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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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leuchten nur ein wenig die mit erstaunlicher Abstraktionskraft aufgebaute und
mit fleißig gesammelten geschichtlichem Material gestützte Theorie des Ver¬
fassers. -

Eine reine freie Tauschgesellschaft, wofür Adam Smith die zu seiner
Zeit schon vorhandne moderne Gesellschaft ansah, würde nach Oppenheimer
wirklich die soziale Harmonie erzeugen. Aber die moderne Gesellschaft ist
leider noch nicht die reine Tauschgesellschast, sondern eine Mischung der
Tauschgesellschaft mit der nach "Nomadenrecht" aufgebauten Feudalgesell¬
schaft, die sie in jahrhundertelangem Ringen bis heute noch nicht zu über¬
winden und auszustoßen vermocht hat. Die Nomaden, unsre germanischen
Urväter eingeschlossen, sind nämlich nicht, wie man gewöhnlich glaubt, bei der
Niederlassung gleichberechtigte Gemeinfreie gewesen, sondern sie hatten schon
als Nomaden Sklaven erworben, hatten das Herrenrecht ausgebildet und
trugen, als sie seßhaft wurden, nicht allein das nomadische Herrenrecht und
den Standesunterschied sofort in die nun entstehende Agrarverfassung hinein,
sondern schufen auch den Großgrundbesitz, indem der Adliche, um seine Sklaven
ansiedeln zu können, ein weit größeres Stück Land in Beschlag nahm, als er
für sich und seine Familie gebraucht hätte. Die reine Tauschgesellschaft ist
also, darin hat Oppenheimer recht, niemals vorhanden gewesen, sie muß in
Gedanken konstruirt werden, wenn man ihre Lebens- und Entwicklungsgesetze
erforschen will.

Er findet nun ein die ganze Entwicklung beherrschendes Naturgesetz der
Gesellschaft: die Menschen verhalten sich, darin alle gleich, genau wie die
Tropfen einer Wassermasse, die bei jeder Gleichgewichtsstörung durch ihre
Schwere gezwungen werden, solange zu fallen oder zu rinnen, bis das
Niveau der ganzen Masse wieder eine Ebne und das Gleichgewicht wieder
hergestellt worden ist; "die Menschen strömen vom Orte höhern wirtschaft¬
lichen Druckes zum Orte geringern wirtschaftlichen Druckes auf der Linie
des geringsten Widerstands." Er stellt nun dar, wie sich, vom ersten
Augenblick der Niederlassung an, die Bevölkerung verteilen und befinden
müßte, wenn die Wirksamkeit des Naturgesetzes durch keinerlei Eingriffe eines
Herrenrechts und sonstiger politischer Einrichtungen zerstört würde. Er legt
dabei das Schema des isolirten Staats zu Grunde. Thüren hat sich bekannt¬
lich die Gewerbe in eine einzige Stadt zusammengedrängt und um sie herum
die UrProduzenten in konzentrischen Ringen gelagert gedacht. Er läßt, von
der Stadt ausgehend, auf einander folgen: 1. Freie Wirtschaft mit Garten-,
Gemüsebau und Milchproduktion. 2. Forstwirtschaft, 3. Fruchtwechselwirtschaft,
4. Koppelwirtschaft, 5. Dreifelderwirtschaft, 6. Viehzucht. Jenseits des letzten
Ringes liegt Urwald und sonstiger herrenloser Boden. Jeder Art der Ur¬
produktion und jeder Vetriebsform wird ihr Standort angewiesen durch das
Maß des Reinertrags, den ein Erzeugnis bei einer gewissen Entfernung vom


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leuchten nur ein wenig die mit erstaunlicher Abstraktionskraft aufgebaute und
mit fleißig gesammelten geschichtlichem Material gestützte Theorie des Ver¬
fassers. -

Eine reine freie Tauschgesellschaft, wofür Adam Smith die zu seiner
Zeit schon vorhandne moderne Gesellschaft ansah, würde nach Oppenheimer
wirklich die soziale Harmonie erzeugen. Aber die moderne Gesellschaft ist
leider noch nicht die reine Tauschgesellschast, sondern eine Mischung der
Tauschgesellschaft mit der nach „Nomadenrecht" aufgebauten Feudalgesell¬
schaft, die sie in jahrhundertelangem Ringen bis heute noch nicht zu über¬
winden und auszustoßen vermocht hat. Die Nomaden, unsre germanischen
Urväter eingeschlossen, sind nämlich nicht, wie man gewöhnlich glaubt, bei der
Niederlassung gleichberechtigte Gemeinfreie gewesen, sondern sie hatten schon
als Nomaden Sklaven erworben, hatten das Herrenrecht ausgebildet und
trugen, als sie seßhaft wurden, nicht allein das nomadische Herrenrecht und
den Standesunterschied sofort in die nun entstehende Agrarverfassung hinein,
sondern schufen auch den Großgrundbesitz, indem der Adliche, um seine Sklaven
ansiedeln zu können, ein weit größeres Stück Land in Beschlag nahm, als er
für sich und seine Familie gebraucht hätte. Die reine Tauschgesellschaft ist
also, darin hat Oppenheimer recht, niemals vorhanden gewesen, sie muß in
Gedanken konstruirt werden, wenn man ihre Lebens- und Entwicklungsgesetze
erforschen will.

Er findet nun ein die ganze Entwicklung beherrschendes Naturgesetz der
Gesellschaft: die Menschen verhalten sich, darin alle gleich, genau wie die
Tropfen einer Wassermasse, die bei jeder Gleichgewichtsstörung durch ihre
Schwere gezwungen werden, solange zu fallen oder zu rinnen, bis das
Niveau der ganzen Masse wieder eine Ebne und das Gleichgewicht wieder
hergestellt worden ist; „die Menschen strömen vom Orte höhern wirtschaft¬
lichen Druckes zum Orte geringern wirtschaftlichen Druckes auf der Linie
des geringsten Widerstands." Er stellt nun dar, wie sich, vom ersten
Augenblick der Niederlassung an, die Bevölkerung verteilen und befinden
müßte, wenn die Wirksamkeit des Naturgesetzes durch keinerlei Eingriffe eines
Herrenrechts und sonstiger politischer Einrichtungen zerstört würde. Er legt
dabei das Schema des isolirten Staats zu Grunde. Thüren hat sich bekannt¬
lich die Gewerbe in eine einzige Stadt zusammengedrängt und um sie herum
die UrProduzenten in konzentrischen Ringen gelagert gedacht. Er läßt, von
der Stadt ausgehend, auf einander folgen: 1. Freie Wirtschaft mit Garten-,
Gemüsebau und Milchproduktion. 2. Forstwirtschaft, 3. Fruchtwechselwirtschaft,
4. Koppelwirtschaft, 5. Dreifelderwirtschaft, 6. Viehzucht. Jenseits des letzten
Ringes liegt Urwald und sonstiger herrenloser Boden. Jeder Art der Ur¬
produktion und jeder Vetriebsform wird ihr Standort angewiesen durch das
Maß des Reinertrags, den ein Erzeugnis bei einer gewissen Entfernung vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/297>, abgerufen am 12.12.2024.