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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Ein mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

der alten konfessionellen Politik konnte in diesen kirchlich so stark gemischten
Staaten fortan nicht mehr die Rede sein. Nicht minder groß war der Einfluß
der Neugestaltungen auf den politischen Geist der Bevölkerungen. In den
Landtagen fand der tiefgewurzelte Sondergeist eine neue Stütze, die herrschende
Staatsauffassung aber wurde, soweit sie nicht einfach ultramontan war. mehr
oder minder demokratisch, beherrscht von den Lehren des französisch-naturrecht¬
lichen Liberalismus, die von den Ideen der Volkssouveränität, des Par¬
lamentarismus und der möglichst wenig, auch durch Staatspflichteu nicht, be¬
schränkten persönlichen Freiheit ausgingen. Eine monarchische Gesinnung bestand
uur in Altbayern, aber auch dort fehlte es an einem militärisch-politischen
Adel von der Art des preußischen, und der übrige süddeutsche Adel, größten¬
teils aus mediatisirten, ehemals reichsunmittelbaren Geschlechtern hervorge¬
gangen, hatte zu den neuen Staatenbildungen zunächst gar keine innern Be¬
ziehungen. Das alles brachte die süddeutschen Staaten in einen ausge-
sprochnen Gegensatz zum Norden, besonders zu dem in seinen Kernlandcn
durchaus monarchisch-aristokratischen und militärischen Preußen, einen Gegensatz
weniger der Ausfassung vom Staate als zwischen kraftvoller Staatsgesiunung
und dem Mangel an wirklicher Staatsgesinnnng.

Am schärfsten sind diese Eigentümlichkeiten in Baden hervorgetreten.
Denn von allen Mittelstaaten ist das Großhcrzogtum der jüngste und in
mancher Beziehung der künstlichste, eine Verbindung alemannischer und fränkisch-
Pfälzischer Gebiete, die vom mittlern Main bis an den Bodensee reicht und
an zwei ganz unbedeutende altzühringische Territorien (Baden-Baden und
Baden-Durlach), die ihrerseits erst 1771 vereinigt worden waren, willkürlich
angeschlossen worden ist, ein Ganzes, dessen einzelne Teile eine völlig ver-
schiedne Geschichte hatten, auch konfessionell scharfe Unterschiede auswiesen
und einen Ersatz für das mangelnde historische Gemeingefühl nicht einmal in
einer größern Geschichte des dynastischen Stammlandes finden konnten, denn
dieses hatte niemals etwas bedeutet. Dazu nun die gegen Frankreich und die
Schweiz völlig offne, allen fremden Einflüssen ausgesetzte Grenze! So wurde
Baden ganz natürlich die Heimat des französirenden, naturrechtlichen Libera¬
lismus und damit auch das Musterland des deutschen Konstitutionalismus.
Es ist bezeichnend für das innerste Wesen dieses Staates, daß auch seine
Hauptstadt Karlsruhe, die junge künstliche Gründung des Herrscherhauses (1715).-
nicht eine der ältern Städte des Landes ist.

Etwa derselben Zeit und ebenfalls einem fürstlichen Willen verdankt
Mannheim seine Entstehung. Denn die alte Gründung Kurfürst Friedrichs IV.
von der Pfalz 1606 erlag fast ganz den Stürmen des dreißigjährigen Krieges
und, als sie erneuert worden war, der französischen Verwüstung von 1689;
das neue Mannheim erstand erst 1721, als Karl Philipp seinen Sitz von
Heidelberg hierher verlegte, und zwar als eine Stadt von fast amerikanischer


Ein mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

der alten konfessionellen Politik konnte in diesen kirchlich so stark gemischten
Staaten fortan nicht mehr die Rede sein. Nicht minder groß war der Einfluß
der Neugestaltungen auf den politischen Geist der Bevölkerungen. In den
Landtagen fand der tiefgewurzelte Sondergeist eine neue Stütze, die herrschende
Staatsauffassung aber wurde, soweit sie nicht einfach ultramontan war. mehr
oder minder demokratisch, beherrscht von den Lehren des französisch-naturrecht¬
lichen Liberalismus, die von den Ideen der Volkssouveränität, des Par¬
lamentarismus und der möglichst wenig, auch durch Staatspflichteu nicht, be¬
schränkten persönlichen Freiheit ausgingen. Eine monarchische Gesinnung bestand
uur in Altbayern, aber auch dort fehlte es an einem militärisch-politischen
Adel von der Art des preußischen, und der übrige süddeutsche Adel, größten¬
teils aus mediatisirten, ehemals reichsunmittelbaren Geschlechtern hervorge¬
gangen, hatte zu den neuen Staatenbildungen zunächst gar keine innern Be¬
ziehungen. Das alles brachte die süddeutschen Staaten in einen ausge-
sprochnen Gegensatz zum Norden, besonders zu dem in seinen Kernlandcn
durchaus monarchisch-aristokratischen und militärischen Preußen, einen Gegensatz
weniger der Ausfassung vom Staate als zwischen kraftvoller Staatsgesiunung
und dem Mangel an wirklicher Staatsgesinnnng.

Am schärfsten sind diese Eigentümlichkeiten in Baden hervorgetreten.
Denn von allen Mittelstaaten ist das Großhcrzogtum der jüngste und in
mancher Beziehung der künstlichste, eine Verbindung alemannischer und fränkisch-
Pfälzischer Gebiete, die vom mittlern Main bis an den Bodensee reicht und
an zwei ganz unbedeutende altzühringische Territorien (Baden-Baden und
Baden-Durlach), die ihrerseits erst 1771 vereinigt worden waren, willkürlich
angeschlossen worden ist, ein Ganzes, dessen einzelne Teile eine völlig ver-
schiedne Geschichte hatten, auch konfessionell scharfe Unterschiede auswiesen
und einen Ersatz für das mangelnde historische Gemeingefühl nicht einmal in
einer größern Geschichte des dynastischen Stammlandes finden konnten, denn
dieses hatte niemals etwas bedeutet. Dazu nun die gegen Frankreich und die
Schweiz völlig offne, allen fremden Einflüssen ausgesetzte Grenze! So wurde
Baden ganz natürlich die Heimat des französirenden, naturrechtlichen Libera¬
lismus und damit auch das Musterland des deutschen Konstitutionalismus.
Es ist bezeichnend für das innerste Wesen dieses Staates, daß auch seine
Hauptstadt Karlsruhe, die junge künstliche Gründung des Herrscherhauses (1715).-
nicht eine der ältern Städte des Landes ist.

Etwa derselben Zeit und ebenfalls einem fürstlichen Willen verdankt
Mannheim seine Entstehung. Denn die alte Gründung Kurfürst Friedrichs IV.
von der Pfalz 1606 erlag fast ganz den Stürmen des dreißigjährigen Krieges
und, als sie erneuert worden war, der französischen Verwüstung von 1689;
das neue Mannheim erstand erst 1721, als Karl Philipp seinen Sitz von
Heidelberg hierher verlegte, und zwar als eine Stadt von fast amerikanischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/15>, abgerufen am 12.12.2024.