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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Airchenpolitik und Zentrum

nahmen gehört gewiß nicht der Krefelder Katholikentag, für den es uns un¬
möglich ist, eine andre Bezeichnung zu finden, als daß er ein sehr geschickt
arrangirter Hergang war von recht trivialen Inhalt.

Ursprünglich sind die Katholikentage ohne Zweifel einem kirchlich-religiösen
Bedürfnis entsprungen und hatten damals, anch bei Andersgläubigen, Anspruch
auf Achtung und auf eine gewisse Anerkennung. Mit der Zeit jedoch mengten sich
rein politische Tendenzen ein, und damit wuchs zugleich die politische Mache.
Jetzt sind die ursprünglichen Ziele von dem weltlichen Beisatze fast überwuchert,
und der Katholikentag ist im letzten Jahrzehnte kaum noch etwas andres als
eine große Symphonie zur Verherrlichung des Zentrums gewesen. Aber bisher
blieb man doch nach außen einig; der Katholikentag rekrutirte sich aus der ganzen
Wählerschaft des Zentrums, und die Resolutionen waren so gefaßt, daß keine
kräftige Sondertendenz in der Wühlerschaft vor den Kopf gestoßen wurde.
Mit dem Krefelder Katholikentage hat sich das geändert, denn dieser kehrte
unter anderm seine Spitze sehr deutlich gegen das, was man als "agrarische"
Tendenz zu diskreditiren sucht, und er that das, obgleich diese Tendenz in der
großenteils ländlichen Wählerschaft des Zentrums sehr viele Interessenten und
auch "katholisch" organisirte Anhänger hat. Die betreffenden Organisationen,
wir haben sie schon genannt, sind außerhalb Bayerns bei den Reichstags¬
wahlen unterlegen, der Wahlsieg des Zentrums war größer als je, aber die
Bauernvereine sind nicht tot und haben sogar den Zug der Zeit für sich. Es
war daher wohl nicht klug, die Niederlage der Gegner "katholisch" abzu¬
stempeln. Die "Generalversammlung der Katholiken Deutschlands" ist ja in
keiner Weise eine offizielle Einrichtung der katholischen Kirche und kann es
nicht werden, sie hat sich jedoch in Verbindung mit dem Zentrum stark genug
erwiesen, die Katholiken, die nicht mitthun mochten, als "Auchkathvliken" in
eine Art von Verruf zu bringen und fast mundtot zu machen. Es scheint das
jetzt auch auf den Teil der Katholiken ausgedehnt werden zu sollen, der in
der Agrarfrage andre Wege verfolgt als die Parteileitung. Die Entwicklung
ist ja noch im ersten Beginn und kann noch umgelenkt werden, aber einen
Vorgeschmack der möglichen Zukunft haben diese Elemente erhalten, die doch
bisher alles gethan haben, um auf die Echtheit ihrer "Katholizität" pochen
zu dürfen. Es ist ihnen in Krefeld zu Gemüte geführt worden, was es für
Folgen hat, wenn man eine Herrschaft begründen hilft, die sich das Recht
beilegt, eine bestimmte Parteinahme in weltlichen Händeln als "katholisch" zu
Prämiiren, mit religiöser Weihe zu umgeben. Die Kehrseite davon ist das
anÄtlisiug, sit gegen die Andersdenkenden, und die agrarisch Gesinnten können
bei den "Auchkatholiken" nachfragen, was dieses g.ug.tlismc>. sit bedeutet, mag
es auch auf Parlament, Presse und täglichen Verkehr beschränkt bleiben. Wir
möchten indes glauben, daß die Parteileitung des Zentrums in der Agrarfrage
durch das, was sie in Krefeld inszenirte, noch nicht ihr letztes Wort gesprochen
hat. Bei einer Heerschau liegen ja taktische Versuche und Disziplinprvben nahe.


Airchenpolitik und Zentrum

nahmen gehört gewiß nicht der Krefelder Katholikentag, für den es uns un¬
möglich ist, eine andre Bezeichnung zu finden, als daß er ein sehr geschickt
arrangirter Hergang war von recht trivialen Inhalt.

