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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Paul Lang als Erzähler

der Handlung Zug um Zug entstehen. Die Landschaftsbilder selbst treten in
auffallender Klarheit und lebendiger Färbung hervor, und Kenner haben es
schon lange bewundert, wie Paul Lang sogar Gegenden, die er nie gesehen,
ja deren gleichen er nicht einmal gekannt hat, so vortrefflich malt, daß man
die Darstellung an Ort und Stelle mit hohem Genusse zu lesen vermag. Das
ist besouders der Fall bei fremdartigen südlichen Landschaften, z. B. bei solchen
der Insel Kos, Unteritaliens und vor allem Siziliens!

Bei dieser Fähigkeit verliert er sich aber niemals in eine übermäßige, aus
dem dienenden Zwecke in dem Ganzen hinausstrebende Verwendung dieses
Kunstmittels, wie er überhaupt nach jeder Richtung eine sichere Empfindung
für das Maßvolle hat. So kommt es auch, daß er selbst da, wo er seine
Erzählung mit der Beschreibung eines Schauplatzes eröffnet, meist schon un¬
mittelbar und kräftig fesselt.

Eine geschickte Entwicklung der Handlung und in ihr die richtige Zeich¬
nung der Personen ist wohl für den Dichter die leichtere Kunst. Wie sehr
aber Paul Lang sie beherrscht, ist meines Erachtens noch zu wenig gewürdigt
worden. Dabei entfaltet er eine wertvolle Eigenschaft, deren sich so mancher
Erzähler nicht rühmen kann. Das ist sein Humor. Wie sollte auch der
Mann, dessen Anwesenheit -- wie seine Freunde berichten -- in jedem Kreise
stilles Behagen verbreitete, diese Seelenstimmung entbehrt haben? Thatsächlich
tritt in vielen seiner Erzählungen der Humor mit Macht hervor; nicht in jener
beliebten, übertriebnen, ich möchte sagen trunkner Weise wie beim Humor des
Frühschoppens, wohl aber so stark, daß einzelne Kapitel (z. B. in den Vier
Säcken), ja ganze Erzählungen (z. B. Der Klosterschlüssel, Kirschen¬
blüte) als wahre Gesundbrunnen bezeichnet werden können. Einen Beleg
hierfür liefert auch schon ein einziges seiner trefflichen Bilder. Vom streb¬
samen Krämer erzählt er einmal: "Er hielt den leeren Sack in den Händen
und schwenkte ihn triumphirend, wie der Landsknecht eine erbeutete Fahne."
Auch die Ironie ist ihm dabei nicht fremd; ich erinnere daran, wie er den
heitern König Manfred seine Höflinge, besonders die Gelehrten uuter ihnen,
foppen läßt mit der Aufgabe, zu untersuchen, woher es komme, daß der lebende
Fisch leichter sei als der tote. Auch der Humor des Zufalls ist nichts seltnes bei
ihm, und auch die Darstellung spaßiger Gestalten gelingt ihm vortrefflich, so
z. V. die des verliebten und gefräßigen Tanzmeisters Colombazzo in Bündner
und Schwaben.

Die Charakterzeichnung überhaupt ist Längs starke Seite. In seinen
reifern Sachen -- und das ist weitaus die Mehrzahl -- giebt es überhaupt
keinen verzeichneten oder auch nur ungenügend gezeichneten Charakter. Ob er
die goldne Kindheit, die begeisterte oder thörichte Jugend, die volle Kraft oder
die närrische Schwäche des reifen Menschen, das Greisenalter in schöner Lebens¬
befriedigung oder in Todesreife darstellt -- unmerklich läßt er alles so wahr


Grenzboten IV 1898 45
Paul Lang als Erzähler

der Handlung Zug um Zug entstehen. Die Landschaftsbilder selbst treten in
auffallender Klarheit und lebendiger Färbung hervor, und Kenner haben es
schon lange bewundert, wie Paul Lang sogar Gegenden, die er nie gesehen,
ja deren gleichen er nicht einmal gekannt hat, so vortrefflich malt, daß man
die Darstellung an Ort und Stelle mit hohem Genusse zu lesen vermag. Das
ist besouders der Fall bei fremdartigen südlichen Landschaften, z. B. bei solchen
der Insel Kos, Unteritaliens und vor allem Siziliens!

Bei dieser Fähigkeit verliert er sich aber niemals in eine übermäßige, aus
dem dienenden Zwecke in dem Ganzen hinausstrebende Verwendung dieses
Kunstmittels, wie er überhaupt nach jeder Richtung eine sichere Empfindung
für das Maßvolle hat. So kommt es auch, daß er selbst da, wo er seine
Erzählung mit der Beschreibung eines Schauplatzes eröffnet, meist schon un¬
mittelbar und kräftig fesselt.

