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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Paul Lang als Erzähler

gehoben haben, aus ganz unscheinbaren Ansatzkernen oder aus vernachlässigten,
weggeworfnen Schossern liebevoll und erfolgreich seine prächtigen Bäume und
Büsche zieht. Er hat eben in vollem Maße die Eigenschaft, sich seinem Stoffe
hinzugeben, und erfüllt so, wie wenige, die Goethische Forderung, sachlich,
gegenständlich zu dichten. Ferne Zeit und Örtlichkeit stecken seiner Kunst keine
Grenzen; aber natürlich werden seine Bilder um so lebhafter, je weniger
fremdartig der Kulturhintergrund ist, den er zu entfalten hat. Vom fünf¬
zehnten Jahrhundert ab versteht er die Zeiten dermaßen lebendig herauf¬
zubeschwören, daß er in uns die Empfindung erzeugt, als ob wir diese Zeiten
selber durchlebten. Aufdringliche Kulturbilder jedoch bietet er nicht; er bekundet
vielmehr anch hier die sichere Empfindung für das Maßvolle. Das Kultur¬
bild dient ihm bloß, so weit er es eben braucht, als Untergrund zur Entwick¬
lung der künstlerischen Idee, der besondern dichterischen Aufgabe, die er in
den verschiedensten Zeitläuften aufsucht. Welche ergreifenden Wandlungen
z. V. in der Seele eines Künstlers vor sich gehen müssen, der als Freund
des Kaisers Julianus am klassischen Heidentum hängt, bis er sich der erhabner"
Macht des Christentums unterwirft; wie sich der strebsame Kleinhändler und
neben ihm der verarmte Ritter in die Zeit der großen Entdeckungen und Er¬
findungen am Ausgang des Mittelalters schicken; das tiefe Weh, das das Land
Württemberg um das Jahr 1730 durchzittert -- diese und andre unter sich
so verschiedne Aufgaben löst er aufs glücklichste; seine Vier Säcke z. B. sind
ein Soll und Haben, das als dichterische Leistung mit den besten derartigen
Schöpfungen um die Palme streiten darf.

Dabei ist sein Blick in der Hauptsache immer unbeirrt auf die gesunden
Triebe des schaffenden, leistenden Menschen gerichtet. Alles Krankhafte und
nichtsnutzige muß in den Hintergrund treten. So findet auch müßige Liebe
in der Form einer übertriebnen Beschäftigung mit dem eignen Herzen wenig
Gnade vor ihm. Und obwohl er auch die zarteste Jugendneigung trefflich zu
entwickeln weiß, so muß sie ihm doch wie jede verfehlte Liebe weichen vor der
fruchtbringenden, der Liebe zum Zwecke der Ehe. Darum zeichnet er vor¬
nehmlich die Liebe der Brautleute und der Eheleute, und selten wohl sind
harmlose Treue und Gattenzärtlichkeit so anmutig und erquickend, ich möchte
sagen, so künstlerisch sieghaft dargestellt worden wie von Paul Lang. Ich
erinnere dabei an Das Grab Moses und Wieder gut.

Und wie Paul Lang im einzelnen allem Übertriebnen abhold ist, so auch
in der Behandlungsweise des Ganzen. Von jener fiebernden Erregung, in die
uns viele Erzähler so gern versetzen, um uns hernach in eine lähmende Er¬
nüchterung fallen zu lassen -- davon ist bei Lang keine Spur. Wohl aber ist
er vermöge seines beschaulichen Wesens ein Meister in der Entwicklung einer
echt epischen behaglichen Spannung. Wenn der Stein, der ins stille Wasser ge¬
worfen worden ist, zuerst einen engen Kreis auftreibt, dann einen größern und


Paul Lang als Erzähler

gehoben haben, aus ganz unscheinbaren Ansatzkernen oder aus vernachlässigten,
weggeworfnen Schossern liebevoll und erfolgreich seine prächtigen Bäume und
Büsche zieht. Er hat eben in vollem Maße die Eigenschaft, sich seinem Stoffe
hinzugeben, und erfüllt so, wie wenige, die Goethische Forderung, sachlich,
gegenständlich zu dichten. Ferne Zeit und Örtlichkeit stecken seiner Kunst keine
Grenzen; aber natürlich werden seine Bilder um so lebhafter, je weniger
fremdartig der Kulturhintergrund ist, den er zu entfalten hat. Vom fünf¬
zehnten Jahrhundert ab versteht er die Zeiten dermaßen lebendig herauf¬
zubeschwören, daß er in uns die Empfindung erzeugt, als ob wir diese Zeiten
selber durchlebten. Aufdringliche Kulturbilder jedoch bietet er nicht; er bekundet
vielmehr anch hier die sichere Empfindung für das Maßvolle. Das Kultur¬
bild dient ihm bloß, so weit er es eben braucht, als Untergrund zur Entwick¬
lung der künstlerischen Idee, der besondern dichterischen Aufgabe, die er in
den verschiedensten Zeitläuften aufsucht. Welche ergreifenden Wandlungen
z. V. in der Seele eines Künstlers vor sich gehen müssen, der als Freund
des Kaisers Julianus am klassischen Heidentum hängt, bis er sich der erhabner»
Macht des Christentums unterwirft; wie sich der strebsame Kleinhändler und
neben ihm der verarmte Ritter in die Zeit der großen Entdeckungen und Er¬
findungen am Ausgang des Mittelalters schicken; das tiefe Weh, das das Land
Württemberg um das Jahr 1730 durchzittert — diese und andre unter sich
so verschiedne Aufgaben löst er aufs glücklichste; seine Vier Säcke z. B. sind
ein Soll und Haben, das als dichterische Leistung mit den besten derartigen
Schöpfungen um die Palme streiten darf.

