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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Ein mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

Zum Glück für Baden und Deutschland überhob der unerwartet glänzende
Sieg Preußens die deutschen Mittelstaaten für die Zukunft der Notwendigkeit,
große Politik zu treiben, wozu ihnen alle Voraussetzungen fehlten, und gab den
nationalen Bestrebungen zugleich eine feste Grundlage und ein festes Ziel. Mit
fieberhafter Spannung hatten die Karlsruher Freunde, ein kleines Häufchen in¬
mitten einer feindseligen Umgebung, den Gang des gewaltigen Kampfes ver¬
folgt, mit jubelnder Freude begrüßten sie sein Ergebnis. Auch im Lande und
in der Regierung war der Umschwung vollständig. Am 27. Juli entließ der
Großherzog das Ministerium Edelsheim, ernannte Mathy zum Präsidenten des
Staatsministeriums und Finanzminister, Jolly zum Präsidenten des Ministe¬
riums des Innern, Rudolf von Freydorf zum Minister des Auswärtigen.
Der nationalgesinnte Liberalismus war ans Ruder gelangt.

Die neuen Aufgaben lagen klar vor. Es galt, den Anschluß Badens an
den Norddeutschen Bund möglichst zu fördern, die Errichtung eines süddeutschen
Bundes, die jede Vereinigung des Südens mit dem Norden unmöglich ge¬
macht haben würde, zu vereiteln, im Innern aber eine scharf antiklerikale
Politik zu beginnen. Für die Lösung dieser Aufgaben war Jolly geeignet
wie wenige, denn er stand nach seinem ganzen Wesen und seinem Bildungs¬
gange den Norddeutschen innerlich nahe, und seine scharfe Juristenlogik machte
ihn für den Kampf mit einer so konsequenten Macht wie die Kurie besonders
geeignet. Andrerseits verschloß ihm allerdings der Mangel an wirklich reli¬
giösem Verständnis den Blick für manche Dinge, denn er war als reiner
Rationalist von dem endlichen Siege der "Vernunft" überzeugt, obwohl er die
Bedeutung der Kirche für das Volk zugab, und seine ganz nüchterne, ver¬
standesmäßige Art war seinen badischen Landsleuten wenig sympathisch. Aber
getragen von dem Vertrauen seines Großherzogs und seiner eignen klaren
Energie hat er das Größte für Baden geleistet, weil er das Notwendige und
Vernünftige wollte. Nachdem der Frieden vom 17. August 1866 und das
zugleich geschlossene Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen die äußere Stellung
Badens zunächst gesichert hatte, vertrat Jolly die neue Richtung der badischen
Politik mit vollem Nachdruck im Landtage. Den Plänen Hohenlohes zur Be¬
gründung des Südbundes gegenüber, wo die Ultramontanen und Demokraten
das Übergewicht gehabt haben würden, und der mit seinen acht Millionen doch
für eine wirkliche Selbständigkeit viel zu schwach gewesen wäre, verhielt er sich
durchaus ablehnend; dagegen begrüßte er freudig den Vertrag vom 8. Juli
1867 über die Erneuerung des Zollvereins, da sie die Verbindung mit dem
Norden stärkte. Auf den Protest des französischen Gesandten und die An¬
näherung zwischen Österreich und Frankreich, wie sie aus der Kaiserzusammen-
kunft in Salzburg im August 1867 deutlich wurde, gab die Thronrede des
^roßherzogs am 5. September eine sehr deutliche Antwort ("Mein Entschluß
1 ehe fest, dieser nationalen Einigung unausgesetzt nachzustreben, und gern


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Ein mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

Zum Glück für Baden und Deutschland überhob der unerwartet glänzende
Sieg Preußens die deutschen Mittelstaaten für die Zukunft der Notwendigkeit,
große Politik zu treiben, wozu ihnen alle Voraussetzungen fehlten, und gab den
nationalen Bestrebungen zugleich eine feste Grundlage und ein festes Ziel. Mit
fieberhafter Spannung hatten die Karlsruher Freunde, ein kleines Häufchen in¬
mitten einer feindseligen Umgebung, den Gang des gewaltigen Kampfes ver¬
folgt, mit jubelnder Freude begrüßten sie sein Ergebnis. Auch im Lande und
in der Regierung war der Umschwung vollständig. Am 27. Juli entließ der
Großherzog das Ministerium Edelsheim, ernannte Mathy zum Präsidenten des
Staatsministeriums und Finanzminister, Jolly zum Präsidenten des Ministe¬
riums des Innern, Rudolf von Freydorf zum Minister des Auswärtigen.
Der nationalgesinnte Liberalismus war ans Ruder gelangt.

