Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Von Meißenburg bis Metz

dunkeln feindlichen Kolonnen herankommen sah! Von dieser Seite ist das Schloß
allerdings nicht angegriffen worden. Der Stoß kam vielmehr von der ebnen
Nordseite her durch die vorliegenden Hopfenpflanzungen gegen das Gartenthor,
das dort hinausführt, und gegen das Thor des ersten Hofes. Noch ist die
Mauer des Thorhauses dort von Kugeln zerfetzt, und reichliche Kugelspuren trägt
auch die Gartenfront des Herrenhauses, wo die Reste der verzweifelt fechtenden
Verteidiger gegen zwei Uhr endlich die Waffen streckten, als auf der Höhe im
Nordwesten des Schlosses Artillerie auffuhr. Dort, auf dem höchsten Punkte
des Geisberges, erhebt sich jetzt inmitten einer parkartigen, von dichten Hecken
umgebnen Anlage auf dem deutschen Massengrabe das Armeedenkmal, ein hohes
Kreuz, von vier liegenden Löwen bewacht, mit der Inschrift am Sockel: "Den
gefallenen Kameraden die dritte Armee." Wenig hundert Schritt weiter süd-
westwärts stehen die drei Pappeln, die jetzt das Denkmal der Königsgrenadiere
bezeichnen; hier hielt am Morgen des 4. August hinter seiner Mitrailleusen-
batterie der General Abel Douah, obwohl er von hier aus die deutschen An¬
marschlinien nur unvollkommen übersehen konnte. Er hatte vor der Schlacht
in Steinseltz hinter dem Geisberge sein Quartier gehabt; als er hier am
Morgen des 4. August den Kanonendonner hörte, sagte er voll trüber Ahnungen
zu seinem Wirte: "Ich steige jetzt zu Pferde, aber ich komme nicht wieder."
In der That kehrte er nicht zurück; oben bei den drei Pappeln, als er entsetzt
das unaufhaltsame Andringen seiner Gegner sah, wurde er tödlich verwundet
und verschied im Schafbuschhofe, dessen Dächer eine kurze Strecke weiter süd¬
wärts an der Straße nach Hagenau sichtbar werden. Verfolgt mau diese
Straße in der Richtung nach Weißenburg, wohin sie allmählich fällt, so öffnet
sich das anmutigste Panorama: im Mittelgrunde die Stadt, dahinter die be¬
waldeten Vorberge der Vogesen, rechts die rcichbebaute Ebne. Der Geisberg
flacht sich nach dieser Richtung in Wiesen und Feldern ab. Mitten aus ihnen
erhebt sich rechts von der Straße das Denkmal, das die Stelle bezeichnet, wo
die 5. schlesischen Jäger, von der Eisenbahn heraufdringend, das erste fran¬
zösische Geschütz im Feuer nahmen.

Als General Donay die Schlacht bei Weißenburg annahm, wußte er, daß
seine Division sozusagen in der Luft stand. Denn Mac Mahon hatte die
Hauptmasse seiner Armee mehrere Meilen weiter südwärts zusammengezogen
in einer an sich strategisch wie taktisch sehr geschickt gewählten Stellung, in
der er den nördlichsten Paß der Vogesen, die Straße und die Eisenbahn nach
Viehch, deckte und jedes deutsche Heer, das weiter südlich in den Elsaß vor¬
drang, in der rechten Flanke bedrohte. Gerade deshalb mußte und wollte ihn
der Kronprinz angreifen, allerdings nicht am 6., sondern erst am 7. Augnst-
Er hatte sein Hauptquartier nach Sultz unterm Wald verlegt, einem ansehn¬
lichen, stadtähnlichen Dorfe mit wohlhäbigen, großen Bauernhöfen und einer
stattlichen neuen Synagoge, denn das jüdische Element ist in der ganzen Gegend


