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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

werde ich und wird mit mir mein getreues Volk die Opfer bringen, die mit
dem Eintritt in dieselbe naturgemäß verbunden sind"). Diesen Eintritt frei¬
lich, den Mathy in einer großen Denkschrift vom 18. November begründete,
lehnte Graf Bismarck damals ans guten Gründen noch ab, und so blieb den
badischen Staatsmännern nur übrig, ihn vor allem durch die Einführung der
preußisch-norddeutschen Militareinrichtungen vorzubereiten. Dagegen aber erhob
sich im Lande und im Landtage ein fast einmütiger Widerspruch. Energisch
trat Jolly diesen fadenscheinigen Gründen entgegen. "Soweit ich die Sache
übersehe, erklärte er in der Ersten Kammer, sage ich, das deutsche Volk ist jetzt
in einer beneidenswerten Lage; es ist im Vollbesitze seiner Kraft, es regt
mächtig die Glieder seines Riesenleibes und ist durchströmt von der frischesten
geistigen Gesundheit. Was sollen da die Klagelieder und die thränenfeuchten
Blicke gen Himmel über die Anstrengungen, die einem gesunden Volke so
natürlich sind?" Und in der Zweiten Kammer schloß er bei der entscheidenden
Verhandlung am 21. Januar 1868 seine Rede mit den schönen Worten:
"Wenn es Deutschland vergönnt ist, um den Preis des vorjährigen Krieges
mit allem seinem Weh, um den Preis, daß wir auf einige Zeit sehr große,
noch viel größere als die jetzt drohenden Militärlasten auf uns zu nehmen
haben, den deutschen Nationalstaat zu gründen und zu vollenden, dann dürfen
wir uns glücklich preisen." Er erreichte, was er wollte, das Kontingentsgesetz
wurde gegen acht Stimmen, allerdings nur auf zwei Jahre statt der bean¬
tragten drei, angenommen und dann auch von der Ersten Kammer genehmigt.

Damit verband sich nun die Erfüllung einiger liberaler Lieblingswünsche
(eine freisinnige Umgestaltung des Preßgesetzes, des Vereins- und Versamm¬
lungsrechts, und ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz), vor allem aber eine
antiklerikale Gesetzgebung im Sinne der Liberalen, um nach Jollys Auffassung
die Unterordnung der Kirche und Schule unter den Staat zu vollenden,
nachdem das Kirchengesetz vom 9. Oktober 1860 diesen Grundsatz unter der
Wahrung der innern Freiheit der Kirchen aufgestellt hatte. Seit der Er¬
richtung des Oberschulrats (unter Professor Knies) 1862 blieb der Kirche nur
die Überwachung des Religionsunterrichts, und das Gesetz von 1864 hatte
bestimmt, daß der Pfarrer in den Ortsschulrat eintrete, was nach vielem
Widerspruche wirklich durchgesetzt wurde. Das neue Volksschulgesetz führte
dann auf der von Jolly nachdrücklich vertretnen konfessionellen Grundlage die
Grundgedanken von 1860 vollends durch, und die Verordnung vom 6. Sep¬
tember 1867 schrieb als Bedingung für die Zulassung zu einem Kirchenamt
eine Staatsprüfung über weltliche Wissenschaft vor. Jolly hoffte durch
dies "Kulturexamen" eine Bürgschaft dafür zu gewinnen, daß die künftigen
Geistlichen der nationalen Geistesbildung nicht entfremdet würden. Da sich
die römische Kirche diesen Bestimmungen nicht fügen wollte, so blieben
viele Pfarren lange ganz unbesetzt. Jolly ließ sich nicht irre machen; er


Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

werde ich und wird mit mir mein getreues Volk die Opfer bringen, die mit
dem Eintritt in dieselbe naturgemäß verbunden sind"). Diesen Eintritt frei¬
lich, den Mathy in einer großen Denkschrift vom 18. November begründete,
lehnte Graf Bismarck damals ans guten Gründen noch ab, und so blieb den
badischen Staatsmännern nur übrig, ihn vor allem durch die Einführung der
preußisch-norddeutschen Militareinrichtungen vorzubereiten. Dagegen aber erhob
sich im Lande und im Landtage ein fast einmütiger Widerspruch. Energisch
trat Jolly diesen fadenscheinigen Gründen entgegen. „Soweit ich die Sache
übersehe, erklärte er in der Ersten Kammer, sage ich, das deutsche Volk ist jetzt
in einer beneidenswerten Lage; es ist im Vollbesitze seiner Kraft, es regt
mächtig die Glieder seines Riesenleibes und ist durchströmt von der frischesten
geistigen Gesundheit. Was sollen da die Klagelieder und die thränenfeuchten
Blicke gen Himmel über die Anstrengungen, die einem gesunden Volke so
natürlich sind?" Und in der Zweiten Kammer schloß er bei der entscheidenden
Verhandlung am 21. Januar 1868 seine Rede mit den schönen Worten:
„Wenn es Deutschland vergönnt ist, um den Preis des vorjährigen Krieges
mit allem seinem Weh, um den Preis, daß wir auf einige Zeit sehr große,
noch viel größere als die jetzt drohenden Militärlasten auf uns zu nehmen
haben, den deutschen Nationalstaat zu gründen und zu vollenden, dann dürfen
wir uns glücklich preisen." Er erreichte, was er wollte, das Kontingentsgesetz
wurde gegen acht Stimmen, allerdings nur auf zwei Jahre statt der bean¬
tragten drei, angenommen und dann auch von der Ersten Kammer genehmigt.

Damit verband sich nun die Erfüllung einiger liberaler Lieblingswünsche
(eine freisinnige Umgestaltung des Preßgesetzes, des Vereins- und Versamm¬
lungsrechts, und ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz), vor allem aber eine
antiklerikale Gesetzgebung im Sinne der Liberalen, um nach Jollys Auffassung
die Unterordnung der Kirche und Schule unter den Staat zu vollenden,
nachdem das Kirchengesetz vom 9. Oktober 1860 diesen Grundsatz unter der
Wahrung der innern Freiheit der Kirchen aufgestellt hatte. Seit der Er¬
richtung des Oberschulrats (unter Professor Knies) 1862 blieb der Kirche nur
die Überwachung des Religionsunterrichts, und das Gesetz von 1864 hatte
bestimmt, daß der Pfarrer in den Ortsschulrat eintrete, was nach vielem
Widerspruche wirklich durchgesetzt wurde. Das neue Volksschulgesetz führte
dann auf der von Jolly nachdrücklich vertretnen konfessionellen Grundlage die
Grundgedanken von 1860 vollends durch, und die Verordnung vom 6. Sep¬
tember 1867 schrieb als Bedingung für die Zulassung zu einem Kirchenamt
eine Staatsprüfung über weltliche Wissenschaft vor. Jolly hoffte durch
dies „Kulturexamen" eine Bürgschaft dafür zu gewinnen, daß die künftigen
Geistlichen der nationalen Geistesbildung nicht entfremdet würden. Da sich
die römische Kirche diesen Bestimmungen nicht fügen wollte, so blieben
viele Pfarren lange ganz unbesetzt. Jolly ließ sich nicht irre machen; er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/22>, abgerufen am 04.07.2024.