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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Paul Lang als Erzähler

lebendig werden, daß wir es selbst dabei miterleben. Ob er den Händler oder
den Raubritter, den König oder den Nachtwächter, Mann oder Weib schildert,
seine Gestalten sind in den meisten Erzählungen so lebenswahr, daß wir ihnen
eben so gut auf der Straße begegnen könnten und zu ihnen dann sagen müßten:
Jetzt hab ich doch gemeint, ich Hütte dich bloß bei Paul Lang gelesen! Be¬
sonders gilt das auch von seinen zahlreichen Frauengestalten; ich will nur die
beiden Kernfrauen erwähnen: die Kastellanin und ihre Tochter. Das mag über¬
schwenglich klingen! Aber wer kennt denn Paul Längs Schriften? Wie wenig
Menschen haben z. B. seine Neuen Erzählungen gelesen!

Sicher ist es auch noch gar nicht bekannt, daß Paul Lang nicht zu den
Geschäftsdichtern zählt, die man in jedem ihrer Werke sogleich an ihrer Mache
wiedererkennt. Daß die Schablone bei ihm ausgeschlossen ist, lehrt schon die
Mannigfaltigkeit seiner Erzählungen, die sich in den verschiedensten Formen
von der kurzen Skizze bis zum großen Roman zeigt, von überwiegend humo¬
ristischen bis zu ausschließlich ernsten Lebensbildern, vom reizenden, einfachen
Idyll bis zur Darstellung der weltgeschichtlichen Tragödie. Am bekanntesten
scheinen gerade die Erzählungen Längs zu sein, in denen sich seine Eigentüm¬
lichkeit nicht oder doch nicht ganz entfaltet zeigt. Der Lehrling muß den
Meister nachahmen, der Gesell ihn noch gelten lassen, und so kommt es, daß
auch Längs Heimo, eine der kleinern Erzählungen, sogar ein wenig "ähnelt."
Im Bildhauer von Kos, den wir als ein Meisterstück betrachten, herrscht das
Ideal klassischer Ruhe, das auch noch in der Negiswindis mächtig ist, obwohl
es hier schon durch weit lebhaftere Regungen durchbrochen wird. Mechthildis
von Hohenburg, worin das klassische Ideal noch nachklingt, zeigt schon
den selbständigen Meister mit allen seinen Eigenschaften, wenn auch teilweise
noch in der Entwicklung.

Lang ist nach kurzem Tasten in der Lehrzeit rasch zu seinem eigentlichen
Gebiete gekommen, indem er nnr noch gegebne, meistens geschichtlich gegebne
Stoffe behandelt. Probeweise hat Lang die Fabel zu einem geschichtlichen
Stoff auch selbst erfunden, wie im Bildhauer von Kos und wohl auch im
Heimo; aber obgleich ihm namentlich die erste Erzählung vorzüglich gelungen
ist, so baut er dieses Feld doch nicht weiter an. Er benutzt bald nur noch
geschichtlich gegebne Stoffe, in denen eine brauchbare Fabel als ein entwick¬
lungsfähiger, wirklicher Lebenskeim steckt. Ihnen schließen sich wesensverwandte
Stoffe aus eigner Erfahrung oder aus dem Erlebten der Mitwelt an, die
aber dem Künstler nicht so viel Ausbeute bieten wie die geschichtlich gegebnen
Stoffe. So greift Lang zu eignen Erlebnissen oder zu dem von der Mit¬
welt Erlebten nur zweimal, in den beiden kleinen, wesentlich idyllischen Er¬
zählungen Kirschenblüte und Die Kastellanin und ihre Tochter.

In der großen Mehrzahl seiner Erzählungen behandelt er historische Stoffe,
und hier zeigt er seine besondre, starke Seite, indem er, wie schon andre hervor-


Paul Lang als Erzähler

lebendig werden, daß wir es selbst dabei miterleben. Ob er den Händler oder
den Raubritter, den König oder den Nachtwächter, Mann oder Weib schildert,
seine Gestalten sind in den meisten Erzählungen so lebenswahr, daß wir ihnen
eben so gut auf der Straße begegnen könnten und zu ihnen dann sagen müßten:
Jetzt hab ich doch gemeint, ich Hütte dich bloß bei Paul Lang gelesen! Be¬
sonders gilt das auch von seinen zahlreichen Frauengestalten; ich will nur die
beiden Kernfrauen erwähnen: die Kastellanin und ihre Tochter. Das mag über¬
schwenglich klingen! Aber wer kennt denn Paul Längs Schriften? Wie wenig
Menschen haben z. B. seine Neuen Erzählungen gelesen!

Sicher ist es auch noch gar nicht bekannt, daß Paul Lang nicht zu den
Geschäftsdichtern zählt, die man in jedem ihrer Werke sogleich an ihrer Mache
wiedererkennt. Daß die Schablone bei ihm ausgeschlossen ist, lehrt schon die
Mannigfaltigkeit seiner Erzählungen, die sich in den verschiedensten Formen
von der kurzen Skizze bis zum großen Roman zeigt, von überwiegend humo¬
ristischen bis zu ausschließlich ernsten Lebensbildern, vom reizenden, einfachen
Idyll bis zur Darstellung der weltgeschichtlichen Tragödie. Am bekanntesten
scheinen gerade die Erzählungen Längs zu sein, in denen sich seine Eigentüm¬
lichkeit nicht oder doch nicht ganz entfaltet zeigt. Der Lehrling muß den
Meister nachahmen, der Gesell ihn noch gelten lassen, und so kommt es, daß
auch Längs Heimo, eine der kleinern Erzählungen, sogar ein wenig „ähnelt."
Im Bildhauer von Kos, den wir als ein Meisterstück betrachten, herrscht das
Ideal klassischer Ruhe, das auch noch in der Negiswindis mächtig ist, obwohl
es hier schon durch weit lebhaftere Regungen durchbrochen wird. Mechthildis
von Hohenburg, worin das klassische Ideal noch nachklingt, zeigt schon
den selbständigen Meister mit allen seinen Eigenschaften, wenn auch teilweise
noch in der Entwicklung.

