬
sichtsvollen Bevölkerung selber als ein verschuldeter, als ein verdienter Straf-
und Sühnetag empfunden wird. Leider aber nicht auch von den Kreisen, bei
denen die Schuld lag. Diese machten damals keinen ehrlichen Ausgleich mit
dem siegreichen Gegner, sie gaben die Ansprüche auf die Beherrschung Deutsch¬
lands nicht rückhaltlos auf, sondern stellten sie fürs erste nur zurück. In seiner
Vorrede zur zweiten Auflage des „Zauberers von Rom" hat Karl Gutzkow vor
nun dreißig Jahren die Psychologie der österreichischen Politik nach Königgrätz
treffend gezeichnet: „Nach der Schlacht von Königgrütz fragte man sich in der
Hofburg: Was hat doch die Spannkraft der moralischen Hingebung unsrer
Völker, ihres Patriotismus, ihrer Aufopferungsfreudigkeit so verringern können?
wofür setzen Völker überhaupt ihr Leben ein? was lähmte uns so? was
reizte das Hohngelächter der Schadenfreude über unser Unglück selbst in unsern
eignen Reihen? warum gönnte man uns die Niederlage und nicht den Sieg?
und was hat alles unsre Niederlage herbeiführen helfen? Es darf bezweifelt
werden, ob diese Betrachtung den bittern Kelch der Selbsterkenntnis geleert
hat bis auf die Neige. Neben jener erlauchten Persönlichkeit, auf deren Ja
oder Nein in solchen Füllen die Geschicke von Millionen angewiesen sind, stand
im Augenblick des tiefsten Schmerzes und des drückendsten Gefühls der De¬
mütigung ohne Zweifel eine reiche Schar von schmeichelnden Ohrenblüsern, die
ihr sagten, die einen: Gieb nur dem Augenblick nach und warte die bessere
Zeit ab! die andern: Rüste dir eine neue Kraft statt der alten! Wir wissen
alle, daß der letztere Rat befolgt wurde. Dem Ausgleich mit Ungarn wird
ein Ausgleich mit Böhmen folgen. Die wühlerischen Freunde des zerrissenen
Konkordats wissen es nur zu gut, daß der nationale Fanatismus, um zu seinem
abgesonderten Ziele zu gelangen, Bündnisse mit jedermann schließt, mit Gott
und, geht es mit dem nicht, mit dem Teufel. Die Polen sind bereit, wenn
es begehrt wird und sie dafür den kleinen Finger einer Konzession für ihre
Nationalität erlangen können, von der Muttergottes von Schenstochau bis zur
Santa Maria Novella in Rom auf den Knieen zu rutschen."

Wenn man Personen und Verhältnisse genau kennt, ist es nicht schwer,
Prophet zu sein, und wenn man daran festhält, daß die österreichische Politik
im Jahre 1866 auf die Herrschaft über Deutschland nicht verzichtet, sondern
ihre Pläne nur vertagt hatte, versteht man die letzte Triebfeder für die so
beschleunigte Gewährung des ungarischen Ausgleichs, dem zunächst nicht der
böhmische, sondern der polnische folgte. Die Polen erkannten den psychologischen
Augenblick nach dem Siege Preußens; sie rutschten nicht nach Rom, sondern
in die Wiener Hofburg, wo nun allein ihr Glück zu machen war, und ver¬
sicherten dem Kaiser Franz Joseph aus Pergamentpapier: „Zu dir, o Herr,
stehen wir und werden wir stehen." Der Erfolg ist nicht ausgeblieben. Das


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[0397] (Österreichisches Die neuere Geschichte Österreichs füllt zusammen mit der Deutschlands; beide schreiben sich her vom Tage von Königgrätz, dem bittersten vielleicht in der ganzen österreichischen Geschichte, da er von dem größten Teile der ein¬ sichtsvollen Bevölkerung selber als ein verschuldeter, als ein verdienter Straf- und Sühnetag empfunden wird. Leider aber nicht auch von den Kreisen, bei denen die Schuld lag. Diese machten damals keinen ehrlichen Ausgleich mit dem siegreichen Gegner, sie gaben die Ansprüche auf die Beherrschung Deutsch¬ lands nicht rückhaltlos auf, sondern stellten sie fürs erste nur zurück. In seiner Vorrede zur zweiten Auflage des „Zauberers von Rom" hat Karl Gutzkow vor nun dreißig Jahren die Psychologie der österreichischen Politik nach Königgrätz treffend gezeichnet: „Nach der Schlacht von Königgrütz fragte man sich in der Hofburg: Was hat doch die Spannkraft der moralischen Hingebung unsrer Völker, ihres Patriotismus, ihrer Aufopferungsfreudigkeit so verringern können? wofür setzen Völker überhaupt ihr Leben ein? was lähmte uns so? was reizte das Hohngelächter der Schadenfreude über unser Unglück selbst in unsern eignen Reihen? warum gönnte man uns die Niederlage und nicht den Sieg? und was hat alles unsre Niederlage herbeiführen helfen? Es darf bezweifelt werden, ob diese Betrachtung den bittern Kelch der Selbsterkenntnis geleert hat bis auf die Neige. Neben jener erlauchten Persönlichkeit, auf deren Ja oder Nein in solchen Füllen die Geschicke von Millionen angewiesen sind, stand im Augenblick des tiefsten Schmerzes und des drückendsten Gefühls der De¬ mütigung ohne Zweifel eine reiche Schar von schmeichelnden Ohrenblüsern, die ihr sagten, die einen: Gieb nur dem Augenblick nach und warte die bessere Zeit ab! die andern: Rüste dir eine neue Kraft statt der alten! Wir wissen alle, daß der letztere Rat befolgt wurde. Dem Ausgleich mit Ungarn wird ein Ausgleich mit Böhmen folgen. Die wühlerischen Freunde des zerrissenen Konkordats wissen es nur zu gut, daß der nationale Fanatismus, um zu seinem abgesonderten Ziele zu gelangen, Bündnisse mit jedermann schließt, mit Gott und, geht es mit dem nicht, mit dem Teufel. Die Polen sind bereit, wenn es begehrt wird und sie dafür den kleinen Finger einer Konzession für ihre Nationalität erlangen können, von der Muttergottes von Schenstochau bis zur Santa Maria Novella in Rom auf den Knieen zu rutschen." Wenn man Personen und Verhältnisse genau kennt, ist es nicht schwer, Prophet zu sein, und wenn man daran festhält, daß die österreichische Politik im Jahre 1866 auf die Herrschaft über Deutschland nicht verzichtet, sondern ihre Pläne nur vertagt hatte, versteht man die letzte Triebfeder für die so beschleunigte Gewährung des ungarischen Ausgleichs, dem zunächst nicht der böhmische, sondern der polnische folgte. Die Polen erkannten den psychologischen Augenblick nach dem Siege Preußens; sie rutschten nicht nach Rom, sondern in die Wiener Hofburg, wo nun allein ihr Glück zu machen war, und ver¬ sicherten dem Kaiser Franz Joseph aus Pergamentpapier: „Zu dir, o Herr, stehen wir und werden wir stehen." Der Erfolg ist nicht ausgeblieben. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/397>, abgerufen am 12.12.2024.