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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Das Schönbrunner Attentat im Zähre ^ZVZ

Eltern, in Erfurt bei seinem Lehrherrn und seinen Freunden anstellte, blieben
erfolglos.

Obwohl der Kaiser den Vorgang bald vergessen zu haben schien, konnten
sich seine Gedanken doch nicht aus dem Banne des jungen Schwärmers los¬
ringen. Den 16. Oktober, an einem Montag, in der Morgenfrühe brach er von
Schönbrunn auf. Er ließ Napp rufen; beide gingen zu Fuß nach der Heer¬
straße und sahen dem Vorbeimarsch der französischen Garden zu. Da lenkte
der Imperator noch einmal das Gepräch auf das Attentat: "Der unglückliche
Staps kommt mir nicht aus meinem Gedächtnis; wenn ich daran denke, werde
ich ganz irre (Bourienne) ... Es ist beispiellos, daß ein so junger Mensch,
Deutscher, Protestant und gut erzogen, ein solches Verbrechen hat begehen
wollen (Napp). Sehen Sie mal, da spricht man von den Italienern wie von
einem Mördervolke, und doch hat kein Italiener mir nach dem Leben getrachtet.
Das geht über meinen Verstand. Erkundigen Sie sich über die Art und Weise,
wie er gestorben ist, und geben Sie mir Nachricht davon" (Bourienne). Napp
konnte bald darauf seinem Herrn das Ende des Märtyrers melden, wie er es
aus dem Munde des Generals Lauer vernommen hatte: Am 16. Oktober, fast
zu derselben Stunde, wo der Kaiser seiner gedachte, war Friedrich Staps schon
erschossen. Bis zum letzten Augenblicke hatte er Kraft und Standhaftigkeit be¬
wahrt. Mit den Worten: "Es lebe die Freiheit! Es lebe Deutschland! Tod
seinem Tyrannen!" war er niedergesunken. Über den Eindruck seines Berichts
auf Napoleon melden die Memoiren Napps nichts; sie erwähnen nur, daß er
seinem Generaladjutanten befahl, das Messer des Mörders an sich zu nehmen.
Der Schatten des Erschossenen folgte dem Kaiser über Passau nach München.
In einem Gespräch mit dem Bayernkönig berührte der Kaiser das Schön¬
brunner Ereignis und äußerte auffallendermeise die Absicht, dem Vater Staps
durch Vermittlung Duroes eine Geldunterstützung zukommen zu lassen. Daß
hier der Wunsch nicht zur That wurde, war allein die Schuld seiner Geschäfts¬
träger. Noch im Exil auf Sankt Helena gedachte der Entthronte seines un¬
glücklichen Gegners; aber das rein menschliche Mitgefühl, das ihn einst ange¬
wandelt hatte, war hier in seinem verbitterten Gemüt erstickt. "Der Fanatiker
von Schönbrunn, sagte er zu Las Cases, war ein wahrhaft wütendes Tier,
und man überließ ihn seinem Schicksal."

Außerordentlich charakteristisch ist das Verhalten Napoleons gegenüber
der öffentlichen Meinung. Daß ein Jüngling es gewagt hatte, den Gewal¬
tigen mitten unter den Bajonetten seiner siegreichen Armee anzugreifen, konnte
den Glauben an die Übermenschlichkeit des Weltbeherrschers zerstören. Und
spukte der knabenhafte Held, vom Glorienschein des Märtyrers umflossen, in
den erregten Köpfen der unterjochten Völker, dann mochte seine That leicht
Nachahmer werben. So ließ Napoleon jede Nachricht über das Ereignis
unterdrücken; und schlüpfte das Geheimnis doch aus den Gemächern des
Schlosses ins Freie, so sollte die Welt glauben, daß es das lächerliche Unter-


Das Schönbrunner Attentat im Zähre ^ZVZ

Eltern, in Erfurt bei seinem Lehrherrn und seinen Freunden anstellte, blieben
erfolglos.

Obwohl der Kaiser den Vorgang bald vergessen zu haben schien, konnten
sich seine Gedanken doch nicht aus dem Banne des jungen Schwärmers los¬
ringen. Den 16. Oktober, an einem Montag, in der Morgenfrühe brach er von
Schönbrunn auf. Er ließ Napp rufen; beide gingen zu Fuß nach der Heer¬
straße und sahen dem Vorbeimarsch der französischen Garden zu. Da lenkte
der Imperator noch einmal das Gepräch auf das Attentat: „Der unglückliche
Staps kommt mir nicht aus meinem Gedächtnis; wenn ich daran denke, werde
ich ganz irre (Bourienne) ... Es ist beispiellos, daß ein so junger Mensch,
Deutscher, Protestant und gut erzogen, ein solches Verbrechen hat begehen
wollen (Napp). Sehen Sie mal, da spricht man von den Italienern wie von
einem Mördervolke, und doch hat kein Italiener mir nach dem Leben getrachtet.
Das geht über meinen Verstand. Erkundigen Sie sich über die Art und Weise,
wie er gestorben ist, und geben Sie mir Nachricht davon" (Bourienne). Napp
konnte bald darauf seinem Herrn das Ende des Märtyrers melden, wie er es
aus dem Munde des Generals Lauer vernommen hatte: Am 16. Oktober, fast
zu derselben Stunde, wo der Kaiser seiner gedachte, war Friedrich Staps schon
erschossen. Bis zum letzten Augenblicke hatte er Kraft und Standhaftigkeit be¬
wahrt. Mit den Worten: „Es lebe die Freiheit! Es lebe Deutschland! Tod
seinem Tyrannen!" war er niedergesunken. Über den Eindruck seines Berichts
auf Napoleon melden die Memoiren Napps nichts; sie erwähnen nur, daß er
seinem Generaladjutanten befahl, das Messer des Mörders an sich zu nehmen.
Der Schatten des Erschossenen folgte dem Kaiser über Passau nach München.
In einem Gespräch mit dem Bayernkönig berührte der Kaiser das Schön¬
brunner Ereignis und äußerte auffallendermeise die Absicht, dem Vater Staps
durch Vermittlung Duroes eine Geldunterstützung zukommen zu lassen. Daß
hier der Wunsch nicht zur That wurde, war allein die Schuld seiner Geschäfts¬
träger. Noch im Exil auf Sankt Helena gedachte der Entthronte seines un¬
glücklichen Gegners; aber das rein menschliche Mitgefühl, das ihn einst ange¬
wandelt hatte, war hier in seinem verbitterten Gemüt erstickt. „Der Fanatiker
von Schönbrunn, sagte er zu Las Cases, war ein wahrhaft wütendes Tier,
und man überließ ihn seinem Schicksal."

