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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Zeit seines Lebens fern zu bleiben. Kaum hatte Flöte sein Zirkular in Gang ge¬
bracht, durch das er die Absicht, ein Zweckessen zu veranstalten, mitteilte, als die
Loge ihre Absicht äußerte, Kiiuigs Geburtstag durch eine eigne Feier zu begehen.
Hierzu kam, daß sich auch der Kreis der Beamten der Bevciterung Flötcs gegen¬
über kühl ablehnend verhielt, nud daß die Herrn Reserveoffiziere den innern Beruf
Flötes, patriotische Feste zu veranstalten, in Zweifel zogen. Herr Flöte mühte sich
vergebens, sein Unternehmen kam in immer langsamern Gang und stand zuletzt
still. Herr Flöte fühlte sich tief verletzt und gelobte sich, nie wieder patriotischen
Anwandlungen nachzugeben.

Meine Herren, sagte Herr Stackelberg an einer der nächsten Abendsitzuugcn
der Stadtväter, ist es nicht eine Schande, daß man überall Seiner Majestät Ge¬
burtstag feiert, aber bei uns will nichts zu stände kommen? Ist das Patrio¬
tismus? Und ich hatte mich so auf die Schleie gefreut. Denn das müssen Sie
doch sagen, Schleie kriegt man nirgends so gut wie im Roten Adler.

Bei der Erwähnung der Schleie lief eine merkliche Menge Wasser in den
verschleimen Münder" der alten Herren zusammen, und man bedauerte es unter
mißbilligenden Kopfschütteln über den geringen Patriotismus der Stadt, daß die
schöne Feier nicht stattfinden sollte. Schwere Brett, sagte Herr Stackelberg, wenn
der Herr Bürgermeister und der Herr Stadtverordnetenvorsteher nicht "vollen, dann
lassen sie es bleibe", denn uneben wir die Sache allein. Eine vermessene Rede!
Wer hätte es gewagt, eine Sache in die Hand zu nehmen, die von den beiden
Stadtregenten aufgegeben war? Auch Herr Stadtrat "Üb" hätte sich das nicht
getraut. Wenn er jedoch die Frage erwog, "ub" nicht much ohne die beiden Herren
eine Einladung anginge, so bot sich ihm die Möglichkeit eines Komitees aus den
Vertretern der verschiednen Stände und Beanüenkatcgorien.

Dieser Gedanke gefiel. Aber man macht, wenn es sich um das allgemeine
Wohl handelt, nicht ungestraft Vorschläge. Wer es thut, muß selbst unweigerlich
in die betreffende Kommission oder das betreffende Komitee eintrete". So blieb deun
mich der Auftrag, ein solches Komitee zu berufen, auf dem Herrn Stadtrat hängen.
Er griff also die Sache mit bewährter Feinheit an. Zunächst versicherte er sich
bei den beiden Stadthäupteru, daß er nicht in Ungelegenheiten komme, wenn er
die Festfeier wieder in Gang bringe. Sie waren es murrend zufrieden. Darauf
schritt er zur Wahl der Komiteemitglieder, einer Sache, auf die außerordentlich viel
nnkcun. Er wählte also -- natürlich sich selbst, als Vertreter der Stadt und der
eingesessener Bürgerschaft, den Herrn Amtsgerichtsrat als Juristen und angesehenen
Einwohner, den Herrn Seminardirektor als Vertreter der Geistlichen und der
Lehrerschaft, den Herrn Postdirektor als Mann des Verkehrs und gewesenen Militär
>ab Herrn Engen Hirsch als Kaufmann und Vertreter der nicht christlichen Kon¬
fessionen. Schade, daß der Herr Lnndrnt nicht dn war, das hätte über manche
Schwierigkeit hinweggeholfen/ Aber der Herr Landrat war aushilfsweise ius
Ministerium berufen, und sein Stellvertreter, ein Negiernngsassessor, war stadtfremd
und viel zu jung, als daß er hätte in Frage kommen können.

