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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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von lveißenburg bis Metz

Gräbern zweigt rechts südwärts eine Fahrstraße ab, die am Ostabhange des
Geisberges hinführt. Dort, wo der Gutleuthof liegt -- in dessen Mauern
die ersten Granaten aus den deutschen Batterien vor dem Niederwald fuhren --,
steigt ein Fahrweg westwärts zum Geisberge hinauf, der teilweise den Charakter
eines Hohlwegs trügt. So fanden die anstürmenden Bataillone besonders der
Königsgrenadiere einige Deckung, als sie von dieser Straße her den Fahrweg
und über die Abhänge hinauf drangen. Erst wenn man die Höhe erreicht
hat, übersieht man ganz die Schwierigkeiten des Anlaufs auf diesem kahlen,
hier und da von Senkungen und Bodenrissen durchzognen Abhang und vermag
die unwiderstehlich vorwärts drängende Wucht des Stoßes zu ermessen, die
alle diese deutschen Angrisfsschlachten des Jahres 1870 kennzeichnet, und keine
mehr als diese erste.

Erst dort oben wird man auch des Schlosses Geisberg gewahr, des
stärksten Stützpunktes der Franzosen, denn es liegt etwas seitab südlich von
jenem Fahrwege in einer Senkung, die nach Osten steil abfällt. Bis zur großen
Revolution war das Gut ein stattlicher Edelsitz, ist aber damals zerschlagen worden
und jetzt im Besitz von vier Bauernfamilien, die auch das Schloß gemeinsam
bewohnen. Das Ganze bildet ein längliches, ummauertes Viereck mit den
Schmalseiten nach Osten und Westen. Im Westen legt sich ein langgestreckter
Wirtschaftshof vor; tritt man dnrch das innere Thor, so gelangt man in
einen zweiten, fast quadratischen Hof, der von allen Seiten von niedrigen
massiven Wohn- und Wirtschaftsgebäuden eingeschlossen ist. Das dem innern
Thore an der Ostseite gegenüber liegende Gebäude war das Herrenhaus. Nach
dem Hofe zu ist es nur einstöckig, aber die Ostfront öffnet sich nach dem Garten
M in zwei Stockwerken uuter einem hohen Dache mit einem vorspringenden
Mittelbau, von dem nach rechts und links Freitreppen in den Garten hinab-
führen, einer ansehnlichen Anlage im Stile des achtzehnten Jahrhunderts, nach
den drei Außenseiten mit einer Sandsteinbalustrade abgeschlossen, die an den
beiden Enden der Ostseite kleine turmartige Pavillons trägt. Dort, nach außen
hin, krönt sie eine Terrassenmauer, die mindestens ein Stockwerk hoch ist, da sich
dort der Abhang rasch senkt. Das Ganze trügt jetzt alle Spuren der Ver¬
wahrlosung und des Verfalls, namentlich der Garten. Denn zwar sind hier
die alten Gänge erhalten und in der Mitte ein großes, rundes Wasserbecken,
aber dieses ist längst ausgetrocknet, und an Stelle der Blumenrabatten bedecken
Weinreben und Gemüsebeete den Boden. Nur die Aussicht ist geblieben, eine
Aussicht, wie sie das achtzehnte Jahrhundert liebte, der Blick in die fruchtbare,
reich bebaute Ebne hinaus und auf die dunkeln Massen des Niederwaldes, aus
dem heute die Signalübnngen der Weißenburger Garnison herüberklangen; ganz
in der blauen Ferne zeigen sich die langgestreckten Bergzüge des nördlichen
Schwarzwaldes. Ein Bild tiefsten Friedens und blühender Kultur! Wie anders
am 4. August 1870, wo von dieser Gartenterrasse aus das Auge überall die


von lveißenburg bis Metz

Gräbern zweigt rechts südwärts eine Fahrstraße ab, die am Ostabhange des
Geisberges hinführt. Dort, wo der Gutleuthof liegt — in dessen Mauern
die ersten Granaten aus den deutschen Batterien vor dem Niederwald fuhren —,
steigt ein Fahrweg westwärts zum Geisberge hinauf, der teilweise den Charakter
eines Hohlwegs trügt. So fanden die anstürmenden Bataillone besonders der
Königsgrenadiere einige Deckung, als sie von dieser Straße her den Fahrweg
und über die Abhänge hinauf drangen. Erst wenn man die Höhe erreicht
hat, übersieht man ganz die Schwierigkeiten des Anlaufs auf diesem kahlen,
hier und da von Senkungen und Bodenrissen durchzognen Abhang und vermag
die unwiderstehlich vorwärts drängende Wucht des Stoßes zu ermessen, die
alle diese deutschen Angrisfsschlachten des Jahres 1870 kennzeichnet, und keine
mehr als diese erste.