Außerordentlich charakteristisch ist das Verhalten Napoleons gegenüber
der öffentlichen Meinung. Daß ein Jüngling es gewagt hatte, den Gewal¬
tigen mitten unter den Bajonetten seiner siegreichen Armee anzugreifen, konnte
den Glauben an die Übermenschlichkeit des Weltbeherrschers zerstören. Und
spukte der knabenhafte Held, vom Glorienschein des Märtyrers umflossen, in
den erregten Köpfen der unterjochten Völker, dann mochte seine That leicht
Nachahmer werben. So ließ Napoleon jede Nachricht über das Ereignis
unterdrücken; und schlüpfte das Geheimnis doch aus den Gemächern des
Schlosses ins Freie, so sollte die Welt glauben, daß es das lächerliche Unter-


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[0307] Das Schönbrunner Attentat im Zähre ^ZVZ Eltern, in Erfurt bei seinem Lehrherrn und seinen Freunden anstellte, blieben erfolglos. Obwohl der Kaiser den Vorgang bald vergessen zu haben schien, konnten sich seine Gedanken doch nicht aus dem Banne des jungen Schwärmers los¬ ringen. Den 16. Oktober, an einem Montag, in der Morgenfrühe brach er von Schönbrunn auf. Er ließ Napp rufen; beide gingen zu Fuß nach der Heer¬ straße und sahen dem Vorbeimarsch der französischen Garden zu. Da lenkte der Imperator noch einmal das Gepräch auf das Attentat: „Der unglückliche Staps kommt mir nicht aus meinem Gedächtnis; wenn ich daran denke, werde ich ganz irre (Bourienne) ... Es ist beispiellos, daß ein so junger Mensch, Deutscher, Protestant und gut erzogen, ein solches Verbrechen hat begehen wollen (Napp). Sehen Sie mal, da spricht man von den Italienern wie von einem Mördervolke, und doch hat kein Italiener mir nach dem Leben getrachtet. Das geht über meinen Verstand. Erkundigen Sie sich über die Art und Weise, wie er gestorben ist, und geben Sie mir Nachricht davon" (Bourienne). Napp konnte bald darauf seinem Herrn das Ende des Märtyrers melden, wie er es aus dem Munde des Generals Lauer vernommen hatte: Am 16. Oktober, fast zu derselben Stunde, wo der Kaiser seiner gedachte, war Friedrich Staps schon erschossen. Bis zum letzten Augenblicke hatte er Kraft und Standhaftigkeit be¬ wahrt. Mit den Worten: „Es lebe die Freiheit! Es lebe Deutschland! Tod seinem Tyrannen!" war er niedergesunken. Über den Eindruck seines Berichts auf Napoleon melden die Memoiren Napps nichts; sie erwähnen nur, daß er seinem Generaladjutanten befahl, das Messer des Mörders an sich zu nehmen. Der Schatten des Erschossenen folgte dem Kaiser über Passau nach München. In einem Gespräch mit dem Bayernkönig berührte der Kaiser das Schön¬ brunner Ereignis und äußerte auffallendermeise die Absicht, dem Vater Staps durch Vermittlung Duroes eine Geldunterstützung zukommen zu lassen. Daß hier der Wunsch nicht zur That wurde, war allein die Schuld seiner Geschäfts¬ träger. Noch im Exil auf Sankt Helena gedachte der Entthronte seines un¬ glücklichen Gegners; aber das rein menschliche Mitgefühl, das ihn einst ange¬ wandelt hatte, war hier in seinem verbitterten Gemüt erstickt. „Der Fanatiker von Schönbrunn, sagte er zu Las Cases, war ein wahrhaft wütendes Tier, und man überließ ihn seinem Schicksal." Außerordentlich charakteristisch ist das Verhalten Napoleons gegenüber der öffentlichen Meinung. Daß ein Jüngling es gewagt hatte, den Gewal¬ tigen mitten unter den Bajonetten seiner siegreichen Armee anzugreifen, konnte den Glauben an die Übermenschlichkeit des Weltbeherrschers zerstören. Und spukte der knabenhafte Held, vom Glorienschein des Märtyrers umflossen, in den erregten Köpfen der unterjochten Völker, dann mochte seine That leicht Nachahmer werben. So ließ Napoleon jede Nachricht über das Ereignis unterdrücken; und schlüpfte das Geheimnis doch aus den Gemächern des Schlosses ins Freie, so sollte die Welt glauben, daß es das lächerliche Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/307>, abgerufen am 12.12.2024.