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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^309

keit bei diesem Ereignis. Sie werden in einigen Einzelheiten noch ergänzt
durch die Memoiren Scivarys (Paris, 1828), der als Leiter der geheimen
Polizei und als Kommandant der Elitegendarmerie wenigstens beim Verhör
zugegen war. Die Aufzeichnungen des kaiserlichen Geheimsekretärs Bourieune
(Paris, 1829) fließen nur aus Notizen, die er sich am Tage des Attentats
nach einer Unterredung mit Rapp gemacht hat. Auch Las Cases bringt in
seinem Memorial (Paris, 1821 bis 1823) nichts neues; es ist die Wiedergabe
der Erinnerungen Napoleons I., die er nach dem Diktat auf Se. Helena nieder¬
schrieb. Aus deutscher Feder liegt keine quellenmüßige Aufzeichnung vor; denn
die Biographie, die der hochbetagte Vater des jungen Friedrich Staps entwarf
(Berlin, 1843; antiquarisch sehr selten), kann uns nur in die harmlose Kind¬
heit und Jugendzeit seines unglücklichen Sohnes führen; Schuld und Sühne
liegen auch hier verschleiert.

Seit dem 14. Juli 1809 befand sich Napoleon schon im Schlosse Schön¬
brunn, um den Abschluß der Friedensunterhandlungen mit Österreich abzu¬
warten; sie zogen sich länger hin, als der Sieger von Wagram annehmen
konnte. Es war seine Gewohnheit, hier auf dem Schloßhofe täglich einzelne
Truppenteile seiner hart angenommnen Armee zu besichtigen. Am Morgen
des 12. Oktobers, an einem Donnerstage, stand ein Linienregiment in Parade,
und das glänzende militärische Schauspiel hatte wie immer die Wiener in
Scharen herausgelockt. Der Kaiser stieg die Schloßtreppe hinab und schritt
mit seinem Gefolge über den Hof, um auf den rechten Flügel der Kolonne zu
gelangen. Der Generaladjutant von Rapp und Verthier, der Fürst von Neuf-
chatel, gingen an seiner Seite. Plötzlich drängte sich aus der Zuschauermenge
an den Wachtposten vorbei ein sehr junger wohlaussehender Mann, an¬
scheinend mit der Absicht, dem Herrscher eine Bittschrift zu überreichen. Berthier
und Napp wiesen ihn wiederholt zurück, und als sich der Aufdringliche trotzdem
in lästiger Weise dem Kaiser näherte, der jetzt die Front der Soldaten ab¬
schritt, ließ ihn Napp durch einen Gendarmerieoffizier verhaften. Der ganze
Vorgang erregte zunächst keinerlei Aufsehen. Aber die Gendarmen fanden in
dem Überrock des Verhafteten, den sie nach dem Schlosse abführten, ein großes
Küchenmesser; ohne Zögern gestand er vor Napp und dem General Duroc,
die man rief, seinen Plan, den Kaiser zu erstechen. Dem Leiter der geheimen
Polizei Savarh wiederholte er sogleich darauf sein Geständnis. Der Jüngling
hieß Friedrich Staps; er war ein Erfurter Kaufmannslehrling, der siebzehn¬
jährige Sohn eines Geistlichen aus Naumburg.

Nach der Parade teilte Napp die Entdeckung Napoleon mit. Dieser hörte
zuerst ungläubig mit halb spöttischer Miene, dann sichtlich beunruhigt zu; er
ließ den Verhafteten vorführen. Rapp, Savarh, Bernadotte, Berthier und
Duroc standen dabei. Der Gefesselte grüßte ruhig und ehrerbietig den Kaiser,
der. von der zarten Jugend seines Feindes augenscheinlich ganz überrascht, mit
einer Empfindung des Mitleids ausrief: "O, o! das ist unmöglich, das ist


Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^309

keit bei diesem Ereignis. Sie werden in einigen Einzelheiten noch ergänzt
durch die Memoiren Scivarys (Paris, 1828), der als Leiter der geheimen
Polizei und als Kommandant der Elitegendarmerie wenigstens beim Verhör
zugegen war. Die Aufzeichnungen des kaiserlichen Geheimsekretärs Bourieune
(Paris, 1829) fließen nur aus Notizen, die er sich am Tage des Attentats
nach einer Unterredung mit Rapp gemacht hat. Auch Las Cases bringt in
seinem Memorial (Paris, 1821 bis 1823) nichts neues; es ist die Wiedergabe
der Erinnerungen Napoleons I., die er nach dem Diktat auf Se. Helena nieder¬
schrieb. Aus deutscher Feder liegt keine quellenmüßige Aufzeichnung vor; denn
die Biographie, die der hochbetagte Vater des jungen Friedrich Staps entwarf
(Berlin, 1843; antiquarisch sehr selten), kann uns nur in die harmlose Kind¬
heit und Jugendzeit seines unglücklichen Sohnes führen; Schuld und Sühne
liegen auch hier verschleiert.

Seit dem 14. Juli 1809 befand sich Napoleon schon im Schlosse Schön¬
brunn, um den Abschluß der Friedensunterhandlungen mit Österreich abzu¬
warten; sie zogen sich länger hin, als der Sieger von Wagram annehmen
konnte. Es war seine Gewohnheit, hier auf dem Schloßhofe täglich einzelne
Truppenteile seiner hart angenommnen Armee zu besichtigen. Am Morgen
des 12. Oktobers, an einem Donnerstage, stand ein Linienregiment in Parade,
und das glänzende militärische Schauspiel hatte wie immer die Wiener in
Scharen herausgelockt. Der Kaiser stieg die Schloßtreppe hinab und schritt
mit seinem Gefolge über den Hof, um auf den rechten Flügel der Kolonne zu
gelangen. Der Generaladjutant von Rapp und Verthier, der Fürst von Neuf-
chatel, gingen an seiner Seite. Plötzlich drängte sich aus der Zuschauermenge
an den Wachtposten vorbei ein sehr junger wohlaussehender Mann, an¬
scheinend mit der Absicht, dem Herrscher eine Bittschrift zu überreichen. Berthier
und Napp wiesen ihn wiederholt zurück, und als sich der Aufdringliche trotzdem
in lästiger Weise dem Kaiser näherte, der jetzt die Front der Soldaten ab¬
schritt, ließ ihn Napp durch einen Gendarmerieoffizier verhaften. Der ganze
Vorgang erregte zunächst keinerlei Aufsehen. Aber die Gendarmen fanden in
dem Überrock des Verhafteten, den sie nach dem Schlosse abführten, ein großes
Küchenmesser; ohne Zögern gestand er vor Napp und dem General Duroc,
die man rief, seinen Plan, den Kaiser zu erstechen. Dem Leiter der geheimen
Polizei Savarh wiederholte er sogleich darauf sein Geständnis. Der Jüngling
hieß Friedrich Staps; er war ein Erfurter Kaufmannslehrling, der siebzehn¬
jährige Sohn eines Geistlichen aus Naumburg.

Nach der Parade teilte Napp die Entdeckung Napoleon mit. Dieser hörte
zuerst ungläubig mit halb spöttischer Miene, dann sichtlich beunruhigt zu; er
ließ den Verhafteten vorführen. Rapp, Savarh, Bernadotte, Berthier und
Duroc standen dabei. Der Gefesselte grüßte ruhig und ehrerbietig den Kaiser,
der. von der zarten Jugend seines Feindes augenscheinlich ganz überrascht, mit
einer Empfindung des Mitleids ausrief: „O, o! das ist unmöglich, das ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/305>, abgerufen am 24.07.2024.