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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Sozialpolitik der nächsten Zeit

gesetzt und systematisch daran gearbeitet hat, ihn durch die bekannte Scheiter¬
haufenmethode zu einem unheilbaren Bruch mit der bisherigen liberalen Auf¬
fassung der Arbeiterfrage zu drängen. Und wer vermöchte zu leugnen, daß
man im sozialistischen Lager alles gethan hat, diesen Bemühungen günstigen
Wind zu schaffen? Es ist nicht zu bezweifeln und hat scheinbar sehr viel
Berechtigung, daß sich die kurzsichtigen Vertreter der plumpen, einseitigen Re-
pression im Kampf gegen die sozialdemokratische Entartung der Arbeiter schon
des Erfolgs sicher glauben. Der Weizen des agrarisch-großindustriellen, des
ostelbisch-niederrheinischen Bundes scheint herrlich zu reifen. Und dennoch
kann man auch heute darauf hinweisen, daß in dem thatsächlichen Verlauf
unsrer Sozialpolitik seit 1890 bei gewissenhafter Prüfung kein Anhalt dafür
zu finden ist, daß der Kaiser sich selbst untreu und der Reaktion dienstbar ge¬
worden sei. Die Thorheit, das heute zu glauben, wäre ebenso groß, wie es
die war, daß man auch nur einen Augenblick annahm, der Kaiser habe sich
durch die Februarerlasse anheischig gemacht, der Schmollerschen oder Bren-
tanoschen Schule oder den Herren von Berlepsch, von Rottenburg und Ge¬
nossen in allen Einseitigkeiten und Übertreibungen Gefolgschaft zu leisten.
Sollten etwa die sonst so klugen Geschäftsleute vom Zentralverband deutscher
Industrieller glauben, daß sie des Kaisers Oeynhauseuer Tischrede schon mit
Nutzen für sich festgenagelt hätten, so hätten sie die Rechnung ohne den Wirt
gemacht. In keinem Sinne hat der Kaiser mit dieser Rede das gute Recht
der niederrheinisch-westfälischen Arbeiter, das er vor acht Jahren energisch
gegenüber der Unternehmeranmaßung betonte, jetzt dieser Anmaßung preisge¬
geben. Es ist ja klar, daß solche Reden von der Vrunnenvergiftung mit be-
sonderm Vergnügen und Erfolg ausgeschlachtet werden, und der Kaiser sollte
das weit mehr berücksichtigen. Aber auch die Oeynhauseuer Rede mit ihrer
scharf zugespitzten Vertretung des guten Rechts derer, die arbeiten wollen bei
frivol angezettelten, ungerechten Aufständen, der modernen Störer, der Streik¬
brecher, sollte billig keinen Verständigen irre machen an dem Charakter und
dem Rechtsgefühl unsers Kaisers, dem Novdsr as droniis, wie Bismarck sagte,
auf deu wir heute nun einmal allein unsre Hoffnung setzen können.

Was den Wortlaut der Rede betrifft, so giebt er niemand ein Recht,
den in Aussicht gestellten Gesetzentwurf zur Verschärfung der Strafen des
in Z 153 der Reichsgewerbeordnung wegen des etwa festzusetzenden Straf¬
maßes zu kritisiren. Dazu muß man den Wortlaut des Entwurfs selbst ab¬
warten. Der genannte Paragraph bedroht bekanntlich den, der andre durch die
Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzungen
oder durch Verrufserklärungen bestimmt oder zu bestimmen versucht, an Ver¬
abredungen zu Arbeitseinstellungen und dergleichen teilzunehmen oder ihnen
Folge zu geben, oder andre durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern ver¬
sucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, mit einer Gefängnisstrafe


Die Sozialpolitik der nächsten Zeit

gesetzt und systematisch daran gearbeitet hat, ihn durch die bekannte Scheiter¬
haufenmethode zu einem unheilbaren Bruch mit der bisherigen liberalen Auf¬
fassung der Arbeiterfrage zu drängen. Und wer vermöchte zu leugnen, daß
man im sozialistischen Lager alles gethan hat, diesen Bemühungen günstigen
Wind zu schaffen? Es ist nicht zu bezweifeln und hat scheinbar sehr viel
Berechtigung, daß sich die kurzsichtigen Vertreter der plumpen, einseitigen Re-
pression im Kampf gegen die sozialdemokratische Entartung der Arbeiter schon
des Erfolgs sicher glauben. Der Weizen des agrarisch-großindustriellen, des
ostelbisch-niederrheinischen Bundes scheint herrlich zu reifen. Und dennoch
kann man auch heute darauf hinweisen, daß in dem thatsächlichen Verlauf
unsrer Sozialpolitik seit 1890 bei gewissenhafter Prüfung kein Anhalt dafür
zu finden ist, daß der Kaiser sich selbst untreu und der Reaktion dienstbar ge¬
worden sei. Die Thorheit, das heute zu glauben, wäre ebenso groß, wie es
die war, daß man auch nur einen Augenblick annahm, der Kaiser habe sich
durch die Februarerlasse anheischig gemacht, der Schmollerschen oder Bren-
tanoschen Schule oder den Herren von Berlepsch, von Rottenburg und Ge¬
nossen in allen Einseitigkeiten und Übertreibungen Gefolgschaft zu leisten.
Sollten etwa die sonst so klugen Geschäftsleute vom Zentralverband deutscher
Industrieller glauben, daß sie des Kaisers Oeynhauseuer Tischrede schon mit
Nutzen für sich festgenagelt hätten, so hätten sie die Rechnung ohne den Wirt
gemacht. In keinem Sinne hat der Kaiser mit dieser Rede das gute Recht
der niederrheinisch-westfälischen Arbeiter, das er vor acht Jahren energisch
gegenüber der Unternehmeranmaßung betonte, jetzt dieser Anmaßung preisge¬
geben. Es ist ja klar, daß solche Reden von der Vrunnenvergiftung mit be-
sonderm Vergnügen und Erfolg ausgeschlachtet werden, und der Kaiser sollte
das weit mehr berücksichtigen. Aber auch die Oeynhauseuer Rede mit ihrer
scharf zugespitzten Vertretung des guten Rechts derer, die arbeiten wollen bei
frivol angezettelten, ungerechten Aufständen, der modernen Störer, der Streik¬
brecher, sollte billig keinen Verständigen irre machen an dem Charakter und
dem Rechtsgefühl unsers Kaisers, dem Novdsr as droniis, wie Bismarck sagte,
auf deu wir heute nun einmal allein unsre Hoffnung setzen können.

Was den Wortlaut der Rede betrifft, so giebt er niemand ein Recht,
den in Aussicht gestellten Gesetzentwurf zur Verschärfung der Strafen des
in Z 153 der Reichsgewerbeordnung wegen des etwa festzusetzenden Straf¬
maßes zu kritisiren. Dazu muß man den Wortlaut des Entwurfs selbst ab¬
warten. Der genannte Paragraph bedroht bekanntlich den, der andre durch die
Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzungen
oder durch Verrufserklärungen bestimmt oder zu bestimmen versucht, an Ver¬
abredungen zu Arbeitseinstellungen und dergleichen teilzunehmen oder ihnen
Folge zu geben, oder andre durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern ver¬
sucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, mit einer Gefängnisstrafe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/26>, abgerufen am 04.07.2024.