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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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verbesserter Smithianismus

Markte abwirft.'") Oppenheimer findet es mit Recht sonderbar, daß die
Nationalökonomen noch niemals auf den Gedanken geraten sind, das Thünensche
Schema umzukehren, da doch die Entstehung und die Verteilung der Gewerbe in
demselben Maße durch die Urproduktion bestimmt werden, wie deren Standort
und Betriebsform durch den städtischen Markt (selbstverständlich ist mit Ur¬
produktion hier vorzugsweise die Landwirtschaft gemeint schon aus dem Grunde,
weil der Fischerei und noch mehr den Salinen und dem Bergbau ihre Stand¬
orte von der Natur angewiesen sind). Oppenheimer findet nun, immer den
freien Boden und die ungestörte Wirksamkeit des Naturgesetzes in der reinen
Tauschgesellschaft, also auch die Freizügigkeit, vorausgesetzt, der Hauptsache
nach folgendes: Alle Waren haben ihren natürlichen Preis (oder oszilliren
wenigstens um ihn), das heißt, sie tauschen sich nach der in ihnen steckenden
Menge Arbeit aus. Jede Ungleichheit, die entsteht, gleicht sich bald von selbst
wieder aus. Sinken z. B. die Lebensmittel im Preise, so wandern Landwirte
in die Stadt, als an den Ort des geringern Drucks, und beteiligen sich an
der Produktion von Jndustrieerzeugnissen. Sinkt der Preis für Gewerbe¬
erzeugnisse, so tritt die umgekehrte Strömung ein. Bei wachsender Bevölkerung
steigen die Preise der Lebensmittel, aber diese Preissteigerung wird mehr als
ausgeglichen durch die fortschreitende Produktivität der gewerblichen Arbeit,
die die Kaufkraft der städtischen Bevölkerung erhöht. Die steigende Produkti¬
vität der gewerblichen Arbeit wirkt steigernd auf die der landwirtschaftlichen
ein, da einerseits der Fortschritt der Gewerbe den Landwirt der Notwendigkeit,
seine Zeit auf Nebenarbeiten zu verschwenden, überhebt und ihn mit immer
vollkommnern Werkzeugen und Methoden ausrüstet, andrerseits die gesteigerte
Kaufkraft der Stadt jede auf die Landwirtschaft verwandte Mehrarbeit rentabel
'"acht. Die intensivere Kultur in der Nähe der Stadt verkleinert die vom
einzelnen Wirt bebaute Parzelle und verdichtet die Bevölkerung. Denn wollte
em Landwirt im innersten Ringe seine dreißig Morgen -- soviel hat bei der
Niederlassung jeder Hausvater bekommen -- zum Ackerbau benutzen, so könnte
^ diesen mit seinen Händen und denen seiner Angehörigen nur sehr unvoll¬
kommen betreiben, und der Reinertrag dieser dreißig Morgen würde geringer
sein als der von fünf Morgen Gartenland. Mietet er aber Arbeiter, so muß
er diesen an Lohn so viel gewähren, wie das Einkommen des Besitzers einer
Hufe beträgt; bietet er weniger, so gründet der Arbeiter lieber eine eigne Wirt¬
schaft, sei es in seiner Mark, oder wenn die Mark schon aufgeteilt ist, jenseits



') Anerkannt wird von der heutigen Wissenschaft das von Thüren ausgestellte Grundgesetz
und ein großer Teil seiner Einzelfestselmngen, Mehrere von diesen sind aber durch die Fort¬
schritte der Technik umgestoßen worden. Die Entfernung vom Markte hat heute nicht mehr die
Bedeutung wie vor siebzig Jahren. Die Stellung, die Thüren der Forstzone anweist, kommt
uns Heutigen geradezu unsinnig vor; damals aber war Holz noch das einzige Brennmaterial,
und sein Transport sehr teuer.
verbesserter Smithianismus

Markte abwirft.'") Oppenheimer findet es mit Recht sonderbar, daß die
Nationalökonomen noch niemals auf den Gedanken geraten sind, das Thünensche
Schema umzukehren, da doch die Entstehung und die Verteilung der Gewerbe in
demselben Maße durch die Urproduktion bestimmt werden, wie deren Standort
und Betriebsform durch den städtischen Markt (selbstverständlich ist mit Ur¬
produktion hier vorzugsweise die Landwirtschaft gemeint schon aus dem Grunde,
weil der Fischerei und noch mehr den Salinen und dem Bergbau ihre Stand¬
orte von der Natur angewiesen sind). Oppenheimer findet nun, immer den
freien Boden und die ungestörte Wirksamkeit des Naturgesetzes in der reinen
Tauschgesellschaft, also auch die Freizügigkeit, vorausgesetzt, der Hauptsache
nach folgendes: Alle Waren haben ihren natürlichen Preis (oder oszilliren
wenigstens um ihn), das heißt, sie tauschen sich nach der in ihnen steckenden
Menge Arbeit aus. Jede Ungleichheit, die entsteht, gleicht sich bald von selbst
wieder aus. Sinken z. B. die Lebensmittel im Preise, so wandern Landwirte
in die Stadt, als an den Ort des geringern Drucks, und beteiligen sich an
der Produktion von Jndustrieerzeugnissen. Sinkt der Preis für Gewerbe¬
erzeugnisse, so tritt die umgekehrte Strömung ein. Bei wachsender Bevölkerung
steigen die Preise der Lebensmittel, aber diese Preissteigerung wird mehr als
ausgeglichen durch die fortschreitende Produktivität der gewerblichen Arbeit,
die die Kaufkraft der städtischen Bevölkerung erhöht. Die steigende Produkti¬
vität der gewerblichen Arbeit wirkt steigernd auf die der landwirtschaftlichen
ein, da einerseits der Fortschritt der Gewerbe den Landwirt der Notwendigkeit,
seine Zeit auf Nebenarbeiten zu verschwenden, überhebt und ihn mit immer
vollkommnern Werkzeugen und Methoden ausrüstet, andrerseits die gesteigerte
Kaufkraft der Stadt jede auf die Landwirtschaft verwandte Mehrarbeit rentabel
'»acht. Die intensivere Kultur in der Nähe der Stadt verkleinert die vom
einzelnen Wirt bebaute Parzelle und verdichtet die Bevölkerung. Denn wollte
em Landwirt im innersten Ringe seine dreißig Morgen — soviel hat bei der
Niederlassung jeder Hausvater bekommen — zum Ackerbau benutzen, so könnte
^ diesen mit seinen Händen und denen seiner Angehörigen nur sehr unvoll¬
kommen betreiben, und der Reinertrag dieser dreißig Morgen würde geringer
sein als der von fünf Morgen Gartenland. Mietet er aber Arbeiter, so muß
er diesen an Lohn so viel gewähren, wie das Einkommen des Besitzers einer
Hufe beträgt; bietet er weniger, so gründet der Arbeiter lieber eine eigne Wirt¬
schaft, sei es in seiner Mark, oder wenn die Mark schon aufgeteilt ist, jenseits