Von Meißenburg bis Metz

dunkeln feindlichen Kolonnen herankommen sah! Von dieser Seite ist das Schloß
allerdings nicht angegriffen worden. Der Stoß kam vielmehr von der ebnen
Nordseite her durch die vorliegenden Hopfenpflanzungen gegen das Gartenthor,
das dort hinausführt, und gegen das Thor des ersten Hofes. Noch ist die
Mauer des Thorhauses dort von Kugeln zerfetzt, und reichliche Kugelspuren trägt
auch die Gartenfront des Herrenhauses, wo die Reste der verzweifelt fechtenden
Verteidiger gegen zwei Uhr endlich die Waffen streckten, als auf der Höhe im
Nordwesten des Schlosses Artillerie auffuhr. Dort, auf dem höchsten Punkte
des Geisberges, erhebt sich jetzt inmitten einer parkartigen, von dichten Hecken
umgebnen Anlage auf dem deutschen Massengrabe das Armeedenkmal, ein hohes
Kreuz, von vier liegenden Löwen bewacht, mit der Inschrift am Sockel: „Den
gefallenen Kameraden die dritte Armee." Wenig hundert Schritt weiter süd-
westwärts stehen die drei Pappeln, die jetzt das Denkmal der Königsgrenadiere
bezeichnen; hier hielt am Morgen des 4. August hinter seiner Mitrailleusen-
batterie der General Abel Douah, obwohl er von hier aus die deutschen An¬
marschlinien nur unvollkommen übersehen konnte. Er hatte vor der Schlacht
in Steinseltz hinter dem Geisberge sein Quartier gehabt; als er hier am
Morgen des 4. August den Kanonendonner hörte, sagte er voll trüber Ahnungen
zu seinem Wirte: „Ich steige jetzt zu Pferde, aber ich komme nicht wieder."
In der That kehrte er nicht zurück; oben bei den drei Pappeln, als er entsetzt
das unaufhaltsame Andringen seiner Gegner sah, wurde er tödlich verwundet
und verschied im Schafbuschhofe, dessen Dächer eine kurze Strecke weiter süd¬
wärts an der Straße nach Hagenau sichtbar werden. Verfolgt mau diese
Straße in der Richtung nach Weißenburg, wohin sie allmählich fällt, so öffnet
sich das anmutigste Panorama: im Mittelgrunde die Stadt, dahinter die be¬
waldeten Vorberge der Vogesen, rechts die rcichbebaute Ebne. Der Geisberg
flacht sich nach dieser Richtung in Wiesen und Feldern ab. Mitten aus ihnen
erhebt sich rechts von der Straße das Denkmal, das die Stelle bezeichnet, wo
die 5. schlesischen Jäger, von der Eisenbahn heraufdringend, das erste fran¬
zösische Geschütz im Feuer nahmen.

Als General Donay die Schlacht bei Weißenburg annahm, wußte er, daß
seine Division sozusagen in der Luft stand. Denn Mac Mahon hatte die
Hauptmasse seiner Armee mehrere Meilen weiter südwärts zusammengezogen
in einer an sich strategisch wie taktisch sehr geschickt gewählten Stellung, in
der er den nördlichsten Paß der Vogesen, die Straße und die Eisenbahn nach
Viehch, deckte und jedes deutsche Heer, das weiter südlich in den Elsaß vor¬
drang, in der rechten Flanke bedrohte. Gerade deshalb mußte und wollte ihn
der Kronprinz angreifen, allerdings nicht am 6., sondern erst am 7. Augnst-
Er hatte sein Hauptquartier nach Sultz unterm Wald verlegt, einem ansehn¬
lichen, stadtähnlichen Dorfe mit wohlhäbigen, großen Bauernhöfen und einer
stattlichen neuen Synagoge, denn das jüdische Element ist in der ganzen Gegend


