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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Masse, die von ihrem krankhaften Mißtrauen gegen Kaiser und Reich bekehrt
und von dem Banne einer mustergiltig geschulten, jede Blöße benutzenden
Demagogie befreit werden soll, womöglich ein Wettrennen des Strebertums
aller Rangklassen dahinter zu suchen veranlaßt würde, worin sich schablonen¬
haftes Ungeschick, büreaukratische Lieblosigkeit und geriebne Augendienerei zu
überbieten suchten.

Aber, wie gesagt, die Repression mit Verdicken und Gebieten, Verfolgen
und Strafen ist überhaupt die Nebensache. Allein kann sie nichts nützen,
sondern wird viel eher nur schaden. Sie hat noch weniger zu bedeuten, als
die Peitsche für den tüchtigen Reiter eines edeln Pferdes. Es kommt alles
darauf an, daß durch weise, maßvolle und wohlwollende Behandlung die
Herzen der Beamten -- von Kopf und Verstand ist dabei überhaupt kaum die
Rede -- widerstandsfähig gemacht werden gegen die Irrlehren der Sozial¬
demokratie, daß die Umstünde beseitigt werden, die Unzufriedenheit und Unmut
im Beamtentum erzeugen müssen, ehe diese Irrlehren wirksam werden.

Das wird ja natürlich unsern schneidigen Operateuren als ein sehr abge-
standnes, verwittertes Tränklein erscheinen, und die einseitige oder auch berechnete
Parteireklame hat zudem das Ihrige gethan, es um seinen Kredit zu bringen.
Und doch ist es die unerläßliche Voraussetzung eines siegreichen Kampfes, daß
die maßgebenden Stellen und überhaupt alle die, deren Aufgabe dieser Kampf
ist, zur vollen Überzeugung gelangen: die Behandlung der Beamten entspricht
den berechtigten Forderungen nicht mehr, sie bedarf einer durchgreifenden
Reform, und diese liegt durchaus in der Macht des Staates und der Behörden.

Es wäre ganz falsch, diese Reform etwa auch zu einer besondern, in die
Augen fallenden "Aktion" zu stempeln, obwohl sie so viel wichtiger ist als alle
Nepressivmaßregeln. Aber wenn man es schon für angebracht hält, den Kampf
gegen die Sozialdemokratie durch besondre Erlasse anzukündigen, dann sollte
man die vorbeugende Seite der "Aktion" nicht mit Stillschweigen übergehen,
sondern so deutlich, daß jedermann vom Votenmeister bis zum Präsidenten es
sich hinter die Ohren schreibt, erklären: Wer seinen Untergebnen nicht nach
besten Kräften und mit aufrichtigem Wohlwollen den Dienst und das Leben
erträglich zu machen sucht, der fördert die Sozialdemokratie, und der ist von
heut ab unbrauchbar für den Dienst des Staates und des Kaisers.

Es darf nicht vergessen werden, daß sich, ganz abgesehen von den Fehlern
der Staatsverwaltung selbst, in neuerer Zeit sehr zahlreiche und mächtige Ein¬
flüsse geltend machen, die der sozialdemokratischen Propaganda den Weg bereiten,
ohne zu ihr selbst zu gehören. Wieviel hat nicht der demagogische Wettlauf
fast aller Parteien im Reichstag und in den Landtagen um die Wahlstiminen
der Beamten, namentlich der untern, zur Schürung der Unzufriedenheit bei¬
getragen; wie erfolgreiche Vorarbeit leisten nicht die unüberlegten Agitationen
der Kathedersozialisten der Sozialdemokratie für ihre Theorien; wie muß allein


Masse, die von ihrem krankhaften Mißtrauen gegen Kaiser und Reich bekehrt
und von dem Banne einer mustergiltig geschulten, jede Blöße benutzenden
Demagogie befreit werden soll, womöglich ein Wettrennen des Strebertums
aller Rangklassen dahinter zu suchen veranlaßt würde, worin sich schablonen¬
haftes Ungeschick, büreaukratische Lieblosigkeit und geriebne Augendienerei zu
überbieten suchten.

Aber, wie gesagt, die Repression mit Verdicken und Gebieten, Verfolgen
und Strafen ist überhaupt die Nebensache. Allein kann sie nichts nützen,
sondern wird viel eher nur schaden. Sie hat noch weniger zu bedeuten, als
die Peitsche für den tüchtigen Reiter eines edeln Pferdes. Es kommt alles
darauf an, daß durch weise, maßvolle und wohlwollende Behandlung die
Herzen der Beamten — von Kopf und Verstand ist dabei überhaupt kaum die
Rede — widerstandsfähig gemacht werden gegen die Irrlehren der Sozial¬
demokratie, daß die Umstünde beseitigt werden, die Unzufriedenheit und Unmut
im Beamtentum erzeugen müssen, ehe diese Irrlehren wirksam werden.

Das wird ja natürlich unsern schneidigen Operateuren als ein sehr abge-
standnes, verwittertes Tränklein erscheinen, und die einseitige oder auch berechnete
Parteireklame hat zudem das Ihrige gethan, es um seinen Kredit zu bringen.
Und doch ist es die unerläßliche Voraussetzung eines siegreichen Kampfes, daß
die maßgebenden Stellen und überhaupt alle die, deren Aufgabe dieser Kampf
ist, zur vollen Überzeugung gelangen: die Behandlung der Beamten entspricht
den berechtigten Forderungen nicht mehr, sie bedarf einer durchgreifenden
Reform, und diese liegt durchaus in der Macht des Staates und der Behörden.

Es wäre ganz falsch, diese Reform etwa auch zu einer besondern, in die
Augen fallenden „Aktion" zu stempeln, obwohl sie so viel wichtiger ist als alle
Nepressivmaßregeln. Aber wenn man es schon für angebracht hält, den Kampf
gegen die Sozialdemokratie durch besondre Erlasse anzukündigen, dann sollte
man die vorbeugende Seite der „Aktion" nicht mit Stillschweigen übergehen,
sondern so deutlich, daß jedermann vom Votenmeister bis zum Präsidenten es
sich hinter die Ohren schreibt, erklären: Wer seinen Untergebnen nicht nach
besten Kräften und mit aufrichtigem Wohlwollen den Dienst und das Leben
erträglich zu machen sucht, der fördert die Sozialdemokratie, und der ist von
heut ab unbrauchbar für den Dienst des Staates und des Kaisers.

Es darf nicht vergessen werden, daß sich, ganz abgesehen von den Fehlern
der Staatsverwaltung selbst, in neuerer Zeit sehr zahlreiche und mächtige Ein¬
flüsse geltend machen, die der sozialdemokratischen Propaganda den Weg bereiten,
ohne zu ihr selbst zu gehören. Wieviel hat nicht der demagogische Wettlauf
fast aller Parteien im Reichstag und in den Landtagen um die Wahlstiminen
der Beamten, namentlich der untern, zur Schürung der Unzufriedenheit bei¬
getragen; wie erfolgreiche Vorarbeit leisten nicht die unüberlegten Agitationen
der Kathedersozialisten der Sozialdemokratie für ihre Theorien; wie muß allein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/69>, abgerufen am 28.07.2024.