Lang ist nach kurzem Tasten in der Lehrzeit rasch zu seinem eigentlichen
Gebiete gekommen, indem er nnr noch gegebne, meistens geschichtlich gegebne
Stoffe behandelt. Probeweise hat Lang die Fabel zu einem geschichtlichen
Stoff auch selbst erfunden, wie im Bildhauer von Kos und wohl auch im
Heimo; aber obgleich ihm namentlich die erste Erzählung vorzüglich gelungen
ist, so baut er dieses Feld doch nicht weiter an. Er benutzt bald nur noch
geschichtlich gegebne Stoffe, in denen eine brauchbare Fabel als ein entwick¬
lungsfähiger, wirklicher Lebenskeim steckt. Ihnen schließen sich wesensverwandte
Stoffe aus eigner Erfahrung oder aus dem Erlebten der Mitwelt an, die
aber dem Künstler nicht so viel Ausbeute bieten wie die geschichtlich gegebnen
Stoffe. So greift Lang zu eignen Erlebnissen oder zu dem von der Mit¬
welt Erlebten nur zweimal, in den beiden kleinen, wesentlich idyllischen Er¬
zählungen Kirschenblüte und Die Kastellanin und ihre Tochter.

In der großen Mehrzahl seiner Erzählungen behandelt er historische Stoffe,
und hier zeigt er seine besondre, starke Seite, indem er, wie schon andre hervor-


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[0365] Paul Lang als Erzähler lebendig werden, daß wir es selbst dabei miterleben. Ob er den Händler oder den Raubritter, den König oder den Nachtwächter, Mann oder Weib schildert, seine Gestalten sind in den meisten Erzählungen so lebenswahr, daß wir ihnen eben so gut auf der Straße begegnen könnten und zu ihnen dann sagen müßten: Jetzt hab ich doch gemeint, ich Hütte dich bloß bei Paul Lang gelesen! Be¬ sonders gilt das auch von seinen zahlreichen Frauengestalten; ich will nur die beiden Kernfrauen erwähnen: die Kastellanin und ihre Tochter. Das mag über¬ schwenglich klingen! Aber wer kennt denn Paul Längs Schriften? Wie wenig Menschen haben z. B. seine Neuen Erzählungen gelesen! Sicher ist es auch noch gar nicht bekannt, daß Paul Lang nicht zu den Geschäftsdichtern zählt, die man in jedem ihrer Werke sogleich an ihrer Mache wiedererkennt. Daß die Schablone bei ihm ausgeschlossen ist, lehrt schon die Mannigfaltigkeit seiner Erzählungen, die sich in den verschiedensten Formen von der kurzen Skizze bis zum großen Roman zeigt, von überwiegend humo¬ ristischen bis zu ausschließlich ernsten Lebensbildern, vom reizenden, einfachen Idyll bis zur Darstellung der weltgeschichtlichen Tragödie. Am bekanntesten scheinen gerade die Erzählungen Längs zu sein, in denen sich seine Eigentüm¬ lichkeit nicht oder doch nicht ganz entfaltet zeigt. Der Lehrling muß den Meister nachahmen, der Gesell ihn noch gelten lassen, und so kommt es, daß auch Längs Heimo, eine der kleinern Erzählungen, sogar ein wenig „ähnelt." Im Bildhauer von Kos, den wir als ein Meisterstück betrachten, herrscht das Ideal klassischer Ruhe, das auch noch in der Negiswindis mächtig ist, obwohl es hier schon durch weit lebhaftere Regungen durchbrochen wird. Mechthildis von Hohenburg, worin das klassische Ideal noch nachklingt, zeigt schon den selbständigen Meister mit allen seinen Eigenschaften, wenn auch teilweise noch in der Entwicklung. Lang ist nach kurzem Tasten in der Lehrzeit rasch zu seinem eigentlichen Gebiete gekommen, indem er nnr noch gegebne, meistens geschichtlich gegebne Stoffe behandelt. Probeweise hat Lang die Fabel zu einem geschichtlichen Stoff auch selbst erfunden, wie im Bildhauer von Kos und wohl auch im Heimo; aber obgleich ihm namentlich die erste Erzählung vorzüglich gelungen ist, so baut er dieses Feld doch nicht weiter an. Er benutzt bald nur noch geschichtlich gegebne Stoffe, in denen eine brauchbare Fabel als ein entwick¬ lungsfähiger, wirklicher Lebenskeim steckt. Ihnen schließen sich wesensverwandte Stoffe aus eigner Erfahrung oder aus dem Erlebten der Mitwelt an, die aber dem Künstler nicht so viel Ausbeute bieten wie die geschichtlich gegebnen Stoffe. So greift Lang zu eignen Erlebnissen oder zu dem von der Mit¬ welt Erlebten nur zweimal, in den beiden kleinen, wesentlich idyllischen Er¬ zählungen Kirschenblüte und Die Kastellanin und ihre Tochter. In der großen Mehrzahl seiner Erzählungen behandelt er historische Stoffe, und hier zeigt er seine besondre, starke Seite, indem er, wie schon andre hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/365>, abgerufen am 24.07.2024.