Eine geschickte Entwicklung der Handlung und in ihr die richtige Zeich¬
nung der Personen ist wohl für den Dichter die leichtere Kunst. Wie sehr
aber Paul Lang sie beherrscht, ist meines Erachtens noch zu wenig gewürdigt
worden. Dabei entfaltet er eine wertvolle Eigenschaft, deren sich so mancher
Erzähler nicht rühmen kann. Das ist sein Humor. Wie sollte auch der
Mann, dessen Anwesenheit — wie seine Freunde berichten — in jedem Kreise
stilles Behagen verbreitete, diese Seelenstimmung entbehrt haben? Thatsächlich
tritt in vielen seiner Erzählungen der Humor mit Macht hervor; nicht in jener
beliebten, übertriebnen, ich möchte sagen trunkner Weise wie beim Humor des
Frühschoppens, wohl aber so stark, daß einzelne Kapitel (z. B. in den Vier
Säcken), ja ganze Erzählungen (z. B. Der Klosterschlüssel, Kirschen¬
blüte) als wahre Gesundbrunnen bezeichnet werden können. Einen Beleg
hierfür liefert auch schon ein einziges seiner trefflichen Bilder. Vom streb¬
samen Krämer erzählt er einmal: „Er hielt den leeren Sack in den Händen
und schwenkte ihn triumphirend, wie der Landsknecht eine erbeutete Fahne."
Auch die Ironie ist ihm dabei nicht fremd; ich erinnere daran, wie er den
heitern König Manfred seine Höflinge, besonders die Gelehrten uuter ihnen,
foppen läßt mit der Aufgabe, zu untersuchen, woher es komme, daß der lebende
Fisch leichter sei als der tote. Auch der Humor des Zufalls ist nichts seltnes bei
ihm, und auch die Darstellung spaßiger Gestalten gelingt ihm vortrefflich, so
z. V. die des verliebten und gefräßigen Tanzmeisters Colombazzo in Bündner
und Schwaben.

Die Charakterzeichnung überhaupt ist Längs starke Seite. In seinen
reifern Sachen — und das ist weitaus die Mehrzahl — giebt es überhaupt
keinen verzeichneten oder auch nur ungenügend gezeichneten Charakter. Ob er
die goldne Kindheit, die begeisterte oder thörichte Jugend, die volle Kraft oder
die närrische Schwäche des reifen Menschen, das Greisenalter in schöner Lebens¬
befriedigung oder in Todesreife darstellt — unmerklich läßt er alles so wahr


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[0364] Paul Lang als Erzähler der Handlung Zug um Zug entstehen. Die Landschaftsbilder selbst treten in auffallender Klarheit und lebendiger Färbung hervor, und Kenner haben es schon lange bewundert, wie Paul Lang sogar Gegenden, die er nie gesehen, ja deren gleichen er nicht einmal gekannt hat, so vortrefflich malt, daß man die Darstellung an Ort und Stelle mit hohem Genusse zu lesen vermag. Das ist besouders der Fall bei fremdartigen südlichen Landschaften, z. B. bei solchen der Insel Kos, Unteritaliens und vor allem Siziliens! Bei dieser Fähigkeit verliert er sich aber niemals in eine übermäßige, aus dem dienenden Zwecke in dem Ganzen hinausstrebende Verwendung dieses Kunstmittels, wie er überhaupt nach jeder Richtung eine sichere Empfindung für das Maßvolle hat. So kommt es auch, daß er selbst da, wo er seine Erzählung mit der Beschreibung eines Schauplatzes eröffnet, meist schon un¬ mittelbar und kräftig fesselt. Eine geschickte Entwicklung der Handlung und in ihr die richtige Zeich¬ nung der Personen ist wohl für den Dichter die leichtere Kunst. Wie sehr aber Paul Lang sie beherrscht, ist meines Erachtens noch zu wenig gewürdigt worden. Dabei entfaltet er eine wertvolle Eigenschaft, deren sich so mancher Erzähler nicht rühmen kann. Das ist sein Humor. Wie sollte auch der Mann, dessen Anwesenheit — wie seine Freunde berichten — in jedem Kreise stilles Behagen verbreitete, diese Seelenstimmung entbehrt haben? Thatsächlich tritt in vielen seiner Erzählungen der Humor mit Macht hervor; nicht in jener beliebten, übertriebnen, ich möchte sagen trunkner Weise wie beim Humor des Frühschoppens, wohl aber so stark, daß einzelne Kapitel (z. B. in den Vier Säcken), ja ganze Erzählungen (z. B. Der Klosterschlüssel, Kirschen¬ blüte) als wahre Gesundbrunnen bezeichnet werden können. Einen Beleg hierfür liefert auch schon ein einziges seiner trefflichen Bilder. Vom streb¬ samen Krämer erzählt er einmal: „Er hielt den leeren Sack in den Händen und schwenkte ihn triumphirend, wie der Landsknecht eine erbeutete Fahne." Auch die Ironie ist ihm dabei nicht fremd; ich erinnere daran, wie er den heitern König Manfred seine Höflinge, besonders die Gelehrten uuter ihnen, foppen läßt mit der Aufgabe, zu untersuchen, woher es komme, daß der lebende Fisch leichter sei als der tote. Auch der Humor des Zufalls ist nichts seltnes bei ihm, und auch die Darstellung spaßiger Gestalten gelingt ihm vortrefflich, so z. V. die des verliebten und gefräßigen Tanzmeisters Colombazzo in Bündner und Schwaben. Die Charakterzeichnung überhaupt ist Längs starke Seite. In seinen reifern Sachen — und das ist weitaus die Mehrzahl — giebt es überhaupt keinen verzeichneten oder auch nur ungenügend gezeichneten Charakter. Ob er die goldne Kindheit, die begeisterte oder thörichte Jugend, die volle Kraft oder die närrische Schwäche des reifen Menschen, das Greisenalter in schöner Lebens¬ befriedigung oder in Todesreife darstellt — unmerklich läßt er alles so wahr Grenzboten IV 1898 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/364>, abgerufen am 12.12.2024.