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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie im Beamtentum

die übertriebne Kocilitions- und Ausstandsschwärmerei unsrer modernen Staats¬
wissenschaftler auf die Beamten einwirken! Dazu kommt die seit einem Menschen¬
alter von allen Seiten dem Volk gepredigte Überschätzung des Geldgewinns,
des Vermögenserwerbs, der Kapitalbildnng. Fortwährend sehen wir ganz un¬
erfüllbare Forderungen materieller Art aufgestellt: für die Beamten fast noch
mehr als durch sie. Auf das Einzelne kann hier nicht eingegangen werden,
aber im allgemeinen darf man sagen, daß der Staat seit einer Reihe von
Jahren redlich bemüht gewesen ist, die materielle Lage, hauptsächlich das Ein¬
kommen der Beamten erheblich aufzubessern, und daß, mag manches auch noch
aufgeschoben sein, was hätte durchgeführt werden können, von einer neu zu
fordernden, erst zu beginnenden Reform in dieser Beziehung nicht mehr die
Rede sein kann.

Der Staat kann seinen Beamten nicht Aussicht machen, im Dienst zu
Vermögen zu gelangen, wie der Privatmann im Geschäft. Er würde dabei
einfach bankrott. Er muß mit einem vermögenslosen Beamtentum rechnen.
Er hat eben deshalb ganz andre Pflichten der Fürsorge für seine Beamten
neben der Gehaltszahlung als der Privatunternehmer für seine Angestellten.
In Bezug auf behagliche Wohnung, angemessene Erleichterung der Kinder¬
erziehung bis zu ihrer eignen Erwerbsfähigkeit, Fürsorge für Krankheit, Alter,
für die Hinterbliebnen werden in nächster Zeit noch große Geldmittel mehr
als bisher aufzuwenden sein und aufgewandt werden können. Aber auch hier
ist doch in neuerer Zeit viel geschehen, und der eigentliche Grund für die Un¬
zufriedenheit und den Unmut unsers Beamtentums ist im allgemeinen auch
nicht auf diesem Gebiete der staatlichen Pflichterfüllung zu suchen. Der Staat
selbst begeht den verhängnisvollsten Fehler damit, daß er ans ihm, d. h. aus¬
schließlich in der Geldfrage, den Hauptgrund der Unzufriedenheit sucht. Man
ist aber leider überall in dem Wahn befangen, daß die soziale Frage zu lösen
und die Sozialdemokratie zu bekämpfen sei einzig und allein durch Geld und
Geldeswert, soweit die RePression nichts hilft. Und weil der Staat im Geld¬
aufwand seiner Pflicht redlich zu genügen bemüht gewesen ist, glauben die
Behörden jetzt außer dem Verfolgen und Strafen keine Aufgabe mehr zu haben,
sind sie blind und taub gegen den Satz, der das Hauptthema und der Schlu߬
akkord aller Klagelieder der Beamtenschaft, um die es sich hier handelt, der
mittlern und der niedern, ist: Es hilft alles nichts, denn das Wohlwollen fehlt
überall!

Man wird das vielleicht einfach bestreiten oder für eine inhaltlose Redens¬
art erklären, wie sie zu allen Zeiten von übellaunigen Beamten zu hören ge¬
wesen ist. Aber damit würde man zugleich eine Verkommenheit in unsrer
Verwaltung beweisen, die jeden Kampf gegen die Sozialdemokratie zur hoff¬
nungslosen Komödie herabwürdigen müßte. Dann sollten die Herren Minister
und Staatssekretäre heute lieber als morgen erklären: Wir sind bankrott, wir


Die Sozialdemokratie im Beamtentum

die übertriebne Kocilitions- und Ausstandsschwärmerei unsrer modernen Staats¬
wissenschaftler auf die Beamten einwirken! Dazu kommt die seit einem Menschen¬
alter von allen Seiten dem Volk gepredigte Überschätzung des Geldgewinns,
des Vermögenserwerbs, der Kapitalbildnng. Fortwährend sehen wir ganz un¬
erfüllbare Forderungen materieller Art aufgestellt: für die Beamten fast noch
mehr als durch sie. Auf das Einzelne kann hier nicht eingegangen werden,
aber im allgemeinen darf man sagen, daß der Staat seit einer Reihe von
Jahren redlich bemüht gewesen ist, die materielle Lage, hauptsächlich das Ein¬
kommen der Beamten erheblich aufzubessern, und daß, mag manches auch noch
aufgeschoben sein, was hätte durchgeführt werden können, von einer neu zu
fordernden, erst zu beginnenden Reform in dieser Beziehung nicht mehr die
Rede sein kann.

