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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^3V9

ja fast ein Kind!" Es entspann sich nun ein Verhör, bei dem Napp den
Dolmetscher spielte. Stapfens Antworten waren klar und bestimmt. Kaltblütig,
fast stolz enthüllte er seine Absicht, Napoleon zu töten. "Sie sind ein Narr,
junger Mensch, Sie sind ein Jlluminat -- rief der Kaiser --, oder Sie sind
krank." (Vous vos ton, ^uns nomins; vous Ztss illuiriius.) Auf die Frage
nach seinen Beweggründen erwiderte der Jüngling, er habe seinem Vaterland
und dem ganzen Europa einen Dienst erweisen wollen, indem er sie von der
Geißel des Napoleonischen Genies zu befreien und ihnen den Frieden wieder¬
zugeben versuchte; ein persönlicher Haß erfülle ihn nicht. Napoleon überlegte;
hatte er es hier mit einem Narren oder mit einem Kranken zu thun (too. --
on ma,liZ.as)? Sein Leibarzt Corvisart wurde geholt; er untersuchte den merk¬
würdigen Menschen, fand den Puls etwas unruhig, konnte aber sonst keine
Krankheitserscheinung entdecken. "Dann sind Sie, fuhr der Kaiser fort, ein
überspannter Mensch (uns tßts sxaltöö); Sie richten die Ihrigen zu Grunde;
ich will Ihnen das Leben schenken, wenn Sie um Verzeihung bitten und Ihr
Verbrechen bereuen." Aber der Jüngling bereute nichts und wollte auch keine
Verzeihung. "Sie zu töten, sagte er, ist kein Verbrechen, sondern eine Pflicht."
Und als Napoleon ihn fragte, ob er seine Begnadigung mit Dank annehmen
würde, versetzte er mit eisigem Trotz: "Ich würde Sie dennoch töten!" So
führte man ihn ab.

Napoleon war von dem Verhalten des Delinquenten viel tiefer erregt,
als er bei dem Verhör gezeigt hatte. Er sprach zu seinen Generalen noch viel
von dem Vorfall und kam am Abend auch Napp gegenüber auf das Attentat
zurück. Er witterte in dem jungen Staps nur das geleitete Werkzeug größerer
Mächte und wollte sich nicht ausreden lassen, daß sich die Fäden nach Berlin
oder Weimar spannten. Es stecken Weiber dahinter, sagte er, die Weiber sind
zu allem fähig. Das Bild einer Frau, das man bei dem Mörder fand, hatte
seine Aufmerksamkeit sofort erregt; es war aber nur die Geliebte des Jüng¬
lings gewesen. Auch die Erhebung Schills, die ihm dabei einfiel, leitete Na¬
poleon auf Fraueneinfluß zurück. Noch an demselben Tage schrieb er über
das Ereignis an den Polizeiminister Fouche in Paris. Das menschliche Inter¬
esse, das er einen Augenblick an seinem jungen Gegner zu nehmen schien, hat
er in diesem Briefe schon wieder völlig abgestreift. "Der Wicht, der mir
ziemlich gebildet zu sein schien, hat mir seine Absicht gestanden, mich zu
morden, um Österreich von den Franzosen zu befreien. Ich habe weder reli¬
giösen noch politischen Fanatismus bei ihm gefunden. Er schien mir nicht
recht zu wissen, wer Brutus war. Das Fieber der Exaltation hinderte ihn,
sich näher auszulasten. Man wird ihn verhören, wenn er abgekühlt und er¬
nüchtert ist. Es steckt vielleicht gar nichts dahinter." Napoleon überwies
Friedrich Staps einem Kriegsgericht unter dem Vorsitz des Generals Lauer.
Der Verdacht, daß der Delinquent Hintermänner habe, erwies sich als durch¬
aus irrig. Auch die Recherchen, die man später in Naumburg bei seinen


Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^3V9

ja fast ein Kind!" Es entspann sich nun ein Verhör, bei dem Napp den
Dolmetscher spielte. Stapfens Antworten waren klar und bestimmt. Kaltblütig,
fast stolz enthüllte er seine Absicht, Napoleon zu töten. „Sie sind ein Narr,
junger Mensch, Sie sind ein Jlluminat — rief der Kaiser —, oder Sie sind
krank." (Vous vos ton, ^uns nomins; vous Ztss illuiriius.) Auf die Frage
nach seinen Beweggründen erwiderte der Jüngling, er habe seinem Vaterland
und dem ganzen Europa einen Dienst erweisen wollen, indem er sie von der
Geißel des Napoleonischen Genies zu befreien und ihnen den Frieden wieder¬
zugeben versuchte; ein persönlicher Haß erfülle ihn nicht. Napoleon überlegte;
hatte er es hier mit einem Narren oder mit einem Kranken zu thun (too. —
on ma,liZ.as)? Sein Leibarzt Corvisart wurde geholt; er untersuchte den merk¬
würdigen Menschen, fand den Puls etwas unruhig, konnte aber sonst keine
Krankheitserscheinung entdecken. „Dann sind Sie, fuhr der Kaiser fort, ein
überspannter Mensch (uns tßts sxaltöö); Sie richten die Ihrigen zu Grunde;
ich will Ihnen das Leben schenken, wenn Sie um Verzeihung bitten und Ihr
Verbrechen bereuen." Aber der Jüngling bereute nichts und wollte auch keine
Verzeihung. „Sie zu töten, sagte er, ist kein Verbrechen, sondern eine Pflicht."
Und als Napoleon ihn fragte, ob er seine Begnadigung mit Dank annehmen
würde, versetzte er mit eisigem Trotz: „Ich würde Sie dennoch töten!" So
führte man ihn ab.

Napoleon war von dem Verhalten des Delinquenten viel tiefer erregt,
als er bei dem Verhör gezeigt hatte. Er sprach zu seinen Generalen noch viel
von dem Vorfall und kam am Abend auch Napp gegenüber auf das Attentat
zurück. Er witterte in dem jungen Staps nur das geleitete Werkzeug größerer
Mächte und wollte sich nicht ausreden lassen, daß sich die Fäden nach Berlin
oder Weimar spannten. Es stecken Weiber dahinter, sagte er, die Weiber sind
zu allem fähig. Das Bild einer Frau, das man bei dem Mörder fand, hatte
seine Aufmerksamkeit sofort erregt; es war aber nur die Geliebte des Jüng¬
lings gewesen. Auch die Erhebung Schills, die ihm dabei einfiel, leitete Na¬
poleon auf Fraueneinfluß zurück. Noch an demselben Tage schrieb er über
das Ereignis an den Polizeiminister Fouche in Paris. Das menschliche Inter¬
esse, das er einen Augenblick an seinem jungen Gegner zu nehmen schien, hat
er in diesem Briefe schon wieder völlig abgestreift. „Der Wicht, der mir
ziemlich gebildet zu sein schien, hat mir seine Absicht gestanden, mich zu
morden, um Österreich von den Franzosen zu befreien. Ich habe weder reli¬
giösen noch politischen Fanatismus bei ihm gefunden. Er schien mir nicht
recht zu wissen, wer Brutus war. Das Fieber der Exaltation hinderte ihn,
sich näher auszulasten. Man wird ihn verhören, wenn er abgekühlt und er¬
nüchtert ist. Es steckt vielleicht gar nichts dahinter." Napoleon überwies
Friedrich Staps einem Kriegsgericht unter dem Vorsitz des Generals Lauer.
Der Verdacht, daß der Delinquent Hintermänner habe, erwies sich als durch¬
aus irrig. Auch die Recherchen, die man später in Naumburg bei seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/306>, abgerufen am 12.12.2024.