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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie im Beamtentum

Verwerfliche, mit der Pflichttreue des Beamten unverträgliche Anschauungen
und Vorstellungen, zum großen Teil ein Kampf gegen Irrtümer. Der Diensteid
ändert an dieser Sachlage wenig oder nichts. Auch dieser Kampf ist selbst¬
verständlich, notwendig, Pflicht. Aber es liegt doch auf der Hand, daß in
ihm mit äußerlichen Verboten und Geboten, Verfolgungen und Strafen, so
unerläßlich sie sind, allein nichts zu erreichen ist, und am wenigsten ein äußer¬
lich wahrnehmbarer Erfolg. Die öffentliche Meinung erwartet auch von den
Kampferlassen weiter nichts, als eine sehr nachdrückliche Förderung der Sozial¬
demokratie, und es wäre ein großes Unglück, wenn die Regierungen nicht ein¬
sahen, daß die öffentliche Meinung damit sehr leicht Recht behalten könnte. Die
Repression durch Verfolgungen und Strafen gegen solche krankhaften Erschei¬
nungen ist nur eine untergeordnete Waffe, aber sie kann sehr gefährlich werden.
Wenn Ärzte ans Leben gehende Krankheiten bekämpfen müssen, dürfen sie sich
vor dem Gebrauch zweischneidiger Waffen nicht scheuen. Aber schweren Schaden
richten sie an, wenn sie die Waffe leichtfertig und mit ungeschickter Hand führen,
wenn ihrem Auge der scharfe Blick fehlt für den Unterschied zwischen gesund
und krank, ihrem Kopf die Wissenschaft des hundertfältiger Zusammenhangs
zwischen den Organen und zwischen Ursache und Wirkung in deren Funktionen,
ihrem Herzen das aufrichtige Wohlwollen und die gewissenhafte Rücksicht auf
den Kranken und seine ganze Lage. Und doch ist das, was man vom Arzt
verlangt, leicht im Vergleich mit den Anforderungen, die der Kampf gegen die
Sozialdemokratie im Beamtentum an die Beamten stellt, denen er obliegt.
Die repressive Bekämpfung, in ihrer positiven Bedeutung für den gebotnen
Zweck so geringfügig, kann leicht den ganzen Kampf zur vollen Niederlage
führen, das Verfolgen und Strafen, das dem kurzsichtigen Übereifer vielleicht
als die Hauptsache und sehr leicht und bequem erscheint, ist in Wahrheit eine
der schwierigsten und ernstesten Aufgaben, die den Behörden gestellt sind. Nur
der größte staatsmämusche Takt, die lauterste Gerechtigkeitsliebe, das herzlichste
Wohlwollen gegen die Beamten und die uneigennützigste Treue und Offenheit
gegen den Kaiser sind ihr gewachsen. Arge Fehler und Nackenschläge sind
dabei kaum zu vermeiden. Dem wird man sich an den leitenden Stellen
hoffentlich nicht verschließen. Wird doch schon wieder in der Presse, und nicht
etwa nur in der reichsfeindlichen, mit unverantwortlichen Leichtsinn die Fabel
kolportirt, daß diese Kampferlasfe durch ein besondres Eingreifen des Kaisers
veranlaßt worden seien. Dieser Kampf war, ist und bleibt immer die selbst¬
verständliche Pflicht und Schuldigkeit der Reichs- und Staatsbehörden überall
in Deutschland. Aber wann und wo immer der Kampf ungeschickt, kalt- und
lieblos geführt werden sollte, da wird immer der Kaiser an der Liebe und
dem Vertrauen der Beamten zu ihm den Schaden tragen. Es fehlte gerade
noch, daß diese selbstverständliche Pflichterfüllung der Reichs- und Staats¬
ämter zu einer sensationellen Aktion aufgebauscht würde, und daß die breite