Dabei ist sein Blick in der Hauptsache immer unbeirrt auf die gesunden
Triebe des schaffenden, leistenden Menschen gerichtet. Alles Krankhafte und
nichtsnutzige muß in den Hintergrund treten. So findet auch müßige Liebe
in der Form einer übertriebnen Beschäftigung mit dem eignen Herzen wenig
Gnade vor ihm. Und obwohl er auch die zarteste Jugendneigung trefflich zu
entwickeln weiß, so muß sie ihm doch wie jede verfehlte Liebe weichen vor der
fruchtbringenden, der Liebe zum Zwecke der Ehe. Darum zeichnet er vor¬
nehmlich die Liebe der Brautleute und der Eheleute, und selten wohl sind
harmlose Treue und Gattenzärtlichkeit so anmutig und erquickend, ich möchte
sagen, so künstlerisch sieghaft dargestellt worden wie von Paul Lang. Ich
erinnere dabei an Das Grab Moses und Wieder gut.

Und wie Paul Lang im einzelnen allem Übertriebnen abhold ist, so auch
in der Behandlungsweise des Ganzen. Von jener fiebernden Erregung, in die
uns viele Erzähler so gern versetzen, um uns hernach in eine lähmende Er¬
nüchterung fallen zu lassen — davon ist bei Lang keine Spur. Wohl aber ist
er vermöge seines beschaulichen Wesens ein Meister in der Entwicklung einer
echt epischen behaglichen Spannung. Wenn der Stein, der ins stille Wasser ge¬
worfen worden ist, zuerst einen engen Kreis auftreibt, dann einen größern und


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[0366] Paul Lang als Erzähler gehoben haben, aus ganz unscheinbaren Ansatzkernen oder aus vernachlässigten, weggeworfnen Schossern liebevoll und erfolgreich seine prächtigen Bäume und Büsche zieht. Er hat eben in vollem Maße die Eigenschaft, sich seinem Stoffe hinzugeben, und erfüllt so, wie wenige, die Goethische Forderung, sachlich, gegenständlich zu dichten. Ferne Zeit und Örtlichkeit stecken seiner Kunst keine Grenzen; aber natürlich werden seine Bilder um so lebhafter, je weniger fremdartig der Kulturhintergrund ist, den er zu entfalten hat. Vom fünf¬ zehnten Jahrhundert ab versteht er die Zeiten dermaßen lebendig herauf¬ zubeschwören, daß er in uns die Empfindung erzeugt, als ob wir diese Zeiten selber durchlebten. Aufdringliche Kulturbilder jedoch bietet er nicht; er bekundet vielmehr anch hier die sichere Empfindung für das Maßvolle. Das Kultur¬ bild dient ihm bloß, so weit er es eben braucht, als Untergrund zur Entwick¬ lung der künstlerischen Idee, der besondern dichterischen Aufgabe, die er in den verschiedensten Zeitläuften aufsucht. Welche ergreifenden Wandlungen z. V. in der Seele eines Künstlers vor sich gehen müssen, der als Freund des Kaisers Julianus am klassischen Heidentum hängt, bis er sich der erhabner» Macht des Christentums unterwirft; wie sich der strebsame Kleinhändler und neben ihm der verarmte Ritter in die Zeit der großen Entdeckungen und Er¬ findungen am Ausgang des Mittelalters schicken; das tiefe Weh, das das Land Württemberg um das Jahr 1730 durchzittert — diese und andre unter sich so verschiedne Aufgaben löst er aufs glücklichste; seine Vier Säcke z. B. sind ein Soll und Haben, das als dichterische Leistung mit den besten derartigen Schöpfungen um die Palme streiten darf. Dabei ist sein Blick in der Hauptsache immer unbeirrt auf die gesunden Triebe des schaffenden, leistenden Menschen gerichtet. Alles Krankhafte und nichtsnutzige muß in den Hintergrund treten. So findet auch müßige Liebe in der Form einer übertriebnen Beschäftigung mit dem eignen Herzen wenig Gnade vor ihm. Und obwohl er auch die zarteste Jugendneigung trefflich zu entwickeln weiß, so muß sie ihm doch wie jede verfehlte Liebe weichen vor der fruchtbringenden, der Liebe zum Zwecke der Ehe. Darum zeichnet er vor¬ nehmlich die Liebe der Brautleute und der Eheleute, und selten wohl sind harmlose Treue und Gattenzärtlichkeit so anmutig und erquickend, ich möchte sagen, so künstlerisch sieghaft dargestellt worden wie von Paul Lang. Ich erinnere dabei an Das Grab Moses und Wieder gut. Und wie Paul Lang im einzelnen allem Übertriebnen abhold ist, so auch in der Behandlungsweise des Ganzen. Von jener fiebernden Erregung, in die uns viele Erzähler so gern versetzen, um uns hernach in eine lähmende Er¬ nüchterung fallen zu lassen — davon ist bei Lang keine Spur. Wohl aber ist er vermöge seines beschaulichen Wesens ein Meister in der Entwicklung einer echt epischen behaglichen Spannung. Wenn der Stein, der ins stille Wasser ge¬ worfen worden ist, zuerst einen engen Kreis auftreibt, dann einen größern und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/366>, abgerufen am 12.12.2024.