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229238"/>
          <fw type="header" place="top"> Von Meißenburg bis Metz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_792" prev="#ID_791"> dunkeln feindlichen Kolonnen herankommen sah! Von dieser Seite ist das Schloß<lb/>
allerdings nicht angegriffen worden. Der Stoß kam vielmehr von der ebnen<lb/>
Nordseite her durch die vorliegenden Hopfenpflanzungen gegen das Gartenthor,<lb/>
das dort hinausführt, und gegen das Thor des ersten Hofes. Noch ist die<lb/>
Mauer des Thorhauses dort von Kugeln zerfetzt, und reichliche Kugelspuren trägt<lb/>
auch die Gartenfront des Herrenhauses, wo die Reste der verzweifelt fechtenden<lb/>
Verteidiger gegen zwei Uhr endlich die Waffen streckten, als auf der Höhe im<lb/>
Nordwesten des Schlosses Artillerie auffuhr. Dort, auf dem höchsten Punkte<lb/>
des Geisberges, erhebt sich jetzt inmitten einer parkartigen, von dichten Hecken<lb/>
umgebnen Anlage auf dem deutschen Massengrabe das Armeedenkmal, ein hohes<lb/>
Kreuz, von vier liegenden Löwen bewacht, mit der Inschrift am Sockel: &#x201E;Den<lb/>
gefallenen Kameraden die dritte Armee." Wenig hundert Schritt weiter süd-<lb/>
westwärts stehen die drei Pappeln, die jetzt das Denkmal der Königsgrenadiere<lb/>
bezeichnen; hier hielt am Morgen des 4. August hinter seiner Mitrailleusen-<lb/>
batterie der General Abel Douah, obwohl er von hier aus die deutschen An¬<lb/>
marschlinien nur unvollkommen übersehen konnte. Er hatte vor der Schlacht<lb/>
in Steinseltz hinter dem Geisberge sein Quartier gehabt; als er hier am<lb/>
Morgen des 4. August den Kanonendonner hörte, sagte er voll trüber Ahnungen<lb/>
zu seinem Wirte: &#x201E;Ich steige jetzt zu Pferde, aber ich komme nicht wieder."<lb/>
In der That kehrte er nicht zurück; oben bei den drei Pappeln, als er entsetzt<lb/>
das unaufhaltsame Andringen seiner Gegner sah, wurde er tödlich verwundet<lb/>
und verschied im Schafbuschhofe, dessen Dächer eine kurze Strecke weiter süd¬<lb/>
wärts an der Straße nach Hagenau sichtbar werden. Verfolgt mau diese<lb/>
Straße in der Richtung nach Weißenburg, wohin sie allmählich fällt, so öffnet<lb/>
sich das anmutigste Panorama: im Mittelgrunde die Stadt, dahinter die be¬<lb/>
waldeten Vorberge der Vogesen, rechts die rcichbebaute Ebne. Der Geisberg<lb/>
flacht sich nach dieser Richtung in Wiesen und Feldern ab. Mitten aus ihnen<lb/>
erhebt sich rechts von der Straße das Denkmal, das die Stelle bezeichnet, wo<lb/>
die 5. schlesischen Jäger, von der Eisenbahn heraufdringend, das erste fran¬<lb/>
zösische Geschütz im Feuer nahmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_793" next="#ID_794"> Als General Donay die Schlacht bei Weißenburg annahm, wußte er, daß<lb/>
seine Division sozusagen in der Luft stand. Denn Mac Mahon hatte die<lb/>
Hauptmasse seiner Armee mehrere Meilen weiter südwärts zusammengezogen<lb/>
in einer an sich strategisch wie taktisch sehr geschickt gewählten Stellung, in<lb/>
der er den nördlichsten Paß der Vogesen, die Straße und die Eisenbahn nach<lb/>
Viehch, deckte und jedes deutsche Heer, das weiter südlich in den Elsaß vor¬<lb/>
drang, in der rechten Flanke bedrohte. Gerade deshalb mußte und wollte ihn<lb/>
der Kronprinz angreifen, allerdings nicht am 6., sondern erst am 7. Augnst-<lb/>
Er hatte sein Hauptquartier nach Sultz unterm Wald verlegt, einem ansehn¬<lb/>