') Anerkannt wird von der heutigen Wissenschaft das von Thüren ausgestellte Grundgesetz
und ein großer Teil seiner Einzelfestselmngen, Mehrere von diesen sind aber durch die Fort¬
schritte der Technik umgestoßen worden. Die Entfernung vom Markte hat heute nicht mehr die
Bedeutung wie vor siebzig Jahren. Die Stellung, die Thüren der Forstzone anweist, kommt
uns Heutigen geradezu unsinnig vor; damals aber war Holz noch das einzige Brennmaterial,
und sein Transport sehr teuer.
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[0298] verbesserter Smithianismus Markte abwirft.'") Oppenheimer findet es mit Recht sonderbar, daß die Nationalökonomen noch niemals auf den Gedanken geraten sind, das Thünensche Schema umzukehren, da doch die Entstehung und die Verteilung der Gewerbe in demselben Maße durch die Urproduktion bestimmt werden, wie deren Standort und Betriebsform durch den städtischen Markt (selbstverständlich ist mit Ur¬ produktion hier vorzugsweise die Landwirtschaft gemeint schon aus dem Grunde, weil der Fischerei und noch mehr den Salinen und dem Bergbau ihre Stand¬ orte von der Natur angewiesen sind). Oppenheimer findet nun, immer den freien Boden und die ungestörte Wirksamkeit des Naturgesetzes in der reinen Tauschgesellschaft, also auch die Freizügigkeit, vorausgesetzt, der Hauptsache nach folgendes: Alle Waren haben ihren natürlichen Preis (oder oszilliren wenigstens um ihn), das heißt, sie tauschen sich nach der in ihnen steckenden Menge Arbeit aus. Jede Ungleichheit, die entsteht, gleicht sich bald von selbst wieder aus. Sinken z. B. die Lebensmittel im Preise, so wandern Landwirte in die Stadt, als an den Ort des geringern Drucks, und beteiligen sich an der Produktion von Jndustrieerzeugnissen. Sinkt der Preis für Gewerbe¬ erzeugnisse, so tritt die umgekehrte Strömung ein. Bei wachsender Bevölkerung steigen die Preise der Lebensmittel, aber diese Preissteigerung wird mehr als ausgeglichen durch die fortschreitende Produktivität der gewerblichen Arbeit, die die Kaufkraft der städtischen Bevölkerung erhöht. Die steigende Produkti¬ vität der gewerblichen Arbeit wirkt steigernd auf die der landwirtschaftlichen ein, da einerseits der Fortschritt der Gewerbe den Landwirt der Notwendigkeit, seine Zeit auf Nebenarbeiten zu verschwenden, überhebt und ihn mit immer vollkommnern Werkzeugen und Methoden ausrüstet, andrerseits die gesteigerte Kaufkraft der Stadt jede auf die Landwirtschaft verwandte Mehrarbeit rentabel '»acht. Die intensivere Kultur in der Nähe der Stadt verkleinert die vom einzelnen Wirt bebaute Parzelle und verdichtet die Bevölkerung. Denn wollte em Landwirt im innersten Ringe seine dreißig Morgen — soviel hat bei der Niederlassung jeder Hausvater bekommen — zum Ackerbau benutzen, so könnte ^ diesen mit seinen Händen und denen seiner Angehörigen nur sehr unvoll¬ kommen betreiben, und der Reinertrag dieser dreißig Morgen würde geringer sein als der von fünf Morgen Gartenland. Mietet er aber Arbeiter, so muß er diesen an Lohn so viel gewähren, wie das Einkommen des Besitzers einer Hufe beträgt; bietet er weniger, so gründet der Arbeiter lieber eine eigne Wirt¬ schaft, sei es in seiner Mark, oder wenn die Mark schon aufgeteilt ist, jenseits ') Anerkannt wird von der heutigen Wissenschaft das von Thüren ausgestellte Grundgesetz und ein großer Teil seiner Einzelfestselmngen, Mehrere von diesen sind aber durch die Fort¬ schritte der Technik umgestoßen worden. Die Entfernung vom Markte hat heute nicht mehr die Bedeutung wie vor siebzig Jahren. Die Stellung, die Thüren der Forstzone anweist, kommt uns Heutigen geradezu unsinnig vor; damals aber war Holz noch das einzige Brennmaterial, und sein Transport sehr teuer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/298>, abgerufen am 24.07.2024.