Die neuen Aufgaben lagen klar vor. Es galt, den Anschluß Badens an
den Norddeutschen Bund möglichst zu fördern, die Errichtung eines süddeutschen
Bundes, die jede Vereinigung des Südens mit dem Norden unmöglich ge¬
macht haben würde, zu vereiteln, im Innern aber eine scharf antiklerikale
Politik zu beginnen. Für die Lösung dieser Aufgaben war Jolly geeignet
wie wenige, denn er stand nach seinem ganzen Wesen und seinem Bildungs¬
gange den Norddeutschen innerlich nahe, und seine scharfe Juristenlogik machte
ihn für den Kampf mit einer so konsequenten Macht wie die Kurie besonders
geeignet. Andrerseits verschloß ihm allerdings der Mangel an wirklich reli¬
giösem Verständnis den Blick für manche Dinge, denn er war als reiner
Rationalist von dem endlichen Siege der „Vernunft" überzeugt, obwohl er die
Bedeutung der Kirche für das Volk zugab, und seine ganz nüchterne, ver¬
standesmäßige Art war seinen badischen Landsleuten wenig sympathisch. Aber
getragen von dem Vertrauen seines Großherzogs und seiner eignen klaren
Energie hat er das Größte für Baden geleistet, weil er das Notwendige und
Vernünftige wollte. Nachdem der Frieden vom 17. August 1866 und das
zugleich geschlossene Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen die äußere Stellung
Badens zunächst gesichert hatte, vertrat Jolly die neue Richtung der badischen
Politik mit vollem Nachdruck im Landtage. Den Plänen Hohenlohes zur Be¬
gründung des Südbundes gegenüber, wo die Ultramontanen und Demokraten
das Übergewicht gehabt haben würden, und der mit seinen acht Millionen doch
für eine wirkliche Selbständigkeit viel zu schwach gewesen wäre, verhielt er sich
durchaus ablehnend; dagegen begrüßte er freudig den Vertrag vom 8. Juli
1867 über die Erneuerung des Zollvereins, da sie die Verbindung mit dem
Norden stärkte. Auf den Protest des französischen Gesandten und die An¬
näherung zwischen Österreich und Frankreich, wie sie aus der Kaiserzusammen-
kunft in Salzburg im August 1867 deutlich wurde, gab die Thronrede des
^roßherzogs am 5. September eine sehr deutliche Antwort („Mein Entschluß
1 ehe fest, dieser nationalen Einigung unausgesetzt nachzustreben, und gern


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[0021] Ein mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung Zum Glück für Baden und Deutschland überhob der unerwartet glänzende Sieg Preußens die deutschen Mittelstaaten für die Zukunft der Notwendigkeit, große Politik zu treiben, wozu ihnen alle Voraussetzungen fehlten, und gab den nationalen Bestrebungen zugleich eine feste Grundlage und ein festes Ziel. Mit fieberhafter Spannung hatten die Karlsruher Freunde, ein kleines Häufchen in¬ mitten einer feindseligen Umgebung, den Gang des gewaltigen Kampfes ver¬ folgt, mit jubelnder Freude begrüßten sie sein Ergebnis. Auch im Lande und in der Regierung war der Umschwung vollständig. Am 27. Juli entließ der Großherzog das Ministerium Edelsheim, ernannte Mathy zum Präsidenten des Staatsministeriums und Finanzminister, Jolly zum Präsidenten des Ministe¬ riums des Innern, Rudolf von Freydorf zum Minister des Auswärtigen. Der nationalgesinnte Liberalismus war ans Ruder gelangt. Die neuen Aufgaben lagen klar vor. Es galt, den Anschluß Badens an den Norddeutschen Bund möglichst zu fördern, die Errichtung eines süddeutschen Bundes, die jede Vereinigung des Südens mit dem Norden unmöglich ge¬ macht haben würde, zu vereiteln, im Innern aber eine scharf antiklerikale Politik zu beginnen. Für die Lösung dieser Aufgaben war Jolly geeignet wie wenige, denn er stand nach seinem ganzen Wesen und seinem Bildungs¬ gange den Norddeutschen innerlich nahe, und seine scharfe Juristenlogik machte ihn für den Kampf mit einer so konsequenten Macht wie die Kurie besonders geeignet. Andrerseits verschloß ihm allerdings der Mangel an wirklich reli¬ giösem Verständnis den Blick für manche Dinge, denn er war als reiner Rationalist von dem endlichen Siege der „Vernunft" überzeugt, obwohl er die Bedeutung der Kirche für das Volk zugab, und seine ganz nüchterne, ver¬ standesmäßige Art war seinen badischen Landsleuten wenig sympathisch. Aber getragen von dem Vertrauen seines Großherzogs und seiner eignen klaren Energie hat er das Größte für Baden geleistet, weil er das Notwendige und Vernünftige wollte. Nachdem der Frieden vom 17. August 1866 und das zugleich geschlossene Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen die äußere Stellung Badens zunächst gesichert hatte, vertrat Jolly die neue Richtung der badischen Politik mit vollem Nachdruck im Landtage. Den Plänen Hohenlohes zur Be¬ gründung des Südbundes gegenüber, wo die Ultramontanen und Demokraten das Übergewicht gehabt haben würden, und der mit seinen acht Millionen doch für eine wirkliche Selbständigkeit viel zu schwach gewesen wäre, verhielt er sich durchaus ablehnend; dagegen begrüßte er freudig den Vertrag vom 8. Juli 1867 über die Erneuerung des Zollvereins, da sie die Verbindung mit dem Norden stärkte. Auf den Protest des französischen Gesandten und die An¬ näherung zwischen Österreich und Frankreich, wie sie aus der Kaiserzusammen- kunft in Salzburg im August 1867 deutlich wurde, gab die Thronrede des ^roßherzogs am 5. September eine sehr deutliche Antwort („Mein Entschluß 1 ehe fest, dieser nationalen Einigung unausgesetzt nachzustreben, und gern Grenzboten IV 1U>8 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/21>, abgerufen am 12.12.2024.