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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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von Weißenburg bis Metz

Nordosten offnem Bogen gebantes Dorf; am Scheitelpunkte links steht jetzt
(seit 1376) die schöne "Friedenskirche," in gotischem Stil ans dem roten
Vogesensandstein aufgeführt an Stelle der viel kleinern, die am Schlachttage
in Brand geschossen wurde, daneben das elegant erneuerte Schloß des Grafen
Türckheim, von einem ausgedehnten, wohlgepflegten Park umgeben. Wenig
hundert Schritte weiter ins Dorf hinein, dicht an der Straße, liegt das alte
Pfarrhaus des Pastors Klein, dessen weltbekannte "Fröschweiler Chronik" diese
Tage so eindrucksvoll und anschaulich schildert. Er selbst ging 1882 nach
Nördlingen, verfiel aber dort schon 1883 in Irrsinn und ist nach laugen Leiden
erst im Sommer 1898 gestorben. Seine Schwester, Katharina Klein, hat 1896
"Ergänzungsblätter" zu der Chronik herausgegeben.*) Jetzt ist die Pfarre ver¬
legt, und das ehemalige Pfarrhaus ein gutes Gasthaus "Zur Jägerzusammen¬
kunft." Der jetzige Wirt ist ein Rheinländer, wie so viele seiner nähern Lands-
leute im Reichsland eingewandert, früher kaiserlicher Förster in Saarunion und
Mitkämpfer von 1870/71, wo er sich bei den 8. rheinischen Jägern in der Schlacht
bei Amiens das Eiserne Kreuz geholt hat; seine Frau -- eine typische Ver¬
bindung! -- stammt ans dem Orte und hat die Schlacht als zehnjähriges
Kind mit durchlebt, bewahrt auch noch manche starken Eindrücke aus diesen
Schreckenstagen, denn das waren sie für Fröschweiler. "Ich lebte damals, er¬
zählte sie in ihrer schlichten und klaren Weise, im Hause meines Großvaters,
eine Strecke weiter ins Dorf hinauf. Ein französischer General war bei uns
im Quartier. Der lag am 6. August früh ^9 oben noch im Bett, als man
schon den Kanonendonner hörte. Mein Großvater ging hinauf, um ihn zu
wecken, und sagte zu ihm: Mein General, die Schlacht beginnt. mein,
entgegnete der Franzose, esse uns tM886 alsrts! und blieb ruhig liegen.
Als es schlimmer wurde, flüchteten wir in den Keller. Endlich legte sich der
Lärm, und auf einmal hörte man das Hurra. Das sind die Deutschen, sagte
der Großvater, da muß ich hinauf und nachsehen. Ich laufe ihm nach, und
wie er die Hintere Thür nach dem Hofe öffnet, sieht er, daß die Deutschen erst
im Nachbarhause sind, und wollte wieder zumachen. Da aber drängen sich
Zwei Turkos herein, ganz erschöpft, und gehen unten in die Stube, ich gehe
ihnen neugierig nach. Gleich darauf krachen Kolbenschläge an die Hausthür,
und wie der Großvater öffnet, stehen zwei deutsche Soldaten davor und rufen:
Hier sind Turkos im Hause, wir haben sie hineingehen sehen. Meine
Herren, sagt der Großvater, sie sind da, aber meine Enkelin ist bei ihnen in
der Stube; wenn Sie ihnen jetzt nachgehen, kann das Kind zu Schaden kommen;
ich werde dafür sorgen, daß die Turkos Ihnen die Gewehre abliefern. Das
thaten die deun auch, und er brachte sie mit hinaus. Ein andrer Turkv lag
schwer verwundet in unserm Garten, der schrie die ganze Nacht zu Mahomet,



*) Fröschweiler Erinnerungen. München, C, H, Beck, 1896.
Grenzboten IV 180836
von Weißenburg bis Metz

Nordosten offnem Bogen gebantes Dorf; am Scheitelpunkte links steht jetzt
(seit 1376) die schöne „Friedenskirche," in gotischem Stil ans dem roten
Vogesensandstein aufgeführt an Stelle der viel kleinern, die am Schlachttage
in Brand geschossen wurde, daneben das elegant erneuerte Schloß des Grafen
Türckheim, von einem ausgedehnten, wohlgepflegten Park umgeben. Wenig
hundert Schritte weiter ins Dorf hinein, dicht an der Straße, liegt das alte
Pfarrhaus des Pastors Klein, dessen weltbekannte „Fröschweiler Chronik" diese
Tage so eindrucksvoll und anschaulich schildert. Er selbst ging 1882 nach
Nördlingen, verfiel aber dort schon 1883 in Irrsinn und ist nach laugen Leiden
erst im Sommer 1898 gestorben. Seine Schwester, Katharina Klein, hat 1896
„Ergänzungsblätter" zu der Chronik herausgegeben.*) Jetzt ist die Pfarre ver¬
legt, und das ehemalige Pfarrhaus ein gutes Gasthaus „Zur Jägerzusammen¬
kunft." Der jetzige Wirt ist ein Rheinländer, wie so viele seiner nähern Lands-
leute im Reichsland eingewandert, früher kaiserlicher Förster in Saarunion und
Mitkämpfer von 1870/71, wo er sich bei den 8. rheinischen Jägern in der Schlacht
bei Amiens das Eiserne Kreuz geholt hat; seine Frau — eine typische Ver¬
bindung! — stammt ans dem Orte und hat die Schlacht als zehnjähriges
Kind mit durchlebt, bewahrt auch noch manche starken Eindrücke aus diesen
Schreckenstagen, denn das waren sie für Fröschweiler. „Ich lebte damals, er¬
zählte sie in ihrer schlichten und klaren Weise, im Hause meines Großvaters,
eine Strecke weiter ins Dorf hinauf. Ein französischer General war bei uns
im Quartier. Der lag am 6. August früh ^9 oben noch im Bett, als man
schon den Kanonendonner hörte. Mein Großvater ging hinauf, um ihn zu
wecken, und sagte zu ihm: Mein General, die Schlacht beginnt. mein,
entgegnete der Franzose, esse uns tM886 alsrts! und blieb ruhig liegen.
Als es schlimmer wurde, flüchteten wir in den Keller. Endlich legte sich der
Lärm, und auf einmal hörte man das Hurra. Das sind die Deutschen, sagte
der Großvater, da muß ich hinauf und nachsehen. Ich laufe ihm nach, und
wie er die Hintere Thür nach dem Hofe öffnet, sieht er, daß die Deutschen erst
im Nachbarhause sind, und wollte wieder zumachen. Da aber drängen sich
Zwei Turkos herein, ganz erschöpft, und gehen unten in die Stube, ich gehe
ihnen neugierig nach. Gleich darauf krachen Kolbenschläge an die Hausthür,
und wie der Großvater öffnet, stehen zwei deutsche Soldaten davor und rufen:
Hier sind Turkos im Hause, wir haben sie hineingehen sehen. Meine
Herren, sagt der Großvater, sie sind da, aber meine Enkelin ist bei ihnen in
der Stube; wenn Sie ihnen jetzt nachgehen, kann das Kind zu Schaden kommen;
ich werde dafür sorgen, daß die Turkos Ihnen die Gewehre abliefern. Das
thaten die deun auch, und er brachte sie mit hinaus. Ein andrer Turkv lag
schwer verwundet in unserm Garten, der schrie die ganze Nacht zu Mahomet,