Endlich war es gelungen, einen Termin zu finden, an dem alle fünf erscheinen
konnten. Und sie erschienen, der Amtsgerichtsrat stolz, der Herr Semiuardcrektor
würdevoll, der Herr Postdirektor militärisch-schneidig, Herr Engen Hirsch nervös-
Scippelig und in stetem Mißtrauen, ob er auch uicht unliebsam behandelt werde, und
der Herr Stadtrat, wie immer, freundlich, beweglich und gefällig. Nachdem man
sich gesetzt hatte, eröffnete der Herr Stadtrat die Sitzung, indem er die Anwesenden
hochachtungsvvllst begrüßte und die Frage zur Diskussion stellte, "ub und in


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Zeit seines Lebens fern zu bleiben. Kaum hatte Flöte sein Zirkular in Gang ge¬
bracht, durch das er die Absicht, ein Zweckessen zu veranstalten, mitteilte, als die
Loge ihre Absicht äußerte, Kiiuigs Geburtstag durch eine eigne Feier zu begehen.
Hierzu kam, daß sich auch der Kreis der Beamten der Bevciterung Flötcs gegen¬
über kühl ablehnend verhielt, nud daß die Herrn Reserveoffiziere den innern Beruf
Flötes, patriotische Feste zu veranstalten, in Zweifel zogen. Herr Flöte mühte sich
vergebens, sein Unternehmen kam in immer langsamern Gang und stand zuletzt
still. Herr Flöte fühlte sich tief verletzt und gelobte sich, nie wieder patriotischen
Anwandlungen nachzugeben.

Meine Herren, sagte Herr Stackelberg an einer der nächsten Abendsitzuugcn
der Stadtväter, ist es nicht eine Schande, daß man überall Seiner Majestät Ge¬
burtstag feiert, aber bei uns will nichts zu stände kommen? Ist das Patrio¬
tismus? Und ich hatte mich so auf die Schleie gefreut. Denn das müssen Sie
doch sagen, Schleie kriegt man nirgends so gut wie im Roten Adler.

Bei der Erwähnung der Schleie lief eine merkliche Menge Wasser in den
verschleimen Münder» der alten Herren zusammen, und man bedauerte es unter
mißbilligenden Kopfschütteln über den geringen Patriotismus der Stadt, daß die
schöne Feier nicht stattfinden sollte. Schwere Brett, sagte Herr Stackelberg, wenn
der Herr Bürgermeister und der Herr Stadtverordnetenvorsteher nicht »vollen, dann
lassen sie es bleibe», denn uneben wir die Sache allein. Eine vermessene Rede!
Wer hätte es gewagt, eine Sache in die Hand zu nehmen, die von den beiden
Stadtregenten aufgegeben war? Auch Herr Stadtrat „Üb" hätte sich das nicht
getraut. Wenn er jedoch die Frage erwog, „ub" nicht much ohne die beiden Herren
eine Einladung anginge, so bot sich ihm die Möglichkeit eines Komitees aus den
Vertretern der verschiednen Stände und Beanüenkatcgorien.

Dieser Gedanke gefiel. Aber man macht, wenn es sich um das allgemeine
Wohl handelt, nicht ungestraft Vorschläge. Wer es thut, muß selbst unweigerlich
in die betreffende Kommission oder das betreffende Komitee eintrete«. So blieb deun
mich der Auftrag, ein solches Komitee zu berufen, auf dem Herrn Stadtrat hängen.
Er griff also die Sache mit bewährter Feinheit an. Zunächst versicherte er sich
bei den beiden Stadthäupteru, daß er nicht in Ungelegenheiten komme, wenn er
die Festfeier wieder in Gang bringe. Sie waren es murrend zufrieden. Darauf
schritt er zur Wahl der Komiteemitglieder, einer Sache, auf die außerordentlich viel
nnkcun. Er wählte also — natürlich sich selbst, als Vertreter der Stadt und der
eingesessener Bürgerschaft, den Herrn Amtsgerichtsrat als Juristen und angesehenen
Einwohner, den Herrn Seminardirektor als Vertreter der Geistlichen und der
Lehrerschaft, den Herrn Postdirektor als Mann des Verkehrs und gewesenen Militär
>ab Herrn Engen Hirsch als Kaufmann und Vertreter der nicht christlichen Kon¬
fessionen. Schade, daß der Herr Lnndrnt nicht dn war, das hätte über manche
Schwierigkeit hinweggeholfen/ Aber der Herr Landrat war aushilfsweise ius
Ministerium berufen, und sein Stellvertreter, ein Negiernngsassessor, war stadtfremd
und viel zu jung, als daß er hätte in Frage kommen können.