Erst dort oben wird man auch des Schlosses Geisberg gewahr, des
stärksten Stützpunktes der Franzosen, denn es liegt etwas seitab südlich von
jenem Fahrwege in einer Senkung, die nach Osten steil abfällt. Bis zur großen
Revolution war das Gut ein stattlicher Edelsitz, ist aber damals zerschlagen worden
und jetzt im Besitz von vier Bauernfamilien, die auch das Schloß gemeinsam
bewohnen. Das Ganze bildet ein längliches, ummauertes Viereck mit den
Schmalseiten nach Osten und Westen. Im Westen legt sich ein langgestreckter
Wirtschaftshof vor; tritt man dnrch das innere Thor, so gelangt man in
einen zweiten, fast quadratischen Hof, der von allen Seiten von niedrigen
massiven Wohn- und Wirtschaftsgebäuden eingeschlossen ist. Das dem innern
Thore an der Ostseite gegenüber liegende Gebäude war das Herrenhaus. Nach
dem Hofe zu ist es nur einstöckig, aber die Ostfront öffnet sich nach dem Garten
M in zwei Stockwerken uuter einem hohen Dache mit einem vorspringenden
Mittelbau, von dem nach rechts und links Freitreppen in den Garten hinab-
führen, einer ansehnlichen Anlage im Stile des achtzehnten Jahrhunderts, nach
den drei Außenseiten mit einer Sandsteinbalustrade abgeschlossen, die an den
beiden Enden der Ostseite kleine turmartige Pavillons trägt. Dort, nach außen
hin, krönt sie eine Terrassenmauer, die mindestens ein Stockwerk hoch ist, da sich
dort der Abhang rasch senkt. Das Ganze trügt jetzt alle Spuren der Ver¬
wahrlosung und des Verfalls, namentlich der Garten. Denn zwar sind hier
die alten Gänge erhalten und in der Mitte ein großes, rundes Wasserbecken,
aber dieses ist längst ausgetrocknet, und an Stelle der Blumenrabatten bedecken
Weinreben und Gemüsebeete den Boden. Nur die Aussicht ist geblieben, eine
Aussicht, wie sie das achtzehnte Jahrhundert liebte, der Blick in die fruchtbare,
reich bebaute Ebne hinaus und auf die dunkeln Massen des Niederwaldes, aus
dem heute die Signalübnngen der Weißenburger Garnison herüberklangen; ganz
in der blauen Ferne zeigen sich die langgestreckten Bergzüge des nördlichen
Schwarzwaldes. Ein Bild tiefsten Friedens und blühender Kultur! Wie anders
am 4. August 1870, wo von dieser Gartenterrasse aus das Auge überall die


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[0288] von lveißenburg bis Metz Gräbern zweigt rechts südwärts eine Fahrstraße ab, die am Ostabhange des Geisberges hinführt. Dort, wo der Gutleuthof liegt — in dessen Mauern die ersten Granaten aus den deutschen Batterien vor dem Niederwald fuhren —, steigt ein Fahrweg westwärts zum Geisberge hinauf, der teilweise den Charakter eines Hohlwegs trügt. So fanden die anstürmenden Bataillone besonders der Königsgrenadiere einige Deckung, als sie von dieser Straße her den Fahrweg und über die Abhänge hinauf drangen. Erst wenn man die Höhe erreicht hat, übersieht man ganz die Schwierigkeiten des Anlaufs auf diesem kahlen, hier und da von Senkungen und Bodenrissen durchzognen Abhang und vermag die unwiderstehlich vorwärts drängende Wucht des Stoßes zu ermessen, die alle diese deutschen Angrisfsschlachten des Jahres 1870 kennzeichnet, und keine mehr als diese erste. Erst dort oben wird man auch des Schlosses Geisberg gewahr, des stärksten Stützpunktes der Franzosen, denn es liegt etwas seitab südlich von jenem Fahrwege in einer Senkung, die nach Osten steil abfällt. Bis zur großen Revolution war das Gut ein stattlicher Edelsitz, ist aber damals zerschlagen worden und jetzt im Besitz von vier Bauernfamilien, die auch das Schloß gemeinsam bewohnen. Das Ganze bildet ein längliches, ummauertes Viereck mit den Schmalseiten nach Osten und Westen. Im Westen legt sich ein langgestreckter Wirtschaftshof vor; tritt man dnrch das innere Thor, so gelangt man in einen zweiten, fast quadratischen Hof, der von allen Seiten von niedrigen massiven Wohn- und Wirtschaftsgebäuden eingeschlossen ist. Das dem innern Thore an der Ostseite gegenüber liegende Gebäude war das Herrenhaus. Nach dem Hofe zu ist es nur einstöckig, aber die Ostfront öffnet sich nach dem Garten M in zwei Stockwerken uuter einem hohen Dache mit einem vorspringenden Mittelbau, von dem nach rechts und links Freitreppen in den Garten hinab- führen, einer ansehnlichen Anlage im Stile des achtzehnten Jahrhunderts, nach den drei Außenseiten mit einer Sandsteinbalustrade abgeschlossen, die an den beiden Enden der Ostseite kleine turmartige Pavillons trägt. Dort, nach außen hin, krönt sie eine Terrassenmauer, die mindestens ein Stockwerk hoch ist, da sich dort der Abhang rasch senkt. Das Ganze trügt jetzt alle Spuren der Ver¬ wahrlosung und des Verfalls, namentlich der Garten. Denn zwar sind hier die alten Gänge erhalten und in der Mitte ein großes, rundes Wasserbecken, aber dieses ist längst ausgetrocknet, und an Stelle der Blumenrabatten bedecken Weinreben und Gemüsebeete den Boden. Nur die Aussicht ist geblieben, eine Aussicht, wie sie das achtzehnte Jahrhundert liebte, der Blick in die fruchtbare, reich bebaute Ebne hinaus und auf die dunkeln Massen des Niederwaldes, aus dem heute die Signalübnngen der Weißenburger Garnison herüberklangen; ganz in der blauen Ferne zeigen sich die langgestreckten Bergzüge des nördlichen Schwarzwaldes. Ein Bild tiefsten Friedens und blühender Kultur! Wie anders am 4. August 1870, wo von dieser Gartenterrasse aus das Auge überall die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/288>, abgerufen am 12.12.2024.