Die Sozialdemokratie im Beamtentum

Verwerfliche, mit der Pflichttreue des Beamten unverträgliche Anschauungen
und Vorstellungen, zum großen Teil ein Kampf gegen Irrtümer. Der Diensteid
ändert an dieser Sachlage wenig oder nichts. Auch dieser Kampf ist selbst¬
verständlich, notwendig, Pflicht. Aber es liegt doch auf der Hand, daß in
ihm mit äußerlichen Verboten und Geboten, Verfolgungen und Strafen, so
unerläßlich sie sind, allein nichts zu erreichen ist, und am wenigsten ein äußer¬
lich wahrnehmbarer Erfolg. Die öffentliche Meinung erwartet auch von den
Kampferlassen weiter nichts, als eine sehr nachdrückliche Förderung der Sozial¬
demokratie, und es wäre ein großes Unglück, wenn die Regierungen nicht ein¬
sahen, daß die öffentliche Meinung damit sehr leicht Recht behalten könnte. Die
Repression durch Verfolgungen und Strafen gegen solche krankhaften Erschei¬
nungen ist nur eine untergeordnete Waffe, aber sie kann sehr gefährlich werden.
Wenn Ärzte ans Leben gehende Krankheiten bekämpfen müssen, dürfen sie sich
vor dem Gebrauch zweischneidiger Waffen nicht scheuen. Aber schweren Schaden
richten sie an, wenn sie die Waffe leichtfertig und mit ungeschickter Hand führen,
wenn ihrem Auge der scharfe Blick fehlt für den Unterschied zwischen gesund
und krank, ihrem Kopf die Wissenschaft des hundertfältiger Zusammenhangs
zwischen den Organen und zwischen Ursache und Wirkung in deren Funktionen,
ihrem Herzen das aufrichtige Wohlwollen und die gewissenhafte Rücksicht auf
den Kranken und seine ganze Lage. Und doch ist das, was man vom Arzt
verlangt, leicht im Vergleich mit den Anforderungen, die der Kampf gegen die
Sozialdemokratie im Beamtentum an die Beamten stellt, denen er obliegt.
Die repressive Bekämpfung, in ihrer positiven Bedeutung für den gebotnen
Zweck so geringfügig, kann leicht den ganzen Kampf zur vollen Niederlage
führen, das Verfolgen und Strafen, das dem kurzsichtigen Übereifer vielleicht
als die Hauptsache und sehr leicht und bequem erscheint, ist in Wahrheit eine
der schwierigsten und ernstesten Aufgaben, die den Behörden gestellt sind. Nur
der größte staatsmämusche Takt, die lauterste Gerechtigkeitsliebe, das herzlichste
Wohlwollen gegen die Beamten und die uneigennützigste Treue und Offenheit
gegen den Kaiser sind ihr gewachsen. Arge Fehler und Nackenschläge sind
dabei kaum zu vermeiden. Dem wird man sich an den leitenden Stellen
hoffentlich nicht verschließen. Wird doch schon wieder in der Presse, und nicht
etwa nur in der reichsfeindlichen, mit unverantwortlichen Leichtsinn die Fabel
kolportirt, daß diese Kampferlasfe durch ein besondres Eingreifen des Kaisers
veranlaßt worden seien. Dieser Kampf war, ist und bleibt immer die selbst¬
verständliche Pflicht und Schuldigkeit der Reichs- und Staatsbehörden überall
in Deutschland. Aber wann und wo immer der Kampf ungeschickt, kalt- und
lieblos geführt werden sollte, da wird immer der Kaiser an der Liebe und
dem Vertrauen der Beamten zu ihm den Schaden tragen. Es fehlte gerade
noch, daß diese selbstverständliche Pflichterfüllung der Reichs- und Staats¬
ämter zu einer sensationellen Aktion aufgebauscht würde, und daß die breite


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[0068] Die Sozialdemokratie im Beamtentum Verwerfliche, mit der Pflichttreue des Beamten unverträgliche Anschauungen und Vorstellungen, zum großen Teil ein Kampf gegen Irrtümer. Der Diensteid ändert an dieser Sachlage wenig oder nichts. Auch dieser Kampf ist selbst¬ verständlich, notwendig, Pflicht. Aber es liegt doch auf der Hand, daß in ihm mit äußerlichen Verboten und Geboten, Verfolgungen und Strafen, so unerläßlich sie sind, allein nichts zu erreichen ist, und am wenigsten ein äußer¬ lich wahrnehmbarer Erfolg. Die öffentliche Meinung erwartet auch von den Kampferlassen weiter nichts, als eine sehr nachdrückliche Förderung der Sozial¬ demokratie, und es wäre ein großes Unglück, wenn die Regierungen nicht ein¬ sahen, daß die öffentliche Meinung damit sehr leicht Recht behalten könnte. Die Repression durch Verfolgungen und Strafen gegen solche krankhaften Erschei¬ nungen ist nur eine untergeordnete Waffe, aber sie kann sehr gefährlich werden. Wenn Ärzte ans Leben gehende Krankheiten bekämpfen müssen, dürfen sie sich vor dem Gebrauch zweischneidiger Waffen nicht scheuen. Aber schweren Schaden richten sie an, wenn sie die Waffe leichtfertig und mit ungeschickter Hand führen, wenn ihrem Auge der scharfe Blick fehlt für den Unterschied zwischen gesund und krank, ihrem Kopf die Wissenschaft des hundertfältiger Zusammenhangs zwischen den Organen und zwischen Ursache und Wirkung in deren Funktionen, ihrem Herzen das aufrichtige Wohlwollen und die gewissenhafte Rücksicht auf den Kranken und seine ganze Lage. Und doch ist das, was man vom Arzt verlangt, leicht im Vergleich mit den Anforderungen, die der Kampf gegen die Sozialdemokratie im Beamtentum an die Beamten stellt, denen er obliegt. Die repressive Bekämpfung, in ihrer positiven Bedeutung für den gebotnen Zweck so geringfügig, kann leicht den ganzen Kampf zur vollen Niederlage führen, das Verfolgen und Strafen, das dem kurzsichtigen Übereifer vielleicht als die Hauptsache und sehr leicht und bequem erscheint, ist in Wahrheit eine der schwierigsten und ernstesten Aufgaben, die den Behörden gestellt sind. Nur der größte staatsmämusche Takt, die lauterste Gerechtigkeitsliebe, das herzlichste Wohlwollen gegen die Beamten und die uneigennützigste Treue und Offenheit gegen den Kaiser sind ihr gewachsen. Arge Fehler und Nackenschläge sind dabei kaum zu vermeiden. Dem wird man sich an den leitenden Stellen hoffentlich nicht verschließen. Wird doch schon wieder in der Presse, und nicht etwa nur in der reichsfeindlichen, mit unverantwortlichen Leichtsinn die Fabel kolportirt, daß diese Kampferlasfe durch ein besondres Eingreifen des Kaisers veranlaßt worden seien. Dieser Kampf war, ist und bleibt immer die selbst¬ verständliche Pflicht und Schuldigkeit der Reichs- und Staatsbehörden überall in Deutschland. Aber wann und wo immer der Kampf ungeschickt, kalt- und lieblos geführt werden sollte, da wird immer der Kaiser an der Liebe und dem Vertrauen der Beamten zu ihm den Schaden tragen. Es fehlte gerade noch, daß diese selbstverständliche Pflichterfüllung der Reichs- und Staats¬ ämter zu einer sensationellen Aktion aufgebauscht würde, und daß die breite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/68>, abgerufen am 01.09.2024.