*) Fröschweiler Erinnerungen. München, C, H, Beck, 1896.
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[0292] von Weißenburg bis Metz Nordosten offnem Bogen gebantes Dorf; am Scheitelpunkte links steht jetzt (seit 1376) die schöne „Friedenskirche," in gotischem Stil ans dem roten Vogesensandstein aufgeführt an Stelle der viel kleinern, die am Schlachttage in Brand geschossen wurde, daneben das elegant erneuerte Schloß des Grafen Türckheim, von einem ausgedehnten, wohlgepflegten Park umgeben. Wenig hundert Schritte weiter ins Dorf hinein, dicht an der Straße, liegt das alte Pfarrhaus des Pastors Klein, dessen weltbekannte „Fröschweiler Chronik" diese Tage so eindrucksvoll und anschaulich schildert. Er selbst ging 1882 nach Nördlingen, verfiel aber dort schon 1883 in Irrsinn und ist nach laugen Leiden erst im Sommer 1898 gestorben. Seine Schwester, Katharina Klein, hat 1896 „Ergänzungsblätter" zu der Chronik herausgegeben.*) Jetzt ist die Pfarre ver¬ legt, und das ehemalige Pfarrhaus ein gutes Gasthaus „Zur Jägerzusammen¬ kunft." Der jetzige Wirt ist ein Rheinländer, wie so viele seiner nähern Lands- leute im Reichsland eingewandert, früher kaiserlicher Förster in Saarunion und Mitkämpfer von 1870/71, wo er sich bei den 8. rheinischen Jägern in der Schlacht bei Amiens das Eiserne Kreuz geholt hat; seine Frau — eine typische Ver¬ bindung! — stammt ans dem Orte und hat die Schlacht als zehnjähriges Kind mit durchlebt, bewahrt auch noch manche starken Eindrücke aus diesen Schreckenstagen, denn das waren sie für Fröschweiler. „Ich lebte damals, er¬ zählte sie in ihrer schlichten und klaren Weise, im Hause meines Großvaters, eine Strecke weiter ins Dorf hinauf. Ein französischer General war bei uns im Quartier. Der lag am 6. August früh ^9 oben noch im Bett, als man schon den Kanonendonner hörte. Mein Großvater ging hinauf, um ihn zu wecken, und sagte zu ihm: Mein General, die Schlacht beginnt. mein, entgegnete der Franzose, esse uns tM886 alsrts! und blieb ruhig liegen. Als es schlimmer wurde, flüchteten wir in den Keller. Endlich legte sich der Lärm, und auf einmal hörte man das Hurra. Das sind die Deutschen, sagte der Großvater, da muß ich hinauf und nachsehen. Ich laufe ihm nach, und wie er die Hintere Thür nach dem Hofe öffnet, sieht er, daß die Deutschen erst im Nachbarhause sind, und wollte wieder zumachen. Da aber drängen sich Zwei Turkos herein, ganz erschöpft, und gehen unten in die Stube, ich gehe ihnen neugierig nach. Gleich darauf krachen Kolbenschläge an die Hausthür, und wie der Großvater öffnet, stehen zwei deutsche Soldaten davor und rufen: Hier sind Turkos im Hause, wir haben sie hineingehen sehen. Meine Herren, sagt der Großvater, sie sind da, aber meine Enkelin ist bei ihnen in der Stube; wenn Sie ihnen jetzt nachgehen, kann das Kind zu Schaden kommen; ich werde dafür sorgen, daß die Turkos Ihnen die Gewehre abliefern. Das thaten die deun auch, und er brachte sie mit hinaus. Ein andrer Turkv lag schwer verwundet in unserm Garten, der schrie die ganze Nacht zu Mahomet, *) Fröschweiler Erinnerungen. München, C, H, Beck, 1896. Grenzboten IV 180836

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/292>, abgerufen am 24.07.2024.