Endlich war es gelungen, einen Termin zu finden, an dem alle fünf erscheinen
konnten. Und sie erschienen, der Amtsgerichtsrat stolz, der Herr Semiuardcrektor
würdevoll, der Herr Postdirektor militärisch-schneidig, Herr Engen Hirsch nervös-
Scippelig und in stetem Mißtrauen, ob er auch uicht unliebsam behandelt werde, und
der Herr Stadtrat, wie immer, freundlich, beweglich und gefällig. Nachdem man
sich gesetzt hatte, eröffnete der Herr Stadtrat die Sitzung, indem er die Anwesenden
hochachtungsvvllst begrüßte und die Frage zur Diskussion stellte, „ub und in


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[0382] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Zeit seines Lebens fern zu bleiben. Kaum hatte Flöte sein Zirkular in Gang ge¬ bracht, durch das er die Absicht, ein Zweckessen zu veranstalten, mitteilte, als die Loge ihre Absicht äußerte, Kiiuigs Geburtstag durch eine eigne Feier zu begehen. Hierzu kam, daß sich auch der Kreis der Beamten der Bevciterung Flötcs gegen¬ über kühl ablehnend verhielt, nud daß die Herrn Reserveoffiziere den innern Beruf Flötes, patriotische Feste zu veranstalten, in Zweifel zogen. Herr Flöte mühte sich vergebens, sein Unternehmen kam in immer langsamern Gang und stand zuletzt still. Herr Flöte fühlte sich tief verletzt und gelobte sich, nie wieder patriotischen Anwandlungen nachzugeben. Meine Herren, sagte Herr Stackelberg an einer der nächsten Abendsitzuugcn der Stadtväter, ist es nicht eine Schande, daß man überall Seiner Majestät Ge¬ burtstag feiert, aber bei uns will nichts zu stände kommen? Ist das Patrio¬ tismus? Und ich hatte mich so auf die Schleie gefreut. Denn das müssen Sie doch sagen, Schleie kriegt man nirgends so gut wie im Roten Adler. Bei der Erwähnung der Schleie lief eine merkliche Menge Wasser in den verschleimen Münder» der alten Herren zusammen, und man bedauerte es unter mißbilligenden Kopfschütteln über den geringen Patriotismus der Stadt, daß die schöne Feier nicht stattfinden sollte. Schwere Brett, sagte Herr Stackelberg, wenn der Herr Bürgermeister und der Herr Stadtverordnetenvorsteher nicht »vollen, dann lassen sie es bleibe», denn uneben wir die Sache allein. Eine vermessene Rede! Wer hätte es gewagt, eine Sache in die Hand zu nehmen, die von den beiden Stadtregenten aufgegeben war? Auch Herr Stadtrat „Üb" hätte sich das nicht getraut. Wenn er jedoch die Frage erwog, „ub" nicht much ohne die beiden Herren eine Einladung anginge, so bot sich ihm die Möglichkeit eines Komitees aus den Vertretern der verschiednen Stände und Beanüenkatcgorien. Dieser Gedanke gefiel. Aber man macht, wenn es sich um das allgemeine Wohl handelt, nicht ungestraft Vorschläge. Wer es thut, muß selbst unweigerlich in die betreffende Kommission oder das betreffende Komitee eintrete«. So blieb deun mich der Auftrag, ein solches Komitee zu berufen, auf dem Herrn Stadtrat hängen. Er griff also die Sache mit bewährter Feinheit an. Zunächst versicherte er sich bei den beiden Stadthäupteru, daß er nicht in Ungelegenheiten komme, wenn er die Festfeier wieder in Gang bringe. Sie waren es murrend zufrieden. Darauf schritt er zur Wahl der Komiteemitglieder, einer Sache, auf die außerordentlich viel nnkcun. Er wählte also — natürlich sich selbst, als Vertreter der Stadt und der eingesessener Bürgerschaft, den Herrn Amtsgerichtsrat als Juristen und angesehenen Einwohner, den Herrn Seminardirektor als Vertreter der Geistlichen und der Lehrerschaft, den Herrn Postdirektor als Mann des Verkehrs und gewesenen Militär >ab Herrn Engen Hirsch als Kaufmann und Vertreter der nicht christlichen Kon¬ fessionen. Schade, daß der Herr Lnndrnt nicht dn war, das hätte über manche Schwierigkeit hinweggeholfen/ Aber der Herr Landrat war aushilfsweise ius Ministerium berufen, und sein Stellvertreter, ein Negiernngsassessor, war stadtfremd und viel zu jung, als daß er hätte in Frage kommen können. Endlich war es gelungen, einen Termin zu finden, an dem alle fünf erscheinen konnten. Und sie erschienen, der Amtsgerichtsrat stolz, der Herr Semiuardcrektor würdevoll, der Herr Postdirektor militärisch-schneidig, Herr Engen Hirsch nervös- Scippelig und in stetem Mißtrauen, ob er auch uicht unliebsam behandelt werde, und der Herr Stadtrat, wie immer, freundlich, beweglich und gefällig. Nachdem man sich gesetzt hatte, eröffnete der Herr Stadtrat die Sitzung, indem er die Anwesenden hochachtungsvvllst begrüßte und die Frage zur Diskussion stellte, „ub und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/382>, abgerufen am 12.12.2024.