Ursprünglich sind die Katholikentage ohne Zweifel einem kirchlich-religiösen
Bedürfnis entsprungen und hatten damals, anch bei Andersgläubigen, Anspruch
auf Achtung und auf eine gewisse Anerkennung. Mit der Zeit jedoch mengten sich
rein politische Tendenzen ein, und damit wuchs zugleich die politische Mache.
Jetzt sind die ursprünglichen Ziele von dem weltlichen Beisatze fast überwuchert,
und der Katholikentag ist im letzten Jahrzehnte kaum noch etwas andres als
eine große Symphonie zur Verherrlichung des Zentrums gewesen. Aber bisher
blieb man doch nach außen einig; der Katholikentag rekrutirte sich aus der ganzen
Wählerschaft des Zentrums, und die Resolutionen waren so gefaßt, daß keine
kräftige Sondertendenz in der Wühlerschaft vor den Kopf gestoßen wurde.
Mit dem Krefelder Katholikentage hat sich das geändert, denn dieser kehrte
unter anderm seine Spitze sehr deutlich gegen das, was man als „agrarische"
Tendenz zu diskreditiren sucht, und er that das, obgleich diese Tendenz in der
großenteils ländlichen Wählerschaft des Zentrums sehr viele Interessenten und
auch „katholisch" organisirte Anhänger hat. Die betreffenden Organisationen,
wir haben sie schon genannt, sind außerhalb Bayerns bei den Reichstags¬
wahlen unterlegen, der Wahlsieg des Zentrums war größer als je, aber die
Bauernvereine sind nicht tot und haben sogar den Zug der Zeit für sich. Es
war daher wohl nicht klug, die Niederlage der Gegner „katholisch" abzu¬
stempeln. Die „Generalversammlung der Katholiken Deutschlands" ist ja in
keiner Weise eine offizielle Einrichtung der katholischen Kirche und kann es
nicht werden, sie hat sich jedoch in Verbindung mit dem Zentrum stark genug
erwiesen, die Katholiken, die nicht mitthun mochten, als „Auchkathvliken" in
eine Art von Verruf zu bringen und fast mundtot zu machen. Es scheint das
jetzt auch auf den Teil der Katholiken ausgedehnt werden zu sollen, der in
der Agrarfrage andre Wege verfolgt als die Parteileitung. Die Entwicklung
ist ja noch im ersten Beginn und kann noch umgelenkt werden, aber einen
Vorgeschmack der möglichen Zukunft haben diese Elemente erhalten, die doch
bisher alles gethan haben, um auf die Echtheit ihrer „Katholizität" pochen
zu dürfen. Es ist ihnen in Krefeld zu Gemüte geführt worden, was es für
Folgen hat, wenn man eine Herrschaft begründen hilft, die sich das Recht
beilegt, eine bestimmte Parteinahme in weltlichen Händeln als „katholisch" zu
Prämiiren, mit religiöser Weihe zu umgeben. Die Kehrseite davon ist das
anÄtlisiug, sit gegen die Andersdenkenden, und die agrarisch Gesinnten können
bei den „Auchkatholiken" nachfragen, was dieses g.ug.tlismc>. sit bedeutet, mag
es auch auf Parlament, Presse und täglichen Verkehr beschränkt bleiben. Wir
möchten indes glauben, daß die Parteileitung des Zentrums in der Agrarfrage
durch das, was sie in Krefeld inszenirte, noch nicht ihr letztes Wort gesprochen
hat. Bei einer Heerschau liegen ja taktische Versuche und Disziplinprvben nahe.


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[0182] Airchenpolitik und Zentrum nahmen gehört gewiß nicht der Krefelder Katholikentag, für den es uns un¬ möglich ist, eine andre Bezeichnung zu finden, als daß er ein sehr geschickt arrangirter Hergang war von recht trivialen Inhalt. Ursprünglich sind die Katholikentage ohne Zweifel einem kirchlich-religiösen Bedürfnis entsprungen und hatten damals, anch bei Andersgläubigen, Anspruch auf Achtung und auf eine gewisse Anerkennung. Mit der Zeit jedoch mengten sich rein politische Tendenzen ein, und damit wuchs zugleich die politische Mache. Jetzt sind die ursprünglichen Ziele von dem weltlichen Beisatze fast überwuchert, und der Katholikentag ist im letzten Jahrzehnte kaum noch etwas andres als eine große Symphonie zur Verherrlichung des Zentrums gewesen. Aber bisher blieb man doch nach außen einig; der Katholikentag rekrutirte sich aus der ganzen Wählerschaft des Zentrums, und die Resolutionen waren so gefaßt, daß keine kräftige Sondertendenz in der Wühlerschaft vor den Kopf gestoßen wurde. Mit dem Krefelder Katholikentage hat sich das geändert, denn dieser kehrte unter anderm seine Spitze sehr deutlich gegen das, was man als „agrarische" Tendenz zu diskreditiren sucht, und er that das, obgleich diese Tendenz in der großenteils ländlichen Wählerschaft des Zentrums sehr viele Interessenten und auch „katholisch" organisirte Anhänger hat. Die betreffenden Organisationen, wir haben sie schon genannt, sind außerhalb Bayerns bei den Reichstags¬ wahlen unterlegen, der Wahlsieg des Zentrums war größer als je, aber die Bauernvereine sind nicht tot und haben sogar den Zug der Zeit für sich. Es war daher wohl nicht klug, die Niederlage der Gegner „katholisch" abzu¬ stempeln. Die „Generalversammlung der Katholiken Deutschlands" ist ja in keiner Weise eine offizielle Einrichtung der katholischen Kirche und kann es nicht werden, sie hat sich jedoch in Verbindung mit dem Zentrum stark genug erwiesen, die Katholiken, die nicht mitthun mochten, als „Auchkathvliken" in eine Art von Verruf zu bringen und fast mundtot zu machen. Es scheint das jetzt auch auf den Teil der Katholiken ausgedehnt werden zu sollen, der in der Agrarfrage andre Wege verfolgt als die Parteileitung. Die Entwicklung ist ja noch im ersten Beginn und kann noch umgelenkt werden, aber einen Vorgeschmack der möglichen Zukunft haben diese Elemente erhalten, die doch bisher alles gethan haben, um auf die Echtheit ihrer „Katholizität" pochen zu dürfen. Es ist ihnen in Krefeld zu Gemüte geführt worden, was es für Folgen hat, wenn man eine Herrschaft begründen hilft, die sich das Recht beilegt, eine bestimmte Parteinahme in weltlichen Händeln als „katholisch" zu Prämiiren, mit religiöser Weihe zu umgeben. Die Kehrseite davon ist das anÄtlisiug, sit gegen die Andersdenkenden, und die agrarisch Gesinnten können bei den „Auchkatholiken" nachfragen, was dieses g.ug.tlismc>. sit bedeutet, mag es auch auf Parlament, Presse und täglichen Verkehr beschränkt bleiben. Wir möchten indes glauben, daß die Parteileitung des Zentrums in der Agrarfrage durch das, was sie in Krefeld inszenirte, noch nicht ihr letztes Wort gesprochen hat. Bei einer Heerschau liegen ja taktische Versuche und Disziplinprvben nahe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/182>, abgerufen am 04.07.2024.