Der Staat kann seinen Beamten nicht Aussicht machen, im Dienst zu
Vermögen zu gelangen, wie der Privatmann im Geschäft. Er würde dabei
einfach bankrott. Er muß mit einem vermögenslosen Beamtentum rechnen.
Er hat eben deshalb ganz andre Pflichten der Fürsorge für seine Beamten
neben der Gehaltszahlung als der Privatunternehmer für seine Angestellten.
In Bezug auf behagliche Wohnung, angemessene Erleichterung der Kinder¬
erziehung bis zu ihrer eignen Erwerbsfähigkeit, Fürsorge für Krankheit, Alter,
für die Hinterbliebnen werden in nächster Zeit noch große Geldmittel mehr
als bisher aufzuwenden sein und aufgewandt werden können. Aber auch hier
ist doch in neuerer Zeit viel geschehen, und der eigentliche Grund für die Un¬
zufriedenheit und den Unmut unsers Beamtentums ist im allgemeinen auch
nicht auf diesem Gebiete der staatlichen Pflichterfüllung zu suchen. Der Staat
selbst begeht den verhängnisvollsten Fehler damit, daß er ans ihm, d. h. aus¬
schließlich in der Geldfrage, den Hauptgrund der Unzufriedenheit sucht. Man
ist aber leider überall in dem Wahn befangen, daß die soziale Frage zu lösen
und die Sozialdemokratie zu bekämpfen sei einzig und allein durch Geld und
Geldeswert, soweit die RePression nichts hilft. Und weil der Staat im Geld¬
aufwand seiner Pflicht redlich zu genügen bemüht gewesen ist, glauben die
Behörden jetzt außer dem Verfolgen und Strafen keine Aufgabe mehr zu haben,
sind sie blind und taub gegen den Satz, der das Hauptthema und der Schlu߬
akkord aller Klagelieder der Beamtenschaft, um die es sich hier handelt, der
mittlern und der niedern, ist: Es hilft alles nichts, denn das Wohlwollen fehlt
überall!

Man wird das vielleicht einfach bestreiten oder für eine inhaltlose Redens¬
art erklären, wie sie zu allen Zeiten von übellaunigen Beamten zu hören ge¬
wesen ist. Aber damit würde man zugleich eine Verkommenheit in unsrer
Verwaltung beweisen, die jeden Kampf gegen die Sozialdemokratie zur hoff¬
nungslosen Komödie herabwürdigen müßte. Dann sollten die Herren Minister
und Staatssekretäre heute lieber als morgen erklären: Wir sind bankrott, wir


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[0070] Die Sozialdemokratie im Beamtentum die übertriebne Kocilitions- und Ausstandsschwärmerei unsrer modernen Staats¬ wissenschaftler auf die Beamten einwirken! Dazu kommt die seit einem Menschen¬ alter von allen Seiten dem Volk gepredigte Überschätzung des Geldgewinns, des Vermögenserwerbs, der Kapitalbildnng. Fortwährend sehen wir ganz un¬ erfüllbare Forderungen materieller Art aufgestellt: für die Beamten fast noch mehr als durch sie. Auf das Einzelne kann hier nicht eingegangen werden, aber im allgemeinen darf man sagen, daß der Staat seit einer Reihe von Jahren redlich bemüht gewesen ist, die materielle Lage, hauptsächlich das Ein¬ kommen der Beamten erheblich aufzubessern, und daß, mag manches auch noch aufgeschoben sein, was hätte durchgeführt werden können, von einer neu zu fordernden, erst zu beginnenden Reform in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein kann. Der Staat kann seinen Beamten nicht Aussicht machen, im Dienst zu Vermögen zu gelangen, wie der Privatmann im Geschäft. Er würde dabei einfach bankrott. Er muß mit einem vermögenslosen Beamtentum rechnen. Er hat eben deshalb ganz andre Pflichten der Fürsorge für seine Beamten neben der Gehaltszahlung als der Privatunternehmer für seine Angestellten. In Bezug auf behagliche Wohnung, angemessene Erleichterung der Kinder¬ erziehung bis zu ihrer eignen Erwerbsfähigkeit, Fürsorge für Krankheit, Alter, für die Hinterbliebnen werden in nächster Zeit noch große Geldmittel mehr als bisher aufzuwenden sein und aufgewandt werden können. Aber auch hier ist doch in neuerer Zeit viel geschehen, und der eigentliche Grund für die Un¬ zufriedenheit und den Unmut unsers Beamtentums ist im allgemeinen auch nicht auf diesem Gebiete der staatlichen Pflichterfüllung zu suchen. Der Staat selbst begeht den verhängnisvollsten Fehler damit, daß er ans ihm, d. h. aus¬ schließlich in der Geldfrage, den Hauptgrund der Unzufriedenheit sucht. Man ist aber leider überall in dem Wahn befangen, daß die soziale Frage zu lösen und die Sozialdemokratie zu bekämpfen sei einzig und allein durch Geld und Geldeswert, soweit die RePression nichts hilft. Und weil der Staat im Geld¬ aufwand seiner Pflicht redlich zu genügen bemüht gewesen ist, glauben die Behörden jetzt außer dem Verfolgen und Strafen keine Aufgabe mehr zu haben, sind sie blind und taub gegen den Satz, der das Hauptthema und der Schlu߬ akkord aller Klagelieder der Beamtenschaft, um die es sich hier handelt, der mittlern und der niedern, ist: Es hilft alles nichts, denn das Wohlwollen fehlt überall! Man wird das vielleicht einfach bestreiten oder für eine inhaltlose Redens¬ art erklären, wie sie zu allen Zeiten von übellaunigen Beamten zu hören ge¬ wesen ist. Aber damit würde man zugleich eine Verkommenheit in unsrer Verwaltung beweisen, die jeden Kampf gegen die Sozialdemokratie zur hoff¬ nungslosen Komödie herabwürdigen müßte. Dann sollten die Herren Minister und Staatssekretäre heute lieber als morgen erklären: Wir sind bankrott, wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/70>, abgerufen am 28.07.2024.