lichen, stadtähnlichen Dorfe mit wohlhäbigen, großen Bauernhöfen und einer<lb/>
stattlichen neuen Synagoge, denn das jüdische Element ist in der ganzen Gegend</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] Von Meißenburg bis Metz dunkeln feindlichen Kolonnen herankommen sah! Von dieser Seite ist das Schloß allerdings nicht angegriffen worden. Der Stoß kam vielmehr von der ebnen Nordseite her durch die vorliegenden Hopfenpflanzungen gegen das Gartenthor, das dort hinausführt, und gegen das Thor des ersten Hofes. Noch ist die Mauer des Thorhauses dort von Kugeln zerfetzt, und reichliche Kugelspuren trägt auch die Gartenfront des Herrenhauses, wo die Reste der verzweifelt fechtenden Verteidiger gegen zwei Uhr endlich die Waffen streckten, als auf der Höhe im Nordwesten des Schlosses Artillerie auffuhr. Dort, auf dem höchsten Punkte des Geisberges, erhebt sich jetzt inmitten einer parkartigen, von dichten Hecken umgebnen Anlage auf dem deutschen Massengrabe das Armeedenkmal, ein hohes Kreuz, von vier liegenden Löwen bewacht, mit der Inschrift am Sockel: „Den gefallenen Kameraden die dritte Armee." Wenig hundert Schritt weiter süd- westwärts stehen die drei Pappeln, die jetzt das Denkmal der Königsgrenadiere bezeichnen; hier hielt am Morgen des 4. August hinter seiner Mitrailleusen- batterie der General Abel Douah, obwohl er von hier aus die deutschen An¬ marschlinien nur unvollkommen übersehen konnte. Er hatte vor der Schlacht in Steinseltz hinter dem Geisberge sein Quartier gehabt; als er hier am Morgen des 4. August den Kanonendonner hörte, sagte er voll trüber Ahnungen zu seinem Wirte: „Ich steige jetzt zu Pferde, aber ich komme nicht wieder." In der That kehrte er nicht zurück; oben bei den drei Pappeln, als er entsetzt das unaufhaltsame Andringen seiner Gegner sah, wurde er tödlich verwundet und verschied im Schafbuschhofe, dessen Dächer eine kurze Strecke weiter süd¬ wärts an der Straße nach Hagenau sichtbar werden. Verfolgt mau diese Straße in der Richtung nach Weißenburg, wohin sie allmählich fällt, so öffnet sich das anmutigste Panorama: im Mittelgrunde die Stadt, dahinter die be¬ waldeten Vorberge der Vogesen, rechts die rcichbebaute Ebne. Der Geisberg flacht sich nach dieser Richtung in Wiesen und Feldern ab. Mitten aus ihnen erhebt sich rechts von der Straße das Denkmal, das die Stelle bezeichnet, wo die 5. schlesischen Jäger, von der Eisenbahn heraufdringend, das erste fran¬ zösische Geschütz im Feuer nahmen. Als General Donay die Schlacht bei Weißenburg annahm, wußte er, daß seine Division sozusagen in der Luft stand. Denn Mac Mahon hatte die Hauptmasse seiner Armee mehrere Meilen weiter südwärts zusammengezogen in einer an sich strategisch wie taktisch sehr geschickt gewählten Stellung, in der er den nördlichsten Paß der Vogesen, die Straße und die Eisenbahn nach Viehch, deckte und jedes deutsche Heer, das weiter südlich in den Elsaß vor¬ drang, in der rechten Flanke bedrohte. Gerade deshalb mußte und wollte ihn der Kronprinz angreifen, allerdings nicht am 6., sondern erst am 7. Augnst- Er hatte sein Hauptquartier nach Sultz unterm Wald verlegt, einem ansehn¬ lichen, stadtähnlichen Dorfe mit wohlhäbigen, großen Bauernhöfen und einer stattlichen neuen Synagoge, denn das jüdische Element ist in der ganzen Gegend

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/289>, abgerufen am 04.07.2024.