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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Rirchenpolitik und Zentrum

lärmenden Erfolg sind Pciuken und Trompeten sehr förderlich, aber die Kraft
der Gründe wird dadurch nicht verstärkt, gedeiht sogar besser bei einer gewissen
Stille und innern Sammlung, und vorher verteilte, sorgfältig einstndirte
Rollen sind ohne Zweifel für eine gute Schaubühne unentbehrlich, geben aber,
auf andre Veranstaltungen angewandt, auch diesen einen theatralischen Charakter,
der die echte Wirkung stört.

Bei den Versammlungen des Evangelischen Bundes, des Evangelisch¬
sozialen Kongresses, bei denen der Juristen, der Ärzte und Naturforscher geht
es ja wohl ähnlich zu; auch bei ihnen wird viel leeres Stroh gedroschen, und
nur, wer den "Glauben" hat -- sit völlig, vervo! --, sieht dann die Körner
springen. Aber wir möchten meinen, der geistige Gehalt des Krefelder Katho¬
likentages sei besonders mager ausgefallen. Insbesondre ist die Erwartung
getäuscht worden, daß in der sozial-wirtschaftlichen Frage, auf dem agrarischen
Gebiete namentlich, ein wirkliches Programm aufgestellt werden würde. Die
Frage der "großen Mittel" ist vermieden worden, und die "kleinen" Mittel
werden durch die Wiedcraufwürmung weder wirksamer, noch für die auf¬
rührerischen Vasallen schmackhafter. Der Bayrische Bauernbund, der Rheinische
und der Westfälische Bauernverein sind dafür nicht mehr zu haben.

Sodann waren in einer Gegend, wo die Fabrikanten größtenteils Prote¬
stanten, die Arbeiter dagegen in ihrer Mehrheit katholisch sind, die paar
tausend Arbeiter der Nebenversammlung leicht aufzutreiben; wir freuen uns,
wenn sie königstreu und ihrer Kirche ergeben sind, aber als Masse betrachtet
bedeuten sie herzlich wenig, und die Sozialdemokratie ist berechtigt, über so
etwas geringschätzig zu lächeln. Und was den geistigen oder gcmlichen Ton
anlangt, was soll man dazu sagen, daß ein Redner -- es war, irxen wir uns
nicht, ein Rechtsanwalt -- als Vergleich "das schnell schleudernde Feuer des
Gebets" heranzieht? Stehen wir mit der Empfindung vereinzelt, daß der¬
gleichen kaum aus echter Religiosität stammt? Selbst die an und sür sich
erfreuliche Betonung des nationalen Gefühlslebens durch den Kölner Weih¬
bischof Dr. Schmitz hatte etwas Foreirtcs, was die Freude dämpfte. Unzweifel¬
haft ist dieser Prälat ein sehr gescheiter Mann, wir finden es begreiflich, daß
er als Kandidat zu einem Bistum oder Erzbistum bezeichnet wird, und das
xrsstig'ö -- wir wissen kein deutsches Wort für die Sache --, das prsstiAs
also, das er sich auch auf diesem Katholikentag erworben hat, wird ihm sür
den Erfolg nicht schaden, aber wir können nicht umhin, weiter zurückzusehen
als auf gestern und vorgestern und daran zu denken, daß gerade Preußen
schlimme Erfahrungen mit Kirchenfürsten gemacht hat, von denen man sich vor
ihrer Wahl besonders viel versprach. Wir behaupten sogar und sind auch
dafür der Zustimmung vieler Katholiken sicher, daß Volksversammlungen nicht
der Ort sind, auf dem sich Bischöfe zu bethätigen haben, denn sie stehen dafür
viel zu hoch. Auch die Weihbischöfe. Es kann Ausnahmen, außerordentliche
Gelegenheiten geben und hat es in der That gegeben, aber zu diesen Aus-


Rirchenpolitik und Zentrum

lärmenden Erfolg sind Pciuken und Trompeten sehr förderlich, aber die Kraft
der Gründe wird dadurch nicht verstärkt, gedeiht sogar besser bei einer gewissen
Stille und innern Sammlung, und vorher verteilte, sorgfältig einstndirte
Rollen sind ohne Zweifel für eine gute Schaubühne unentbehrlich, geben aber,
auf andre Veranstaltungen angewandt, auch diesen einen theatralischen Charakter,
der die echte Wirkung stört.

Bei den Versammlungen des Evangelischen Bundes, des Evangelisch¬
sozialen Kongresses, bei denen der Juristen, der Ärzte und Naturforscher geht
es ja wohl ähnlich zu; auch bei ihnen wird viel leeres Stroh gedroschen, und
nur, wer den „Glauben" hat — sit völlig, vervo! —, sieht dann die Körner
springen. Aber wir möchten meinen, der geistige Gehalt des Krefelder Katho¬
likentages sei besonders mager ausgefallen. Insbesondre ist die Erwartung
getäuscht worden, daß in der sozial-wirtschaftlichen Frage, auf dem agrarischen
Gebiete namentlich, ein wirkliches Programm aufgestellt werden würde. Die
Frage der „großen Mittel" ist vermieden worden, und die „kleinen" Mittel
werden durch die Wiedcraufwürmung weder wirksamer, noch für die auf¬
rührerischen Vasallen schmackhafter. Der Bayrische Bauernbund, der Rheinische
und der Westfälische Bauernverein sind dafür nicht mehr zu haben.

Sodann waren in einer Gegend, wo die Fabrikanten größtenteils Prote¬
stanten, die Arbeiter dagegen in ihrer Mehrheit katholisch sind, die paar
tausend Arbeiter der Nebenversammlung leicht aufzutreiben; wir freuen uns,
wenn sie königstreu und ihrer Kirche ergeben sind, aber als Masse betrachtet
bedeuten sie herzlich wenig, und die Sozialdemokratie ist berechtigt, über so
etwas geringschätzig zu lächeln. Und was den geistigen oder gcmlichen Ton
anlangt, was soll man dazu sagen, daß ein Redner — es war, irxen wir uns
nicht, ein Rechtsanwalt — als Vergleich „das schnell schleudernde Feuer des
Gebets" heranzieht? Stehen wir mit der Empfindung vereinzelt, daß der¬
gleichen kaum aus echter Religiosität stammt? Selbst die an und sür sich
erfreuliche Betonung des nationalen Gefühlslebens durch den Kölner Weih¬
bischof Dr. Schmitz hatte etwas Foreirtcs, was die Freude dämpfte. Unzweifel¬
haft ist dieser Prälat ein sehr gescheiter Mann, wir finden es begreiflich, daß
er als Kandidat zu einem Bistum oder Erzbistum bezeichnet wird, und das
xrsstig'ö — wir wissen kein deutsches Wort für die Sache —, das prsstiAs
also, das er sich auch auf diesem Katholikentag erworben hat, wird ihm sür
den Erfolg nicht schaden, aber wir können nicht umhin, weiter zurückzusehen
als auf gestern und vorgestern und daran zu denken, daß gerade Preußen
schlimme Erfahrungen mit Kirchenfürsten gemacht hat, von denen man sich vor
ihrer Wahl besonders viel versprach. Wir behaupten sogar und sind auch
dafür der Zustimmung vieler Katholiken sicher, daß Volksversammlungen nicht
der Ort sind, auf dem sich Bischöfe zu bethätigen haben, denn sie stehen dafür
viel zu hoch. Auch die Weihbischöfe. Es kann Ausnahmen, außerordentliche
Gelegenheiten geben und hat es in der That gegeben, aber zu diesen Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/181>, abgerufen am 12.12.2024.